Fragile Feuerpause in Syrien: Abkommen zwischen USA und Russland auf der Kippe

Ging die Gewalt in Syrien nach Beginn der Waffenruhe erst zurück, sind die Kämpfe am Wochenende deutlich intensiver geworden. Eigentlich müsste die nächste Stufe der Kooperation zwischen Washington und Moskau in Kraft treten. Doch die Stimmung ist eiskalt. Von Jan Kuhlmann und Simon Kremer

Hoffnungsschimmer am Horizont hat das geschundene Bürgerkriegsland Syrien in diesem Jahr schon häufiger gesehen. Im Frühjahr einigten sich die Großmächte USA und Russland auf eine Waffenruhe, die das Blutvergießen beenden sollte. Am Genfer See trafen sich Vertreter der Regierung und der Opposition erstmals seit zwei Jahren zu Verhandlungen. Eine politische Lösung für den blutigen Konflikt, der seit fünf Jahren tobt, schien zumindest nicht ausgeschlossen.

Geblieben aber ist bislang von diesen Hoffnungsschimmern nichts. Die erste Waffenruhe löste sich nach und nach auf - bis sich beide Seiten wieder so heftig bekämpften, dass die Genfer Gespräche ohne jedes Ergebnis ausgesetzt werden mussten und bis heute auf Eis liegen. Jetzt ist wieder ein solcher Hoffnungsschimmer aufgetaucht, denn seit Montag gilt erneut eine landesweite Waffenruhe, die Washington und Moskau ausgehandelt haben. Aber auch die scheint im Rauch des Schlachtfeldes wieder zu verblassen.

Zwar war die Gewalt zu Beginn der Feuerpause während des muslimischen Opferfest Eid al-Adha zunächst zurückgegangen. Doch kaum waren die Feiertage vorbei, verzeichneten Beobachter immer heftigere Kämpfe: Das Regime flog wieder Luftangriffe in den Provinzen Hama und Aleppo, in einem Vorort von Damaskus flogen die Granaten zwischen Regierungstruppen und Aufständischen und islamistische Rebellen nutzten die kurze Erholungsphase, um sich neu zu formieren.

An diesem Montag müsste nun eigentlich die nächste Stufe der Vereinbarung zwischen den USA und Russland umgesetzt werden. Sie sieht vor, dass die Luftwaffen beider Länder in Syrien gemeinsam gegen Terrorgruppen wie den Islamischen Staat (IS) Einsätze fliegen.

Ob und wann es dazu aber tatsächlich kommt, ist bislang noch offen. Die Stimmung zwischen den USA und Russland könnte schlechter nicht sein. Der möglicherweise versehentliche Angriff der US-geführten Koalition gegen syrische Regierungstruppen - die Verbündeten Moskaus - hat zum Zerwürfnis zwischen den Großmächten geführt. Der Zwischenfall macht deutlich, wie zerbrechlich die ganze Vereinbarung ist. Große Hoffnungen hatten ohnehin nicht einmal viele Menschen in Syrien gehabt. 

Denn neben der neuerlichen Gewalt ist auch ein entscheidender Punkt bislang noch nicht umgesetzt worden: Hilfskonvois für die notleidenden Menschen in belagerten Gebieten. Seit einer Woche schon warten rund 40 Lastwagen der Vereinten Nationen an der Grenze zur Türkei, jederzeit bereit zur Abfahrt. Geladen haben sie Lebensmittel, die die Menschen dringend brauchen. Eine Erlaubnis des Regimes aber haben sie noch nicht bekommen.

Eine «frustrierende» Situation wie sie ein Sprecher des UN-Nothilfeprogramms Ocha bezeichnet. Denn die Lage ist in vielen Gebieten dramatisch, etwa im Osten der Großstadt Aleppo, der von Rebellen gehalten wird. Dort sind bis zu 300.000 Menschen von der Außenwelt abgeschnitten.

Es mangele massiv an Lebensmitteln, berichtet ein junger Mann mit dem Namen Mohammed aus der Stadt. «Die meisten Bäckereien sind geschlossen, weil sie keinen Brennstoff für ihre Maschinen und Öfen haben», schreibt er über das Internet. Die Preise seien stark gestiegen.

Doch die ausbleibende Hilfe ist nicht der einzige Punkt, der einer dauerhaften Waffenruhe im Weg steht. Umstritten zwischen Washington und Moskau ist noch immer, welche Rebellen als moderat und welche als terroristisch anzusehen sind. Unklar ist auch, für welche syrischen Gebiete die Waffenruhe tatsächlich gilt.

Die USA wollten die Details der Abmachung nicht veröffentlichen, um ihre Verbündeten nicht zu gefährden. Russland nutzte die Chance und warf den USA vor, dass genau dieses Vorgehen des nicht Absprechens zum fatalen Luftangriff auf die syrischen Truppen geführt habe.

Wie schon im Frühjahr macht auch die radikale Al-Nusra-Front einen dauerhaften Waffenstillstand extrem schwierig. Die Miliz, eine der stärksten bewaffneten Gruppen im Bürgerkrieg, hat sich zwar mittlerweile offiziell von Al-Qaida losgesagt und sich einen neuen Namen gegeben. Sie nennt sich jetzt Fatah-al-Scham-Front. Für die USA und Russland bleibt sie aber eine Al-Qaida-Terrorgruppe.

Die Amerikaner stellt das vor ein Problem: Die Miliz kooperiert in vielen Regionen eng mit moderaten Gruppen, die als Partner der USA gelten. So kämpfte die Fatah-al-Scham-Front im Süden Aleppos an der Seite von anderen Milizen, die die Belagerung der Stadt aufbrechen wollten. Nicht nur deswegen genießt die radikale Gruppe unter vielen Sympathisanten der Regimegegner ein hohes Ansehen.

Die Netzwerke im syrischen Bürgerkrieg haben sich in den vergangenen Jahren verstrickt, zu viele Akteure ihre Finger im Spiel. Und der Hoffnungsschimmer am Horizont entpuppt sich häufig nur als das Aufleuchten der nächsten Explosionen. (dpa)

Mehr Informationen zum Syrienkonflikt auf unserer Qantara-Themenseite