Science Fiction in Nahost

Assaf Gavron hat einen Zukunftsroman geschrieben, der seinen israelischen Landsleuten einiges zumutet: Im Jahre 2067 ist Palästina die regionale Großmacht, von Israel ist nur eine kleine Enklave übrig geblieben. Doch das eigentlich Thema ist Wasserknappheit, schreibt Volker Kaminski in seiner Rezension.

Assaf Gavron; Foto: privat
Assaf Gavron, 1968 in Jerusalem geboren und aufgewachsen, studierte in London und Vancouver. Heute lebt der Autor in Tel Aviv.

​​ Im Jahr 2067 herrscht eine globale Dürre. Die schlimmsten Prognosen zu Klimawandel und Erderwärmung haben sich bewahrheitet. Die neuen Supermächte China, Japan und – erstaunlicherweise – die Ukraine teilen die knappen Wasserressourcen unter sich auf, in ihren Ländern agieren die mächtigen Wasserkonzerne. Regenfälle sind eine Seltenheit und werden mittels hoch entwickelter Technologie gesteuert, ihr Eintrittsdatum wird zuvor festgelegt.

Die stets durstigen Menschen trinken "Ohiya-Wasser" oder "Gobogobo-Wasser", das sie von den Konzernen kaufen müssen. Private Wasserspeicherung ist untersagt und das Verbot wird durch ein lückenloses Überwachungssystem kontrolliert.

Düsteres Endzeit-Tableau

Dieses beklemmende Szenario bildet den Ausgangspunkt für Assaf Gavrons Thriller "Hydromania". Seinem düsteren Endzeit-Tableau stellt Gavron eine politische Konstellation zur Seite, die jeden Israeli mit Horror erfüllen muss: Israel, Handlungsort des Romans, ist auf eine Enklave zusammengeschrumpft. Palästina hat den jahrzehntelangen Machtkampf für sich entschieden, Jerusalem ist seit 2030 palästinensische Hauptstadt.

Das israelische Staatsgebiet besteht nur noch aus einem schmalen Streifen am Mittelmeer und zwei Großstädten, von denen die eine, Tiberias, in einem kriegerischen Feldzug der Palästinenser im Laufe des Romans zerstört wird, so dass von Israel nur noch die Hauptstadt Cäsarea und einige umliegende Ortschaften übrig bleiben. Zahllose Israelis leben als Flüchtlinge, die Ärmeren in primitiven Wohnungen auf abgewrackten Zerstörern am Ufer, die besser gestellten in "schwimmenden Vierteln" mit klingenden Namen wie "Meer 8".

Ein Abgrund aus Korruption, Verrat und Mord

Doch abgesehen von dieser Dystopie bleibt in "Hydromania" der Nahost-Konflikt nur ein Detail am Rande. Im Vordergrund stehen Spannung und "Action". Maja, eine ehemalige Angestellte im Finanzministerium, ist schwanger. Sie lebt allein, seit ihr Mann Ido, ein erfolgreicher Wasseringenieur, eines Tages spurlos verschwand.

​​ Am Anfang des Romans unterzieht sich Maja einer "Doy-Operation": In der zukünftigen Welt "Hydromanias" trägt nämlich jeder Mensch einen Chip im Oberarm, der ihm zum Zweck der Kommunikation und Kontrolle einoperiert wurde. Dank dieses intelligenten "Subkutan-Chips" und einer "Interface-Brille", die die Menschen meistens auf der Nase haben, kann man sich überall orientieren, im Netz surfen, telefonieren – kann aber auch jederzeit geortet und überwacht werden.

Ein Bekannter Idos, Dagi, hat Maja den neuen hochwertigen Chip eines kürzlich verstorbenen wohlhabenden Anwalts, Ewig, besorgt. Dass Ewig einem Verbrechen zum Opfer fiel, ahnt Maja nicht. Auch nicht, dass Ewig in Verbindung mit Ido stand und in den Verhandlungen über Idos geheimes Wasserspeicherprojekt involviert war. Während sich der Leser an all die verwirrenden Hightech-Details in der Lebenswirklichkeit Majas noch gewöhnt, überschlagen sich bereits die Geschehnisse und unversehens öffnet sich ein Abgrund aus Korruption, Verrat und Mord.

Gegen die Macht der Monopole

Ido strebt seit Jahren danach die Macht der Wasserkonzerne zu brechen, im Geheimen entwickelte er ein neues effizientes Wasserspeichersystem ("Dschi-Dschi"), das den Konzernen ernsthafte Konkurrenz machen könnte. Maja muss fürchten, dass er nun in Schwierigkeiten steckt und möglicherweise tot ist. Auch sie ist Gegnerin der Wasserkonzerne und führt in Idos Abwesenheit sein Projekt weiter.

Bald verstrickt sich Maja in gefährliche Machenschaften, wird vorübergehend verhaftet, muss Verhöre über sich ergehen lassen und ihren wertvollen Chip wieder abgeben. Sie zieht zur Familie ihres Bruders nach Charod, einem Dorf in der Nähe Cäsareas. Dort beginnt sie ihr Wissen über Wasserspeicherung praktisch anzuwenden und zusammen mit der Dorfgemeinschaft ein großes Speicherprojekt zu bauen.

Wie in seinem letzten Roman "Ein schönes Attentat" bedient sich Gavron der Parallelmontage, wobei die Geschehnisse um Idos Verschwinden in Rückblenden erzählt werden. Während wir miterleben, wie sich Maja bei fortschreitender Schwangerschaft als Wasseringenieurin und Projektleiterin betätigt, erfahren wir parallel dazu, in welche Gefahr Ido geriet, als er versuchte sein Dschi-Dschi-System an den großen Konzernen vorbei zu vermarkten.

Eine technisierte, armselige Hochkultur

Auf den knapp 300 Romanseiten ist eine Vielzahl von Figuren versammelt, darunter der 99-Jährige Assafdschi, den Maja in Charod kennen lernt. Assafdschi bildet eine Art Brücke zwischen den Zeiten, in kurzen essayartigen Texten und Gedichten erinnert er sich daran, dass die Menschen früher einmal ausreichend Wasser hatten. Sehnsüchtig blickt er zurück auf glücklichere Tage, als der Regen ergiebig fiel und eine üppige Natur ihre Reichtümer anbot.

In dieser Figur wird klar, welches Thema Gavron eigentlich intendiert: der drohende Verlust eines menschenwürdigen, von Freiheit und Gemeinschaft erfüllten Lebens angesichts wachsender Versteppung und überbordender Technisierung. Die Welt von 2067 ist trotz hohem Entwicklungsstand verarmt, die Menschen kennen kaum noch Genüsse, weder Alkohol noch Kaffee, weder Schokolade noch Pistazien.

Erzählerische Intelligenz

"Hydromania" ist ein spannender Öko-Thriller mit thematischer Aktualität und ohne störende Schwarz-Weiß-Malerei. Es zeugt von Gavrons erzählerischer Klugheit, dass er Ido, den genialen Ingenieur und Gegner der übermächtigen Wasserkonzerne, nicht als rein positive Figur anlegt. Zwar wird er als idealistisch und mutig beschrieben, sein Verhältnis zu Maja ist harmonisch, als er gegen Ende überraschend wieder auftaucht. Doch in seiner Verbohrtheit kennt Ido keine Grenzen.

Er war zuvor nach Australien geflohen, ohne sich um Maja zu kümmern und ihr bei ihren Schwierigkeiten beizustehen. Erst als er erfährt, dass sie das Dschi-Dschi-Projekt eigenständig betreibt, kehrt er zurück. So läuft der Roman letztlich auf die ethische Frage hinaus, ob ein Wissenschaftler zum Erreichen seiner Ziele die Loyalität gegenüber seinen engsten Angehörigen aufs Spiel setzen darf.

Dass in einem Science-Fiction-Thriller aktuelle politische Fragen in den Hintergrund treten, überrascht wenig. Dennoch erweist sich Gavron auch hier als mutiger Autor, der seiner israelischen Leserschaft ein solches Zukunftsszenario zumutet, worin Israel zur wasserarmen Enklave schrumpft, während Palästina zum herrschenden Staat in der Nah-Ost-Region aufgestiegen ist.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2009

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