"Die Aufklärung hat die Magie zerstört"

Spätestens seit seinem Erfolgsroman "Leyla" gehört der türkischstämmige Schriftsteller Feridun Zaimoglu zu den Starliteraten Deutschlands. Eren Güvercin sprach mit dem preisgekrönten Autor über sein literarisches Schaffen und die Debatte um Integration in Deutschland.

Bild Feridun Zaimoglu; Foto: Nimet Seker
"Der Innenminister hat einmal was Gutes gesagt: Der Islam ist ein Teil dieses Landes. Ich würde noch dazu sagen, dass auch die Muslime ein Teil dieses Landes sind", so Feridun Zaimoglu.

​​ Herr Zaimoglu, Sie sind doppelter Studienabbrecher und Sie sagten einmal über sich, Sie entsprächen einem "typischen Versager". Wie kamen Sie zur Literatur?

Feridun Zaimoglu: Eigentlich nennt man so etwas wie mich einen Angehörigen der bildungsfernen Schichten. Bei uns wurden vor allem türkische Videos angeschaut, dann wurden bei uns Bild und Hürriyet, eine auflagenstarke türkische Zeitung, gelesen, und ansonsten war im obersten Regal, in oberster Höhe – nichts durfte es überragen – das heilige Buch, der Koran. Und darin wurde auch gelesen. Aber eigentlich schwebte es mir nie vor zu schreiben.

Ich habe dem Wunsch meiner Eltern entsprochen und Medizin studiert. Das klappte nicht! Also habe ich Kunst studiert und bin zweimal rausgeflogen. Klappte auch nicht! Dann habe ich elf Jahre lang versucht, meinen Lebensunterhalt als Maler zu verdienen. Eigentlich kann ich sagen, dass es ein Jahr vor "Kanak Sprak", also 1993, anfing. Da fing ich an zu schreiben. Am Anfang standen Gespräche, Wutausbrüche, und ich dachte, genau das mache ich, nämlich diese Stilett-Stakkato, diese melancholisch angewehten Rhapsodien, in meine Kunstsprache zu übersetzen.

Auf Ihr erstes Buch "Kanak Sprak" folgten fast ausschließlich negative Kritiken. Ihnen wurde die literarische Relevanz abgesprochen. Wie war diese Zeit für Sie?

Zaimoglu: Ich bin da ja sozusagen eingebrochen; ich wusste gar nicht, dass es einen Literatursektor gibt. Man mag mich als naiv bezeichnen. Ich habe gedacht: Na ja gut, ich habe ja auch gar nicht vor ein zweites oder ein drittes Buch zu schreiben. Also hat mich das erst einmal wirklich nicht interessiert.

Im Kultursektor sind die Ausscheidungs- und Verteilungskämpfe genauso hart wie im wirklichen Leben. Als ich dann gemerkt habe, dass man dieses Kriterium als Maßstab, als Werkzeug nimmt, wer dazu gehört und wer nicht, habe ich gedacht, jetzt erst recht!

​​ In Ihrem aktuellem Buch "Liebesbrand" geht es um die romantische Liebe. Wie stark ist der autobiografische Bezug in dem Roman?

Zaimoglu: Die Geschichte ist ein Produkt meiner Phantasie. Was den Ich-Erzähler anbelangt, den ehemaligen Börsenmakler, seine Talfahrten, sein romantisches Ausdrucksgefühl, das hasserfüllte, wütende, brennende Verlangen, kann ich schon sagen, das ist mein authentischstes Buch. In meinem nächsten Roman gehe ich noch einen Schritt weiter. Darin geht es um die große Sehnsucht und wohin es einen führt, wenn man sich nicht vorsieht – und man sieht sich nie vor.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass die Liebe "hochreaktionär" sei. Was meinen Sie genau damit?

Zaimoglu: Ich bin nicht geneigt, den Pinschern der Moderne irgendeine Leistung zuzubilligen. Die Aufklärung hat die Magie zum Zerplatzen gebracht. Sie haben die Träume zerstört. Sie haben versucht, den Glauben zu zerstören. Einige haben Gott für verrückt erklärt, sind aber selber verrückt geworden. Wie kommt das denn nur?

Sie haben versucht, ein riesiges Loch mit Bildern zu füllen. Es sind aber künstliche Bilder, nicht jene Traumbilder, nicht jene magischen Bilder, nicht die Glaubensextrakte, die seit Bestehen des Menschen, seit seiner Erschaffung Bestand haben. Wenn ich sage, die Liebe ist hochreaktionär, dann ist das eine ganz bestimmte Erfasstheit von einer Trauer, die wir nie loswerden können, solange wir leben, aber auch von großer Freude, von Auf- und Abschwüngen.

Mich interessiert nur die Liebe zwischen Mann und Frau, alles andere finde ich uninteressant. In der Liebe zwischen Mann und Frau ist ja nur ein einziger gemeint. Ausschließlichkeit und Ausschluss spielen eine große Rolle in der Liebe. Wenn das nicht reaktionär ist – und ich meine das Wort reaktionär positiv – dann weiß ich nicht, was sonst reaktionär sein soll.

Sie nehmen auch an den aktuellen politischen Debatten teil, zeitweise waren Sie Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Wie bewerten Sie die Lage der Muslime in Deutschland, auch vor dem Hintergrund des "Anti-Islamisierungskongresses", der im letzten September in Köln stattfinden sollte und durch Demonstrationen massiv gestört wurde?

Zaimoglu: Zum Anti-Islamisierungskongress in Köln: Da kommen faschistische Pinscher daher, und glauben doch tatsächlich, dass sie den Glauben verkläffen können. Es gab in der Vergangenheit immer wieder törichte Personen, die diesen völlig sinnlosen Versuch unternommen haben. Sie werden kommen, sie werden kläffen – aber die Karawane zieht weiter.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bei der Pressekonferenz zur dritten Plenarsitzung der Islamkonferenz, März 2008; Foto: AP
Zaimoglu kritisierte 2007 als Teilnehmer der Islamkonferenz, dass keine gläubige Muslima eingeladen war. Initiator der Islamkonferenz ist Innenminister Wolfgang Schäuble.

​​Was die Entwicklung des Islam hier betrifft, bin ich sehr gut gelaunt, weil wir trotz der Versuche, gläubige Muslime in Verruf zu bringen, trotz dieser Störmanöver von Profilneurotikerinnen und -neurotikern, gesehen haben, dass es einen organischen Zuwachs gibt. Der Innenminister hat einmal was Gutes gesagt: Der Islam ist ein Teil dieses Landes. Ich würde noch dazu sagen, dass auch die Muslime ein Teil dieses Landes sind. Es ist eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist.

Ich sehe natürlich viele falsche Propheten, viele falsche Verkünder, die mit dem Feuer spielen. Ich sehe andererseits aber auch einen großen Strom von Menschen, die sich nicht von irgendwelchen Appellen aufhalten lassen, ihren Glauben bitte schön auszuleben. Und ob das nun Anti-Islamisierungsquatsch heißt, oder Anti-Islam-Quatsch, es gibt ja immer diese Saisonarbeiter der Aufklärer. Sie kommen und werden auch wieder gehen. Ich habe allen Grund zu großer Heiterkeit. Die Karawane zieht weiter. Viel später wird man dann die Skelette der Hunde in der Wüste zählen.

Sie waren anfangs Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. 2007 bemängelten Sie, dass ausschließlich so genannte Islam-Kritikerinnen und Kritiker eingeladen waren. In einer öffentlichkeitswirksamen Aktion haben Sie dann Ihren Platz einer gläubigen Muslimin angeboten. Wie war die Reaktion auf Ihre Aktion?

Zaimoglu: Selbsterklärte Feministinnen und Islam-Skeptikerinnen – keine Ahnung was das heißen soll – haben mich natürlich angegriffen. Sie haben mit Lügen, mit Unwahrheiten, mit Verdrehungen und Manipulation gearbeitet. Sie haben versucht, den Eindruck zu erwecken, als wäre das für mich eine Show. Komischerweise hat auf deutscher Seite bis auf eine Ausnahme kein Zweifel bestanden, dass ich es wirklich ernst meine.

Dutzende und aber Dutzende gläubige Muslima haben sich gemeldet und gesagt, dass sie sich vor der Konstitution der Islamkonferenz selbst gemeldet haben, um an der Konferenz teilzunehmen. Aber auf sie wurde nicht eingegangen. Jetzt gibt es den Versuch, mich wieder zurückzuholen. Aber solange dort keine gläubige Muslima ist, die Verleumdungen und Lügen begegnen kann, habe ich dort nichts zu suchen.

Interview: Eren Güvercin

© Qantara.de 2008

Qantara.de

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