Klimagipfel in Marokko: Die Jugend geht wieder auf die Straße

Mit leichten Reformen übersteht der König von Marokko den Arabischen Frühling. Das Land bleibt stabil. Der Sicherheitsapparat vermeldet fast täglich Erfolge gegen Terrorzellen. Doch plötzlich geht die Jugend wieder auf die Straße - wegen eines Fischverkäufers. Von Simon Kremer

Als großes, kulturelles Fest will Marokko den Weltklimagipfel inszenieren. Innerhalb weniger Monate hat das Land ein Konferenzdorf aus dem Boden gestampft: Groß wie 31 Fußballfelder und teilweise überspannt mit einem Baldachin, der an die folkloristischen Volksfeste im ganzen Land erinnern soll; an die kulturelle Vielfalt Nordafrikas.

Doch gerade die ethnischen Gräben brechen jetzt - nur eine Woche vor dem Beginn des Weltklimagipfels - wieder auf. Nach dem Tod eines Fischverkäufers in einer Müllpresse gehen vor allem die Berber wieder auf die Straße.

Dabei war es in den vergangenen Jahren relativ ruhig in Marokko geblieben. Während in den arabischen Ländern ringsum die Machthaber seit 2011 reihenweise aus den Palästen getrieben wurden, die Staaten teilweise in blutigen Bürgerkriegen versanken, reformierte König Mohammed VI. in Marokko die Verfassung - und blieb im Amt.

Nach einem Anschlag im Jahr 2011 mit 17 Toten baute der Herrscher die Sicherheitsvorkehrungen weiter aus. In den Straßen der großen Städte patrouillieren kaum übersehbar Dreiergruppen von Polizei und Militär mit Maschinengewehren. Der Anschlag am bei Touristen beliebten «Platz der Gaukler» in Marrakesch hatte das Land damals schwer getroffen. Jetzt kommen dort, nur unweit der ockerfarbenen Altstadt, mehr als 200 Staats- und Regierungschefs zusammen, um über die Rettung des Klimas zu beraten.

«Marokko hat es, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der Region, geschafft, gegen den Terrorismus vorzugehen und die Kompetenz der Sicherheitskräfte zu verbessern», analysierte Scott Stewart von der US-amerikanischen Denkfabrik Stratfor kürzlich. Anfang August gab der Generaldirektor der Nationalen Sicherheit bekannt, dass mehr als 5.000 Polizisten während des Gipfels im Einsatz sein werden. Marrakesch bekam knapp 100 neue Überwachungskameras verpasst. Und das Innenministerium versendet fast täglich Erfolgsmeldungen über ausgehobene Terrorzellen.

«Seit 2011 arbeitet die marokkanische Polizei proaktiv», sagt Abdelhak Khiame vom Zentralen Büro für juristische Untersuchungen (BCIJ). Knapp 3.000 Menschen seien wegen Terrorverdachts in den vergangenen Jahren verhaftet worden. Doch trotz der teuer erkauften Sicherheit: Die Probleme des Landes sind geblieben.

Marokko kämpft, wie seine Nachbarn auch, mit Problemen vor allem im Bereich Bildung und Wirtschaft. Fast jeder Fünfte unter 25 Jahren ist arbeitslos. Menschenrechtsbeobachter kritisieren weitverbreitete Korruption. Dennoch habe es einen Wandel im Land gegeben, sagt Politikwissenschaftler Mohamed Tozy, der sei eben bloß langsam. Zu langsam für einige.

Tozy ist Direktor der Hochschule für Regierung und Ökonomie in Rabat und arbeitete 2011 an der neuen Verfassung mit. «Was die Menschen aber vor allem wollen ist Stabilität.» Libyen, Ägypten, Syrien seien für viele Menschen abschreckende Beispiele, sagt Tozy. Daher sei es bislang auch relativ ruhig in Marokko geblieben.

Bis zum vergangenen Wochenende, als die Polizei in der kleinen Küstenstadt al-Hoceima den Fisch eines Fischverkäufers in einen Müllwagen wirft. Der 31-jährige Mohsin Fikri springt hinterher, die Müllpresse wird eingeschaltet, der junge Mann stirbt. Die genauen Umstände sind bislang unklar.

Im ganzen Land gehen Tausende plötzlich wieder auf die Straße: vor allem Berbergruppen und die alten Protestler der «Bewegung 20. Februar», die schon 2011 vorne bei den Protesten dabei war. Der Palast erkannte die Sprengkraft der Proteste, schickte sofort den Innenminister zum Kondolieren und kündigte eine Untersuchung des Vorfalls an. Doch der Protest bleibt - sowohl im Internet als auch auf der Straße. Es sind die größten Demonstrationen seit Jahren. Und das zur Unzeit.

Protestierende Menschen mit Spruchbändern und Smartphones stören das Bild, das der König von Marokko vermitteln wollte: traditionsbewusst und trotzdem modern - und im Einklang mit der Natur. (dpa)

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