Gegen die islamische «Kleideruniform»: Modedesignerin in Gaza

Die Wirtschaft liegt brach, rund die Hälfte der Menschen im Gazastreifen braucht Essensspenden. Mode steht selten im Fokus – doch Designerin Nermin Demjati schafft kleine Glücksmomente. Von Stefanie Järkel

Die Frauen im Gazastreifen tragen auf der Straße weite Gewänder, Kopftuch und oft schwarz. Die zarten, kurzen, farbigen Kleidchen von den Pariser Modeschauen erscheinen weiter weg als die 3.300 Kilometer Luftlinie, die die Orte trennen.

Nermin Demjati will beides trotzdem verbinden: Ost und West, Tradition und Moderne, Freiheit und die Regeln der muslimischen Gesellschaft. «Meine Idee ist es, einfache Kleider zu machen», sagt die 29-Jährige aus Gaza. Seit vier Jahren entwirft sie Einzelstücke für ihre Kunden - eine Rarität in den Palästinensergebieten.

«Kaum jemand arbeitet heute noch so», sagt Adel al-Holdali, Mitglied im Palästinensischen Textilverband im Westjordanland und Gaza. Er schätzt, dass es insgesamt etwa zehn Designer wie Demjati in den Palästinensergebieten gibt. Aufgrund der konservativen Gesellschaft trügen alle nur noch das Gleiche, sagt al-Holdali. «Für muslimische Mädchen sind Kleider wie eine Uniform geworden» - besonders im Gazastreifen.

Demjati trägt rote Schuhe und eine Uhr mit rotem Lederarmband, ein rotes Band bedeckt ihr Haar. Darüber: ein Kopftuch aus beiger Spitze, locker um den Hals geschlungen. Sie sitzt in langer dunkelblauer Hemdbluse auf einem Sofa in ihrem Atelier in der Innenstadt von Gaza.

Mit ihrer makellosen Haut, ihren großen Augen und ihrer aufrechten Haltung hat sie eine Ausstrahlung wie Königin Rania von Jordanien.

«Als ich ein Kind war, kürzte ich meine Kleider mit der Schere und meine Mutter war so sauer auf mich», erzählt sie. Sie mochte die Längen nicht, fand die Kleider langweilig. In Videos im Internet entdeckte sie als Jugendliche, dass es den Beruf des Designers gibt. «Ich war irgendwie überrascht zu sehen, dass unsere Kleider mit einem Stift und einem weißen Blatt Papier anfangen», sagt sie.

Sie studierte ein Jahr Modedesign an einer Hochschule in Gaza und startete mit Unterstützung ihres Vaters in einem kleinen Atelier. «Ich war ein Fan der britischen Modedesigner, aber auch von Dior und arabischen Designern.» Sie liebt den schlichten, eleganten Stil von Rania von Jordanien und die Kleider der britischen Queen.

Demjati wirbt für klare Schnitte, dezente Accessoires und helle Farben. Während die Frauen im Alltag schlichte Kleider tragen, wird zu besonderen Anlässen großer Aufwand betrieben. «Wenn man sich westliche Hochzeitskleider anschaut, dann tragen die Bräute einfache Kleider, einfache Accessoires - hier übertreiben die Frauen so», sagt sie.

Für die 21-jährige Scheruk Abdel Latif entwarf Demjati Anfang des Jahres ein schwarzes Kleid mit Schleppe und kleinen Goldsteinchen auf dem Rücken. «Niemand hat so ein Kleid getragen wie ich, meines war einfach anders», sagt die Kundin heute noch begeistert. Auf der Hochzeit ihrer Schwester habe sie jeder gefragt, woher sie das Kleid habe. Sie verwies auf Demjatis Marke «Voile Moda» - «voile» ist Französisch für Schleier.

Auf Ständern und Puppen hängen Kleider in Schwarz mit transparenter Spitze, in Türkis mit verschnörkeltem Muster oder mit tiefem Rückenausschnitt. Bei Familienfeiern haben die Frauen mehr Freiheiten. Die Preise beginnen bei umgerechnet rund 100 Euro. Aktuell beschäftigt die junge Frau vier Angestellte. «Das Projekt finanziert sich selbst, bisher gibt es keinen Gewinn», sagt die 29-Jährige.

Hani Murad, ehemaliger Direktor des Instituts für Mode und Textilien in der Nähe von Bethlehem, sieht die schwierige Lage der Wirtschaft als entscheidendes Problem. «Modedesign ist ein Geschäft, das in guten wirtschaftlichen Zeiten blüht», sagt der studierte Modedesigner.

Doch im Gazastreifen ist fast jeder zweite ohne Arbeit. Wegen der dort herrschenden radikalislamischen Hamas hat Israel eine Blockade über das Küstengebiet verhängt. Import und Export werden kontrolliert, wer ausreisen will, braucht eine Genehmigung.

Auch Ägypten hat den einzigen Grenzübergang geschlossen. Manche Stoffe, manche Accessoires, wie Broschen oder Knöpfe, seien deswegen nur schwer zu bekommen, sagt Demjati. Die junge Frau träumt davon, in die Türkei und nach Paris zu gehen - um beide Modestile zu studieren, den westlichen und den orientalischen. «Ich war noch nie in Europa», sagt sie. 3.300 Kilometer können sehr weit sein. (dpa)