«Ich bin hier für Allah» - Forscher warnen vor islamistischen Terroristinnen

Dunkel geschminkte Augen, die grimmig durch den Schlitz eines Niqab blicken: das Klischee der weiblichen Terroristin. Die Zahl deutscher Betroffener steigt. Forscher werben für eine neue Sichtweise auf das Phänomen. Von Paula Konersmann

Sie sei kein dummes kleines Mädchen, das man einer Gehirnwäsche unterzogen habe. Im Gegenteil: «I'm here for Allah» - «Ich bin hier für Allah», twitterte die junge Frau, die aus Großbritannien in den Irak zog. Marie Lamensch sammelt solche Nachrichten in den Sozialen Medien. Die kanadische Forscherin untersucht, warum junge Frauen sich dem Feldzug von Terrormilizen wie dem «Islamischen Staat» (IS) anschließen. «Wir müssen das Bild der Dschihad-Bräute überwinden», betont sie.

Rund 100 Frauen sollen nach neuesten Zahlen des Bundesverfassungsschutzes aus Deutschland Richtung IS ausgereist sein, von insgesamt etwa 700 jungen Menschen. Dazu zählen laut dem Amt nur Ausreisen aus eigenem Antrieb, nicht die Partnerinnen von Islamisten. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen warnt, die IS-Rekrutierungsmaßnahmen übten auf junge Frauen eine «verstärkte Anziehungskraft» aus.

Recherchen von WDR, NDR und «Süddeutscher Zeitung» (SZ) ergeben zudem, dass der IS seinerseits bewusst weibliche Anwerber einsetzt. Sie suchten nach jungen Frauen, um sie mit «IS-Kämpfern» zu verheiraten. Die Anwerbung läuft demnach vielfach über soziale Netzwerke; so würden etwa Facebook-Profile junger Mädchen gezielt durchsucht. «Es ist so, dass diese jungen Frauen die Lebenswirklichkeiten und Lebensträume potenzieller Personen kennen und versuchen, genau darauf zu reagieren», sagt Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam.

Laut Lamensch gehen die IS-Kämpfer zunächst subtil vor. Sie versuchten, eine «Wir gegen die»-Denkweise zu etablieren - beispielsweise durch die Behauptung, das zögerliche Vorgehen des Westens gegen das syrische Assad-Regime sei direkt für den Tod von Kindern in dem Bürgerkriegsland verantwortlich. Viele der jungen Frauen fühlten sich aus humanitärem Interesse oder religiösem Pflichtgefühl angesprochen, erklärt die Forscherin. «Viele von ihnen möchten eigentlich Ärztinnen, Krankenschwestern oder Sozialarbeiterinnen werden.»

Wer über Texte oder Videos mit pseudo-hilfesuchenden Botschaften auf den IS aufmerksam geworden ist, werde zu privateren Gesprächen etwa über Messaging-Dienste oder Internet-Telefonie eingeladen. «Dort werben die Islamisten für eine neue Weltsicht», so Lamensch. Die letzte Stufe bestehe in persönlichen Begegnungen und - im Extremfall - in der Ausreise.

Teils wählten die Extremisten auch weniger offensichtliche Wege für den Erstkontakt. So versprächen sie im Internet jeder neuen Mitstreiterin ein Katzenbaby - unter dem populären Schlagwort «#kitten», Kätzchen, das nicht nur muslimische Jugendliche häufig anklicken. Daneben sollten Fotos von Kämpfern, die mit Burgern oder selbst gebackenem Kuchen posieren, den IS als heile Welt präsentieren.

Einmal am Zielort angekommen, erwartet die jungen Frauen freilich etwas anderes. Sie seien «nur sexuelle Verfügungsmasse», so die Leiterin der Islamismus-Beratungsstelle «Hayat», Claudia Dantschke, gegenüber WDR, NRD und «SZ». «Sie sitzen den ganzen Tag zu Hause, langweilen sich, dürfen nichts tun ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns.» In der vielen freien Zeit chatteten sie wiederum mit anderen Mädchen - «ein Schneeballeffekt.»

Die Betroffenen betrachteten sich meist jedoch nicht als Opfer, betont Lamensch. Sie inszenierten sich vielmehr als Löwinnen, die für Allah kämpfen, ihren «bärtigen Prince Charming» unterstützen und für Nachwuchs sorgen - in der Sprache der Terroristen: für «cubs of the caliphate» (dt. etwa: die Löwenjungen des Kalifats).

Der Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Guido Steinberg, beklagt eine Vernachlässigung dieser Entwicklung. Die Rolle der Frauen werde häufig unterschätzt, sagte er der «Mitteldeutschen Zeitung». Generell lasse sich «immer wieder feststellen, dass totalitäre Ideologien auch für Frauen attraktiv sind - etwa der Kommunismus oder der Nationalsozialismus», so Steinberg weiter. «Ich sehe nicht, warum der Dschihadismus nicht genau so attraktiv sein sollte.» (KNA)

Lesen Sie hierzu Die Frauen des IS – Romantik und Kalaschnikow