Ein wenig Orient

Bei ihrem viel beachteten Debut "Per Se" hat das Berliner Jazzensemble Cyminology erfolgreich Jazz mit orientalischen Elementen kombiniert. Aber trägt das Konzept auch für das zweite Album? Ralf Dombrowski hat sich "Bemun" angehört.

Musik zu machen in einer Zeit, in der im Prinzip alles erlaubt ist, und schlimmer noch, kaum mehr etwas ästhetisch provoziert, ist eine Herausforderung. Denn wie findet man das, was einen selbst betrifft, was die Klischees der Wahrnehmung und Gestaltung hinter sich lässt und was wohlmöglich ein bisschen mehr zu bieten hat als nur das kunstinterne Spiel mit den Möglichkeiten?

Die Antworten sind so zahlreich wie die Menschen, die nach ihnen suchen. Da übergreifende, normative Sinnstiftungen in einer wertoffenen Kultur keine Entsprechungen mehr haben, blieben schließlich nur individuelle Lösungen. Im Fall des Berliner Quartetts Cyminology haben sie ein wenig mit Orient zu tun.

Kulturpolitische Absicht in der Musik?

Liest man Kritiken über die Band, fällt auf, dass einige Stereotype immer wieder bemüht werden. Wie schön es sei, wird gerne betont, dass sich hier in der Musik iranische und amerikanische Traditionen friedlich und freundschaftlich und mühelos verbinden würden. Ganz so, als stünde eine kulturpolitische Absicht hinter einer Gruppe, die vor allem nach ihrer stilistischen Identität sucht.

Bei genauerem Hinsehen jedoch erweist sich das Bild als weitaus vielschichtiger, persönlicher und auch beliebiger. Cymin Samawatie singt in persischer Sprache, und die Vorlagen ihrer Lieder stammen von Autoren wie Hafiz, Omar Khayyam oder sind Verse aus den Psalmen.

Sie handeln in der Regel von der Liebe, von Emotionen oder Gott, sind weit in der Vergangenheit verortet, in ihrer Aktualität vergleichbar vielleicht mit Poemen eines Walters von der Vogelweide.

Ohne zwingenden inhaltlichen Bezug

Cymin Samawatie; Foto: www.cyminology.de
Cymin Samawatie singt in persischer Sprache und die Vorlagen ihrer Lieder stammen von Autoren wie Hafiz, Omar Khayyam oder sind Verse aus den Psalmen.

​​Es sind schöne, nachhaltige Worte in einer Sprache, deren Zauber Samawatie einst von ihrer Tante nahe gebracht wurde, in jungen Jahren in ihrer Geburtsstadt Braunschweig, wohin es die iranischen Eltern noch zu Schah-Zeiten verschlagen hatte.

Es sind zufällige Inspirationen, weit entfernte historische Ahnungen, ohne zwingenden inhaltlichen Bezug zur Situation, in der sie verwendet werden, erwachsen aus den persönlichen Vorlieben, die die 31-jährige Sängerin als Kind der zweiten Generation entwickelt hat, aber für das Konzept der Band nicht vorrangig von Bedeutung.

Vermutlich könnte Samawatie genauso Stellen aus dem Tao-Te-King oder dem I Ging singen, an der Wirkung der Musik würde sich kaum etwas ändern.

Das wiederum hängt mit den Klangwelten zusammen, auf die die übrigen Musiker Benedikt Jahnel am Klavier, Ralf Schwarz am Bass und der Schlagzeuger Ketan Bahtti zurückgreifen. Sie haben studiert, überwiegend in Berlin, haben gelernt, dass es wenig Sinn hat, das historisch amerikanische Modell zu kopieren, und sind groß geworden in einem künstlerischen Mischkosmos von bröckelnden Gewissheiten und Internationalität.

Fein dosierter Wohlklang

Anything Goes, auch hier und ohne Vorgaben. Macht, was ihr wollt, oder besser, was euch Spaß macht. Dementsprechend bunt erscheint, was Cyminology spielt. Da hat es ein wenig Kammerjazz, sphärische Weiten verhallter Introspektion, zuweilen gut versteckte ungerade Rhythmen, fein dosierten Wohlklang in Form schweifend mäandrierender Klavier-Linien, den melodisch verstandenen Kontrabass der wieder zu sich gefundenen Avantgarde, zusammen gehalten von einem behutsamen Puls des Schlagzeugs.

Sehr angenehme Musik also, schmeichelnd, stimmbetont und markant durch das klare Timbre und die gebundene, sich dem swing verweigernde Vortragsweise von Cymin Samawatie.

Zwei Alben sind während der vergangenen zwei Jahre entstanden, "Per se" (2005) und "Bemun" (2007), viele Konzerte wurden gespielt, in aller Welt inzwischen, unterstützt auch durch den aktiven Kulturexport des Goethe-Instituts.

Das Schöne ist: Auf "Cyminology" kann man verweisen, denn deren Musik tut niemandem weh. Im Gegenschluss bleibt allerdings die Frage, wem sie wirklich nutzt. Den Künstlern natürlich, die im polystilistischen Umfeld der Youtube-Gegenwart nach eigenen Ideen forschen.

Der springende Punkt: die Individualität

Den Zuhörern der Konzerte mit Sicherheit, die schon aufgrund der spieltechnischen Kompetenzen der Beteiligten hochqualitative Unterhaltung geboten bekommen. Dem kulturellen Diskurs nur bedingt, denn dazu sind Musik und Konzept von Cyminology zu individuell.

Sie wollen weder etwas ändern, noch etwas bewirken, und wenn doch, dann in dem Sinne, Selbstbewusstsein zu demonstrieren, sich nicht auf die Traditionen zur verlassen, sie aber trotzdem zu integrieren, hierarchiefrei und den persönlichen Geschmäckern folgend.

Vielleicht ist das überhaupt die Lösung, ohne lästige Diskussionen und Zielvorgaben so etwas wie Kunst zu machen.

Ralf Dombrowski

© Qantara.de 2007

Qantara.de

Die Berliner World-Jazz-Band Cyminology
Ein fein gewobener Stoff aus Mystik und Musik
Die deutsch-persische Sängerin Cymin Samawatie ist Kopf der Band Cyminology. Mit dem Quartett hat sie unter anderem die Texte des persischen Dichters Hafez und des Gelehrten und Lyrikers Omar Khayyam vertont. Ein Porträt von Lewis Gropp

Dossier: Musikwelten
In der islamischen Welt und Europa hat sich längst eine eigenständige, moderne Musikszene entwickelt, die sich fernab von Bauchtanz- und Folkloreklischees bewegt. In diesem Dossier stellen wir einige ihrer wichtigsten Akteure, Stilrichtungen und Begegnungen vor.

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Website von Cyminology