Wie politisch ist Geschichte? Israel, die Unesco und der Tempelberg

Am Mittwoch wird die Unesco voraussichtlich eine umstrittene Israel-Resolution verabschieden. Diese versage den Juden ihre historische Verbindung zum Tempelberg, kritisiert Israel. Im Zentrum steht die Frage - wer bestimmt, was die Geschichte bedeutet? Von Miranda Lee Murray

In Plastiksäcken stapelt sich das vielleicht heiligste und umstrittenste Erdreich der Welt. Zwei Männer beugen sich über ein Sieb - sie suchen nach archäologischen Fundstücken. Das Erdreich stammt vom Tempelberg in Jerusalem - oder Al-Haram al-Scharif, wie die Stätte auf Arabisch heißt.

Seit 2004 sieben sich Mitarbeiter des «Temple Mount Sifting Projects» durch etwa 350 Lkw-Ladungen Erde und Schutt und suchen nach Überresten der jüdischen Tempel. Die islamische Wakf-Stiftung, die den Tempelberg verwaltet, hatte 1999 umstrittene Bauarbeiten durchgeführt und das Erdreich weggeschafft, wie Projektleiter Gabriel Barkay erklärt. Er beschuldigt die Stiftung der Zerstörung von historischen Relikten. «Wir haben jeden Tag bedeutende Funde» sagt Barkay und zeigt antike Fliesenstücke und einen Ring.

Der Tempelberg gilt Juden, Christen und Muslimen als heilig. Dort sollen zwei jüdische Tempel gestanden haben und nach islamischer Überlieferung ritt der Prophet Mohammed vom Ort des Felsendoms aus mit seinem Pferd in den Himmel. Dort befinden sich ebenfalls die Al-Aksa-Moschee und auf der Südwestseite ist die Klagemauer, der letzte Überrest des zweiten Tempels. Der Zutritt zum Tempelberg ist für Nicht-Muslime nur eingeschränkt möglich, Juden beten an der Klagemauer. Doch es gibt auch politische Ansprüche – religiöse jüdische Nationalisten wollen dort beten, Muslime sehen dies als Provokation.

Das Siebprojekt steht im Zentrum einer Kontroverse, die die UN-Kulturorganisation Unesco beschäftigt. Mitte Oktober hatten die Unesco-Mitglieder eine umstrittene Resolution zum Umgang mit religiösen Stätten in Jerusalem angenommen. In der von arabischen Mitgliedstaaten eingebrachten Resolution wird Israel unter anderem eine Missachtung der heiligen Stätten vorgeworfen. Es geht etwa um Kontrollen und die Ausgrabungsprojekte in Ost-Jerusalem. Die Altstadt gehört zum Unesco-Welterbe.

Allerdings wurden in der Resolution fast durchgehend nur die arabischen Namen für die Stätten verwendet. Israel sieht darin eine Verneinung der jüdischen Wurzeln in Jerusalem. So steht in der Resolution etwa für Tempelberg nur der arabische Name Al-Haram al-Scharif. Am Mittwoch soll der Welterbe-Ausschuss der Unesco über eine ähnliche Resolution abstimmen, weiterer Streit scheint programmiert.

«Tempelverleugnung ist schlimmer als Holocaustleugnung», sagt Barkay. Die Funde der Freiwilligen zeigten deutlich, wie eng der Tempelberg mit der Geschichte des Judentums verbunden sei, betont er.

Am Tempelberg selbst ist es nach mehreren jüdischen Feiertagen ruhig. Rabbi Schmuel Rabinowitz, der für die Klagemauer verantwortlich ist, berichtet von mehr Besuchern als üblich. Es habe sich einmal mehr gezeigt, dass Entscheidungen der UN nicht auf der Realität vor Ort beruhen würden. «Juden brauchen keine Legitimierung für unsere Verbundenheit mit diesem Ort.»

Bislang sei vor allem um die Wortwahl der Resolution gestritten worden, sagt Ofer Zalzberg von der International Crisis Group. «Aber was ist der Inhalt dieser Entscheidung?» Im Kern gehe es doch um den Umgang Israels mit der Stätte. Die palästinensischen Behörden und Jordanien, das die Wakf finanziert, wollen mehr Einfluss, wie er meint. Der Streit um die arabischen Bezeichnungen verwische dies.

Es ist nicht der erste Disput Israels mit der Unesco über kulturelle Stätten. Seit 2011 sind die Palästinenser Vollmitglied der Unesco. Es sei eines der wenigen Foren, wo sie sich abseits der israelischen Militärmacht ausdrücken könnten, sagt Nasmi al-Dschubeh von der palästinensischen Birseit-Universität bei Ramallah.

Die Unesco-Resolution habe einen Nerv in Israel getroffen, weil sie Partei ergreife, meint der Aktivist Daniel Seideman von der israelischen Nichtregierungsorganisation Terrestrial Jerusalem. «Die Resolution ist schlecht und nützt Jerusalem nicht.» Archäologie habe schon immer eine politische Dimension gehabt, aber in Jerusalem sei dies extrem.

Das gilt auch für das Sieb-Projekt. Wie die Zeitung «Haaretz» kürzlich berichtete, wird das Projekt von der Ir David-Stiftung unterstützt, einer rechtsgerichteten Organisation, die auch die Ansiedlung von Juden in arabischen Vierteln von Ostjerusalem unterstützt. Regierungschef Benjamin Netanjahu habe ebenfalls angekündigt, das Projekt zu unterstützen.

Für Al-Dschubeh ist klar: Israelische Archäologen durchsuchten das Erdreich nach Beweisen für ihre Behauptung, dass die Muslime die Überreste des jüdischen Tempels zerstören. «Dieses Projekt ist ein reines Politikum.» (dpa)