Von der Westbank in die amerikanische Provinz

Der Film "Amreeka" erzählt die Geschichte einer palästinensischen Familie, die sich in ihrer neuen Heimat im US-Bundesstaat Illinois zurechtfinden muss. Rasha Khayat hat den preisgekrönten Film gesehen und sich mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Cherien Dabis unterhalten.

Der Film "Amreeka" erzählt die Geschichte einer palästinensischen Familie, die sich in ihrer neuen Heimat im US-Bundesstaat Illinois zurechtfinden muss. Rasha Khayat hat den preisgekrönten Film gesehen und sich mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Cherien Dabis unterhalten.

​​ Mit "Amreeka" gelingt der jungen Regisseurin und Drehbuchautorin Cherien Dabis, 33, ein kleines Wunder: Sie schafft es, schwere Themen wie Heimat, Rassismus und Entfremdung in einen leichten, liebevollen Komödienstoff zu verpacken, und damit den Zuschauer vom ersten Moment an für sich zu gewinnen.

Muna und ihr 16jähriger Sohn Fadi verlassen ihre Heimat in der palästinensischen Westbank und suchen ihr Glück im amerikanischen Kleinstadtleben in Illinois, wo sie von Munas Schwester Raghda und deren Familie erwartet werden. Doch schnell werden ihre Träume von einem besseren Leben in der harten Alltagsrealität des Mittleren Westens eingeholt.

Palästina liegt in Illinois

Fadi sieht sich in seiner neuen High School mit dem Anti-Islamismus seiner Mitschüler konfrontiert, die ihn "Osama" nennen – und das, obwohl er aus einer christlichen Familie kommt. Seine Mitschüler belehren ihn mitunter mit – im Wortsinn – "schlagenden Argumenten", dass die amerikanischen Soldaten im Nahen Osten doch nur Frieden schaffen wollen.

Auch Muna, eine agile, tatkräftige und optimistische Person, hat große Schwierigkeiten, sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden.

Unermüdlich sucht sie nach Arbeit in einer Bank, nur um immer wieder abgewiesen zu werden, nicht zuletzt aufgrund ihrer arabischen Herkunft. Schließlich heuert sie bei einer Fastfood-Kette an. Aus Scham der Familie gegenüber verheimlicht sie dies jedoch und behauptet, sie habe endlich einen Job als Buchhalterin gefunden.

Auch Raghdas Familie muss sich mit zahlreichen Problemen und Konflikten herumschlagen. Während die pubertierenden Töchter kaum Arabisch sprechen und sich vollkommen als Amerikaner verstehen, hört man die Mutter immer wieder durchs Haus rufen: "Solange du in diesem Haus lebst, bist du in Palästina!"

Eine persönliche Geschichte

​​ Trotz der Schwere und Dramatik des Stoffes gelingt es Cherien Dabis, einen leichten, fast tänzerischen, verspielten Ton anzuschlagen. Authentisch erzählt der Film von den Freuden und Leiden von Immigranten aus erster Generation. Zu einem großen Teil ist dies auch den Darstellern geschuldet. Besonders Nisreen Faour als Muna und Melkar Muallem als Fadi überzeugen hier auf ganzer Linie.

Sie habe lange nach den passenden Hauptdarstellern gesucht, erzählt Dabis im Interview, sie habe Castings in den USA, Kanada, im Libanon, Jordanien und Palästina abgehalten. So habe sie auch Melkar Muallem gefunden, der in "Amreeka" sein Debüt gibt und bislang lediglich auf Schultheaterbühnen in Ramallah zu sehen war.

Aber auch das Drehbuch, dass Cherien Dabis selbst schrieb, trägt zum Erfolg von "Amreeka" bei, denn die Regisseurin und Autorin kennt das Milieu, von dem sie erzählt, ganz genau. Für "Amreeka" hat sie viele persönliche Erlebnisse verwertet und als Ideen in den Film einfließen lassen.

Aufgewachsen ist die Tochter eines Palästinensers und einer Jordanierin in Omaha, Nebraska, wo die Familie nach dem ersten Golfkrieg von 1989/90 zunehmend den Rassismus und Anti-Islamismus von Nachbarn, Bekannten und Mitschülern zu spüren bekam.

"Mein Vater ist Arzt und verlor zu jener Zeit immer mehr Patienten, was im Film auch Nabil, dem Mann von Raghda passiert", erzählt Dabis im Gespräch mit Qantara.de. "Wegen seines Vornamens, Nazeh, wurde mein Vater oft "the Palestinian Nazi" genannt. Es war keine leichte Zeit für ihn und meine Mutter."

Die Realität als fiktionale Geschichte

Cherien Dabis; Foto: &copy sydneyarabfilmfestival.com
Cherien Dabis: "Ich glaube, es ist einfacher, die Realität in Form von fiktionalen Geschichten zu erzählen, als sie real abbilden zu wollen"

​​ Diese frühen Erfahrungen mit Rassismus haben Dabis auch in ihrer Entscheidung bestärkt, Filme zu machen. "Ich glaube, es ist einfacher, die Realität in Form von fiktionalen Geschichten zu erzählen, als sie real abbilden zu wollen", erklärt sie. Aus diesem Grund entschied sich Dabis auch gegen eine Karriere als Journalistin oder eine Juristenlaufbahn, die ihr Vater gern gesehen hätte, und studierte Film an der renommierten Columbia University in New York.

Ihr Geld hat die junge Filmemacherin bisher als Drehbuchautorin für die populäre TV-Serie "The L-World" verdient, wo sie vor allem produktives Arbeiten und das "Comedy-Handwerk" gelernt habe. Doch ihr Herz habe bereits sehr lang an einem Projekt wie "Amreeka" gehangen.

"Um das Drehbuch habe ich mir keine Sorgen gemacht. Aber die Finanzierung für die Realisierung des Films, das war ein ganz schönes Problem", so Dabis.

Bei Dutzenden großen Studios habe sie vorgesprochen und jedes Mal dieselbe Antwort erhalten: Das Projekt sei einfach zu kulturspezifisch. Doch Dabis blieb hartnäckig und fand schließlich Unterstützung für das Projekt. "Amreeka" wurde so die erste arabisch-amerikanische Co-Produktion überhaupt, unter der Beteiligung verschiedener amerikanischer Studios, Showtime Arabia und den größten Mediastudios der arabischen Welt, der Rotana Studios.

Der Erfolg von "Amreeka" gibt Cherien Dabis und ihrer Beharrlichkeit recht. Vom Sundance Festival über Cannes bis hin zu den Filmfestivals von Dubai und Beirut räumt "Amreeka" Preis um Preis ab.

Auch den Preis der Kritik in Cannes hat der Film gewonnen. Besonders freut es Dabis, dass der Film sowohl in ihrer Heimat Amerika, wie auch in sämtlichen arabischen Ländern frenetisch gefeiert wird; "Eine schönere Bestätigung könnte ich mir für meine Arbeit gar nicht wünschen."

Rasha Khayat

© Qantara.de 2010

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