Islamwissenschaftler Gilles Kepel: Terrorismus ist Krieg innerhalb des Islam

Der Terror in Europa ist nach den Worten des französischen Islamwissenschaftlers Gilles Kepel nicht in erster Linie Ausdruck eines Krieges zwischen dem Westen und dem Islam. "Der Terrorismus ist vor allem Ausdruck eines Krieges innerhalb des Islam", sagte er am Freitag im Deutschlandfunk.

Die dritte europäische Dschihadisten-Generation wolle ein Klima des Schreckens in den europäischen Staaten verbreiten, das feindliche Reaktionen gegenüber allen Muslimen erzeugen soll, fügte er hinzu. Die Muslime sollten auf diese Weise radikalisiert werden. "Die Lage soll sich zu einem Bürgerkrieg entwickeln."

Die Terroristen nutzten dabei die vielen Brüche in den europäischen Gesellschaften, in Frankreich etwa das Gefühl der Aussichtslosigkeit junger Muslime in den Vorstädten, so Kepel. Langfristiges Ziel der Terroristen sei es, auf den "Ruinen des alten Kontinents" Europa eine Art Kalifat zu errichten.

Kepel zeigte sich überzeugt, dass die überwältigende Mehrheit der europäischen Muslime dem überhaupt nicht zustimmt. Sie bekenne sich zum Islam, ohne zum Terrorismus zu neigen. Allerdings habe sich in den vergangenen 15 Jahren die salafistische Ideologie sehr stark in der muslimischen Jugend in Europa verbreitet. Die meisten Salafisten seien nicht gewalttätig. "Aber sie predigen einen kulturellen Bruch mit den westlichen Gesellschaften, die als ungläubig gelten. Das zieht Leute an, die in diesem Bruch ein Ventil für ihre soziale Frustriertheit finden und auf dieser Grundlage auf einen Kurs Richtung Gewalt einschwenken."

Kepel sieht die Intellektuellen, die islamischen Gelehrten und die Führung der islamischen Verbände in der Pflicht, diese Interpretation des Islams zurückzuweisen. "Einige sind sehr mutig und tun dies. Sie werden aber häufig nicht so gehört, wie sie gehört werden müssten."

Zugleich warnt der Islamexperte vor Rezepten der extremen Rechten, die den Islam in Europa eliminieren wolle. "Das würde sofort zu einem Bürgerkrieg führen, und das wünschen sich die Dschihadisten." Wichtig sei vielmehr, wirksam gegen die Brüche in den europäischen Gesellschaften zu kämpfen, und zwar "nicht mit Krieg, sondern mit Polizeiarbeit und Bildung". (KNA)

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