Schwere Vorwürfe gegen Blair wegen Entscheidung für den Irak-Krieg

Blinde Alliiertentreue, voreilige Kriegsentscheidung, planlose Folgenbewältigung: Die britische Untersuchungskommission zum Irak-Krieg hat der damaligen Regierung unter Premierminister Tony Blair am Mittwoch ein verheerendes Zeugnis für ihre Politik ausgestellt, die zur Beteiligung Großbritanniens an der US-geführten Invasion 2003 in den Irak führte. Blair habe sein Land in einen schlecht geplanten, beklagenswert geführten und zudem rechtlich fragwürdigen Krieg geführt.

Die politische Entscheidung sei auf der Grundlage mangelhafter Geheimdiensterkenntnisse getroffen worden und bevor alle "friedlichen Optionen für eine Entwaffnung" des Irak ausgeschöpft worden seien, sagte der Kommissionsvorsitzende John Chilcot, nach dem das Gremium benannt ist, bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch in London. "Ein Militäreinsatz war damals nicht das letztmögliche Mittel."

Blair habe dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York Gefolgschaft versprochen. In einem Brief an Bush aus dem Juli 2002 schreibt Blair laut Bericht: "Ich bin mit dir, was auch geschehen möge."

Für die Nachkriegsphase gelte: "Trotz ausdrücklicher Warnungen wurden die Folgen der Invasion unterschätzt. Die Planungen und Vorbereitungen für einen Irak nach Saddam waren völlig unzureichend", kritisierte der ehemalige Diplomat. Die nach sieben Jahren abgeschlossene Untersuchung erstatte in 2,6 Millionen Worten "Bericht über eine Intervention, die sehr schief gelaufen ist, mit Folgen bis heute".

Die Irak-Invasion war heftig umstritten, weil sie nicht durch ein klares UN-Sicherheitsratsmandat gedeckt war. Angebliche Massenvernichtungswaffen des damaligen irakischen Machthabers Saddam Hussein, die allen voran von der US-Regierung zur Rechtfertigung für den Waffengang ins Feld geführt wurden, wurden nie gefunden. Bereits 2004 kam ein britischer Bericht zu dem Schluss, dass Blair die "Beweise" der Geheimdienste für die Existenz dieser Waffen im Parlament aufbauschte.

Zwar oblag es der Chilcot-Kommission nicht, die Rechtmäßigkeit der Invasion zu prüfen. Doch Chilcot ließ keinen Zweifel daran, dass der Entscheidungsprozess aus rechtlicher Sicht "alles andere als befriedigend" gewesen sei. 

Bis zu 46.000 britische Soldaten waren in Spitzenzeiten während des jahrelangen Konflikts und danach im Irak im Einsatz. Während des Krieges und der anschließenden konfessionell motivierten Gewalt wurden mehr als 150.000 Iraker getötet; auch 179 britische Soldaten starben im Einsatz. 2009 zogen die meisten britischen Soldaten ab.

Bis heute wird der am Abgrund taumelnde Irak von Gewalt und Extremismus erschüttert. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) konnte seit dem Sommer 2014 weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Zwar wurde der IS zuletzt militärisch stark zurückgedrängt, mit Anschlägen verbreitet er dennoch weiterhin Angst und Schrecken. Erst in der Nacht zum Sonntag wurden bei einem Selbstmordanschlag in der irakischen Hauptstadt rund 250 Menschen getötet.

Chilcot bescheinigte Ex-Premierminister Blair, den Kritiker spöttisch auch "Bushs Pudel" nannten, einen Mangel an Durchsetzungskraft gegenüber dem damaligen US-Präsidenten. Blair habe es verpasst, Bush eine umfassende Nachkriegsplanung abzuverlangen. Er habe seine "Fähigkeit, US-Entscheidungen zu beeinflussen, überschätzt".

Blair verteidigte in einer Reaktion die Beteiligung Großbritanniens am Irak-Krieg. Die Entscheidung zu dem Militäreinsatz habe er "in gutem Glauben" und mit der Überzeugung getroffen, im "besten Interesse des Landes" zu handeln, hieß es in einer von seinem Büro am Mittwoch veröffentlichten Erklärung. Im vergangenen Jahr hatte er sich für Planungsfehler und dafür entschuldigt, dass die Geheimdienstberichte falsch waren. Dass Saddam Hussein gestürzt wurde, bezeichnete er jedoch als richtig.

Vor dem Parlament in London versammelte Kriegsgegner forderten, Blair vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als Kriegsverbrecher anzuklagen. "Blair log, tausende starben", hieß es auf Transparenten. (AFP)

Lesen Sie hierzu den Essay von Peter Oborne: Tony Blair und der Irakkrieg 2003: Der große Irak-Schwindel