«Kein Krieg der Welt kann Musik verstummen lassen» - Erster Auftritt von syrischem Exil-Orchester endet mit stehenden Ovationen

Sie zeigen, dass ihre Heimat Syrien mehr ist als Kampf und Krieg: Flüchtlinge kamen in Bremen zu einem Exil-Orchester zusammen. Die Profi-Musiker schlugen in einem ersten Konzert eine musikalische Brücke zwischen Orient und Okzident. Von Dieter Sell

Erinnerungen an Kamel-Karawanen in der Wüste, an Hügel, Steppen und fruchtbare Oasen: Es waren auch die musikalischen Bilder aus dem Orient, vertont vom syrischen Komponisten Nori El Ruheiban, die am Dienstagabend in Bremen das Publikum von den Stühlen rissen - Höhepunkt und heiterer Schluss eines einzigartigen Konzertes. Vor lange ausverkauftem Haus setzten geflüchtete Profi-Musiker aus Syrien in einem Exil-Orchester den blutigen Bildern aus ihrer Heimat die versöhnliche Sprache der Musik entgegen. Stehende Ovationen waren der Lohn.

«Dieses Konzert ist Syrien gewidmet - und allen Menschen, die an Syrien denken», sagte zu Beginn Dirigent Martin Lentz. Etwa 30 syrische Musiker aus Deutschland und westeuropäischen Ländern wie Schweden, Holland, Frankreich und Dänemark kamen dazu in den ehemaligen Sendesaal von Radio Bremen. Mit seiner einzigartigen Akustik war der Saal die richtige Kulisse, in der die Musiker eine musikalische Brücke zwischen Orient und Okzident schlugen.

Zusammen mit deutschen Kollegen, insgesamt 50 Symphonikern, erinnerten die Mitglieder des «Syrian Expat Philharmonic Orchestra» an die große Kultur ihrer Heimat. «Wir wollen ein schönes Bild von Syrien zeichnen, denn unser Land ist mehr als Kampf und Krieg», sagte der Initiator des Exil-Orchesters, der syrische Kontrabassist Raed Jazbeh. Über Facebook hatte er die Kontakte zu syrischen Musiker-Kollegen aufgebaut, die teils auf lebensgefährlichen Wegen über Land oder über das Mittelmeer Verfolgung und Tod entkommen waren.

Wer auf dieser Flucht kein Instrument mitnehmen konnte, bekam in Bremen eines geliehen, um nach nur drei Probentagen ein etwa 90-minütiges Programm auf die Beine zu stellen - auch, damit für kurze Zeit die Katastrophe in der Heimat gedanklich in den Hintergrund rückt. Wie Raed Jazbeh haben viele der Flüchtlinge auf der Bühne in Syriens Hauptstadt Damaskus, einst Kulturhauptstadt der arabischen Welt, Musik studiert. «Die meisten syrischen Musiker haben nun das Land verlassen - der Krieg hat sie über ganz Europa verstreut», weiß Jazbeh, der seit gut zwei Jahren in Bremen lebt.

Trotzdem ist er überzeugt: «Kein Krieg der Welt kann Musik verstummen lassen, kulturelle Identität lässt sich nicht vernichten. Sie lebt weiter in den Herzen der Menschen.» Und so interpretierten die Musiker ein Programm mit westlichen Kompositionen und zeitgenössischen orientalischen Orchesterwerken, die ihre Sehnsüchte in Noten fassen. So wie in dem Stück «My beautiful Homeland» (Mein schönes Heimatland), dem allen voran Raeds Bruder Jehad als Violinist mit einem umjubelten Solo musikalische Form gab.

Auch die Komposition «One way ticket» für Violine und Orchester hatte viel mit dem zu tun, was die geflüchteten Musiker erleben. Dass es aber noch mehr gibt als Flucht und Vertreibung, das verdeutlichte wenig später ein Liebeslied des algerischen Komponisten Salim Dada.

Gestärkt durch den Erfolg in Bremen soll das erste Konzert des «Syrian Expat Philharmonic Orchestra» nur ein Anfang sein. Das Exil-Orchester wolle syrische Klassik spielen und regelmäßig auftreten, verdeutlichte Jazbeh seinen Traum: «Wir wollen zeigen, wie orientalische symphonische Musik funktioniert.» Schon am 3. Oktober ist ein nächstes Konzert in Lüneburg geplant. Jazbeh betonte, die Musik helfe ihm, sich zu Hause zu fühlen. Dirigent Martin Lentz ergänzte, jedes Zeichen in Richtung Offenheit und Integration «sei mehr als notwendig». (epd)

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