Petra Dünges, 17. April 2004

zu: Wir sind auch wer!, von Jürgen Stryjak

Sehr geehrter Herr Stryjak,

vielen Dank für Ihren interessanten Artikel vom 11.2. 2004 über die ägyptische Kinderliteratur.

Sie schreiben, dass es für Kinder in Ägypten vor allem Bücher zum spielerischen Lernen gibt und dass die wenigen Erzählungen, die sich an Kinder wenden, meist einen sehr starken pädagogischen Unterton haben. Soweit ich sehe, kann man diese Beobachtung auf den arabischen Kinderbuchmarkt insgesamt verallgemeinern.

Zum Inhalt der Kinderbücher habe ich folgendes festgestellt. Viele arabische Kinderbücher handeln von religiösen oder anderen traditionellen Gegenständen. Auf der einen Seite werden Themen für Kinder häufig aus dem Koran oder aus dem Leben des Propheten Mohammed geschöpft, auf der anderen Seite gibt es z.B. die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Für größere Kinder gedacht sind Lebensbeschreibungen berühmter arabischer Wissenschaftler und Literaten aus dem Mittelalter.

Des öfteren findet man auch Übersetzungen oder Adaptionen von Büchern aus dem europäischen Sprachraum (leider oft ohne Autoren- oder Übersetzerangabe), die Märchen der Brüder Grimm sind beispielsweise recht beliebt. Für ältere Kinder gibt es vor allem Abenteuergeschichten und Sachbücher.

Erzählungen, in denen Krieg und Gewalt in den buntesten Farben ausgemalt werden, sind keine Seltenheit - derartiges gibt es bereits für kleine Kinder und auch in Bilderbuchform. Man findet auch immer wieder Bücher, in denen Kinder zum Hass auf Israelis oder Juden allgemein aufgestachelt werden.

Vor einigen Jahren fragte ich einen Buchhändler des Institut du Monde Arabe in Paris nach Kinderliteratur, die er mir zur Übersetzung ins Deutsche empfehlen könnte. Er gab mir mit leuchtenden Augen ein Buch über einen palästinensischen Waisenjungen, der in einem Flüchtlingslager lebt, und der sich zu einem Kämpfer gegen die Israelis entwickelt. Dabei darf eine detaillierte Anleitung zum Bau eines Molotow-Cocktails nicht fehlen.

Aber auch die Gedanken, die dem Jungen durch den Kopf gehen, als er nachts auf den israelischen Konvoi wartet, den er angreifen wird, werden genau geschildert. Er hat zunächst Zweifel, ob er das Attentat ausführen soll, denn auch der Gegner ist ein Mensch. Aber schießlich siegt seine Liebe zu Palästina, er wirft die selbstgemachte Bombe und wird zum Helden. Am Schluss werden die Leserinnen und Leser aufgefordert, diese Geschichte weiterzuerzählen und vielleicht später auch zu solchen Helden zu werden. Dieses Buch ist zwar ein Extremfall, aber leider kein Einzelfall. Es ist traurig, dass die Herzen der Kinder so mit Hass vergiftet werden.

Insgesamt ist die Qualität der Texte und Illustrationen bei der Mehrzahl der Bücher für Kinder nicht sehr hoch. Das ist sicher auch darauf zurückzuführen, dass sich viele Eltern teure Bücher nicht leisten können. Ich habe allerdings den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren eine leichte Wandlung abzeichnet und Bücher mit mehr Liebe produziert werden.

So muss man schon eine ganze Weile suchen, um Kinderbücher zu finden, die sich für eine Übersetzung aus dem Arabischen eignen. Aber die Mühe lohnt sich, denn es gibt arabische Bücher mit hervorragenden llustrationen und phantasievollen Texten, die auch deutschen Kindern große Freude bereiten können.

Sicher ist es eine gute Idee, deutsche Kinderbücher ins Arabische zu übersetzen. Aber es ist genauso wichtig, dass eine Übersetzung in die umgekehrte Richtung stattfindet. Bisher haben ja nur wenige arabische Kinderbücher ihren Weg ins Deutsche gefunden. Die nächste Frankfurter Buchmesse, wo die arabische Welt Ehrengast ist, wird hoffentlich die Gelegenheit bieten, viele Kontakte zwischen deutschen und arabischen
Verlagen zu knüpfen. Ich freue mich schon darauf.

Mit freundlichen Grüßen -

Petra Dünges