Intellektueller Vermittler zwischen den Kulturen - Navid Kermani erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Der Autor Navid Kermani gilt als politischer Intellektueller, der sich für eine offene europäische Gesellschaft und den Schutz von Flüchtlingen einsetzt. Er ist nicht unumstritten. Aber eine muslimische Stimme, die in Deutschland gehört wird. Von Renate Kortheuer-Schüring

Die jüngste deutsche Zeitgeschichte scheint den Schriftsteller Navid Kermani, der am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, zu bestätigen. Deutschland habe genug Ressourcen, die Verantwortung für Flüchtlinge nicht auf Drittstaaten abzuwälzen, hatte Kermani der Politik 2014 bei der Grundgesetz-Feierstunde des Bundestags ins Stammbuch geschrieben.

Heute reisen täglich Tausende Flüchtlinge ungehindert ins Land. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels würdigt den Deutsch-Iraner als «eine der wichtigsten Stimmen» der Gesellschaft.

Der 48-jährige Autor und Islamwissenschaftler setzt sich seit langem für eine offene europäische Gesellschaft ein, die auch Flüchtlingen Schutz bietet. Nicht nur in seiner Bundestagsrede, auch in seinen Romanen, Essays und Reportagen aus Krisengebieten tritt er seit Jahren für Menschenwürde und den Respekt von Religionen und Kulturen untereinander ein. Kermani ist eine muslimische Stimme in Deutschland, die gehört wird.

Der Sohn iranischer Eltern, der 1967 in Siegen geboren wurde, studierte Philosophie, Orient- und Theaterwissenschaften in Köln, Kairo und Bonn. Er schlug eine wissenschaftliche Laufbahn ein und schrieb eine Doktorarbeit über die Ästhetik des Koran, die 1999 unter dem Titel «Gott ist schön» erschien. 2006 habilitierte er sich im Fach Orientalistik.

In seinem vielseitigen Werk setzt sich Kermani immer wieder mit dem Verhältnis von Glauben und Gesellschaft und mit den Beziehungen zwischen den Ländern des Westens und des Nahen Ostens auseinander: etwa in seiner Analyse des Selbstopferungsgedankens im westlichen und östlichen Kulturkreis, «Dynamit des Geistes - Martyrium, Islam und Nihilismus» (2002), die er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verfasste.

Er schrieb aber auch Kinderbücher, Theaterstücke und Romane wie «Große Liebe» (2014) über seine Jugendliebe als 15-Jähriger, deren Ekstase er auch mit Hilfe islamischer Mystik schildert. In dem Band «Ausnahmezustand. Reisen in eine beunruhigende Welt» veröffentlichte er 2013 Reisereportagen aus Syrien, dem Iran und dem Irak.

Der Islam in Deutschland ist für Kermani, der von 2007 bis 2010 der Deutschen Islam-Konferenz angehörte, ständiges Thema: Er plädiert für einen differenzierten Blick auf Religionen und kritisiert islamischen Fundamentalismus ebenso wie das Vorurteil vom antimodernen Islam. In «Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime» machte er 2009 vor allem soziale Gründe für das Entstehen von Parallelgesellschaften aus. 2014 kam seine Stunde, als er seine «große, aber einseitige Rede» («Welt») im Deutschen Bundestag hielt: eine Lobrede auf das Grundgesetz und eine einzige Kritik der deutschen Asylpolitik.

Der breiten Öffentlichkeit war der Autor erst wenige Jahre zuvor durch einen Skandal bekanntgeworden: Kermani sollte den hessischen Kulturpreis 2009 erhalten - gemeinsam mit dem Juden Salomon Korn, dem früheren evangelischen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker und dem Mainzer katholischen Bischof Karl Lehmann. Steinacker und Lehmann zogen aber gegen die Preisverleihung an Kermani zu Felde, weil der Muslim in einer meditativen Betrachtung eines Kreuzigungsgemäldes des italienischen Malers Guido Reni (1575-1642) die christliche Kreuzestheologie als «Gotteslästerung» abgelehnt hatte.

Hessens damaliger Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erkannte Kermani zunächst den Preis ab. Es kam zu einer Aussprache zwischen allen Beteiligten: Kermani erhielt den Preis am Ende doch.

Aus dem Streit, der in den Feuilletons der großen Tageszeitungen ausgetragen wurde, ging Kermani gleichwohl gestärkt hervor: Die «Süddeutsche Zeitung» etwa würdigte ihn als «besonnenen und scharfen Denker». Keine zwei Jahre später ehrte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit den Orientalisten, der als exzellenter Kenner islamischer, jüdischer und christlicher Traditionen gilt, mit ihrer Buber-Rosenzweig-Medaille. 2011 wurde er mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ausgezeichnet.

Dass der heute in Köln lebende und mit der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur verheiratete Autor den Friedenspreis des Buchhandels bekommen soll, stieß im Juni auf breite öffentliche Zustimmung. Die Tageszeitung «Die Welt» bezeichnete Kermani als «die wohl wichtigste intellektuelle Vermittlungsinstanz zwischen dem islamischen und westlichen Kulturkreis, die wir in Deutschland haben». (epd)

Navid Kermani im Qantara-Interview