Konservative Islam-Strömungen bremsen HIV-Aufklärung

Kein Sex vor der Ehe, Homosexualität tabu: Je strikter muslimische Länder die Moralnormen durchsetzen, desto einfacher müsste die HIV-Bekämpfung sein, glauben viele. Das Gegenteil ist der Fall. Von Audrey Edwards und Christiane Oelrich

Was ist Safer Sex, wie schützt man sich vor einer HIV-Infektion? In einem mehrheitlich muslimischen Land wie Malaysia mit konservativem Moralkodex sind das heikle Fragen. Bakhtiar Talhah geht damit offen um. Der 42-Jährige lebt bekennend schwul in einem Land, das Homosexualität verbietet. Und er ist mit dem HI-Virus infiziert.

Was ihn auf die Palme bringt, ist die schleichende Islamisierung im Land. Das kann Menschenleben kosten, sagt er. Talhah ist Präsident des malaysischen Aids-Rats (MAC), der Aufklärung betreibt. Jetzt hat die Religionsbehörde Informationskampagnen, die auf Männer abzielen, die Sex mit Männern haben, aber verboten. «Die Leute betrachten HIV-Infektionen hier immer noch als Frage des Lebenswandels, dabei ist es doch eine Frage der öffentlichen Gesundheit», sagt er.

«Die Gesellschaft ist sehr konservativ geworden», sagt Talah, obwohl er selbst unbehelligt lebt, wie er sagt, weil das Gesetz gegen Homosexualität kaum angewandt werde. Dennoch werde der Islam immer strikter ausgelegt. Vor ein paar Jahren bekamen Frauen plötzlich wegen einer Affäre wieder die Prügelstrafe. Kirchen wurde verboten, das Wort «Allah» für Gott zu benutzen.

Wurst im Brötchen soll nicht mehr «Hot Dog» heißen, weil Hunde im Islam als dreckig gelten. Die Regierungen muslimischer Länder dachten lange, sie seien gegen HIV-Infektionen gefeit. Freier Sex, Prostitution, Drogenspritzen - alles, was als Risikofaktor gilt, war nach muslimischem Moralkodex verboten.

In der Drogenpolitik hat Malaysia die Kurve gekriegt: Mit einem effektiven Methadon-Programm hat es die HIV-Übertragung durch verseuchte Injektionsnadeln deutlich reduziert. Dreiviertel der Übertragungen passieren nun durch Sex ohne Schutz.

Gut 100.000 Menschen sind in dem Land mit etwa 30 Millionen Einwohnern infiziert. Von den 170 000 Männern, die Sex mit Männern haben, sind es sieben Prozent, schätzt der Aids-Rat. Das sind nicht nur Schwule: viele haben auch Sex mit Frauen. «2015 sind 78 Prozent der neuen HIV-Infektionen beim Sex passiert», sagte der HIV-Beauftragte im Gesundheitsministerium, Sha'ari Ngadiman, der Zeitung «Malay Mail». «Das ist alarmierend. Wenn wir keine Vorbeugemaßnahmen treffen, wird diese Zahl drastisch steigen.»

Genau das sei das Problem, schreibt die Infektionsexpertin Adeeba Kamarulzaman 2013 in der Fachzeitschrift «The Lancet». «Religiöse und kulturelle Tabus gegen Sex außerhalb der Ehe, Prostitution und Homosexualität machen HIV-Prävention und Behandlungen in mehrheitlich muslimischen Ländern praktisch unmöglich.»

Auch bei Ärzten und Pflegerinnen seien die Vorurteile groß. Ezra Akbar ist HIV-positiv. Der Laborassistent sagt, er musste in Kuala Lumpur schon mal stundenlang auf eine Computertomographie warten, weil das Krankenhaus ihn nur als letzten Patienten des Tages akzeptierte, um das Gerät über Nacht gründlich sterilisieren zu können. Ein anderes Mal hätten Schwestern darauf bestanden, über seinem Bett einen Sticker mit dem Stempel «HIV-positiv» anzubringen.

Selbst im Gesundheitsministerium in Malaysia finden Angestellte es schwierig, akzeptierte Präventionsmethoden mit ihrem Glauben in Einklang zu bringen. «Im Islam gibt es keinen Sex außerhalb der Ehe.

Wie kann man da Kondome erlauben?», sagt einer in einer neuen Studie für den Online-Fachdienst «BMC Public Health». «Wie kann man Prävention betreiben, bei etwas, das eigentlich verwerflich ist?»

Kondome würden nach wie vor als etwas Negatives angesehen, weil sie als Symbol des Amoralischen gelten, schreiben die Autoren der BMC-Studie. Für Aufklärung über HIV-Gefahren durch Sex gebe es in Malaysia bei weitem nicht genügend Geld. Für einen Religionsführer war die Sache im Interview mit den Autoren simpel: «Wir können nur unter islamischen Prämissen Aufklärung machen. Kondome zu propagieren geht nicht. Abstinenz ist das beste.» (dpa)