Fatwa gegen Revolten

Während Frankreichs rechte Presse hinter den Ausschreitungen radikale Islamisten wittert und die Konflikte in den Banlieues weiter anheizt, treten dort muslimische Verbände immer deutlicher als Ordnungshüter in Erscheinung.

Während Frankreichs rechte Presse hinter den Ausschreitungen radikale Islamisten wittert und die Konflikte in den Banlieues weiter anheizt, treten dort muslimische Verbände immer deutlicher als Ordnungshüter in Erscheinung – im Interesse der französischen Politik. Über Ursachen und Hintergründe der Krawalle in Frankreich berichtet Bernhard Schmid

11. Krawallnacht in Frankreich - Ausschreitungen in Toulouse, Foto: dpa
In der jüngst von der "Union islamischer Organisationen in Frankreich" (UOIF) erlassenen Fatwa heißt es: "Es ist einem gläubigen Muslim streng verboten, an solchen Aktionen teilzunehmen, die private und öffentliche Güter schädigen oder menschliches Leben gefährden"

​​Die Unruhen in den französischen Trabantenstädten sind zunächst eine Folgeerscheinung der Konzentration sozialer Probleme und wirtschaftlichen Elends in diesen Siedlungsräumen, in die alle verarmten und ausgrenzten Bevölkerungsgruppen – unterschiedlicher Herkunft und Religion - aus den Kernstädten gedrängt werden.

Empörung über Polizeischikanen

Zugleich sind sie Ausdruck der Erbitterung über die als schikanös und diskriminierend erlebten Kontrollpraktiken der kasernierten Polizeiverbände, die – meist ortsfremd und die dort ansässige Bevölkerung mit Misstrauen betrachtend – in den Banlieues eingesetzt werden.

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international hatte bereits in einem Bericht vom April 2005 davor gewarnt, es werde zu einer Eskalation der Spannungen kommen, falls diese Praktiken so wie bisher fortgesetzt würden.

Mediale Verschwörungstheorien

Vor allem in den ersten Tagen nach Ausbruch der Unruhen übte sich ein Teil der Boulevard- sowie der politisch rechtslastigen Presse im Schüren von Ressentiments, unter anderem indem sie an Trugbilder über die Rolle "des Islam" oder über angeblich organisierte Islamisten als Hintermänner der Revolte berichteten.

Die Boulevardzeitung "France Soir" sprach zu einem sehr frühen Zeitpunkt davon, radikale Islamisten würden in Clichy-sous-Bois – dem Ort, von dem die Revolte nach dem Tod zweier Jugendlicher ursprünglich ausging – hinter den Kulissen Straßenkämpfe mit der Polizei organisieren.

Diese Behauptung wurde allerdings nicht durch den kleinsten Hinweis belegt. Das rechte Wirtschaftsmagazin "Valeurs actuelles", das vor allem über Wirtschafts- und Armeethemen berichtet und dessen Publikum – einer Leserumfrage zufolge – zu 25 Prozent rechtsextrem und zu 65 Prozent konservativ wählt, stiess in dasselbe Horn.

Die Zeitschrift sprach von einer "Intifada in den Vorstädten" und davon, die französischen Trabantenstädten seien angeblich stark vom Islamismus beeinflusst.

Keinerlei Organisation hinter den Unruhen

Dagegen ergibt eine Auswertung der Unterlagen aus Polizeiverhören und von Gerichtsakten, im Zuge dutzender Strafverfolgungen im Eilverfahren gegen Beteiligte an den Unruhen, ein völlig anderes Bild. Der Staatsanwalt von Bobigny, der Hauptstadt des Vorstadtbezirks Seine-Saint Denis nördlich von Paris, François Molets, erklärte:

"Die Jugendlichen zündeln da, wo sie wohnen. Der Wohnort und die Orte, wo die Festgenommenen aufgegriffen wurden, liegen fast immer sehr nahe beieinander. Es gibt keinerlei Organisation hinter den Unruhen. Im Gegenteil gibt es in den Vierteln, wo Mafiagruppen oder Islamisten eine gewisse Kontrolle ausüben, fast keine Unruhen. Sie werden durch diese Gruppen systematisch unterbunden." – Denn diese hätten wohl wenig Interesse daran, die Polizei in diese Stadtteile zu ziehen.

Muslimische Verbände als "Ordnungshüter"

Gleichzeitig aber treten muslimische Verbände im Zusammenhang mit den Unruhen als "Ordnungsstifter" auf. Teilweise auch solche Organisationen, mit einer gewissen Nähe zum politischen Islam, wie die "Union islamischer Organisationen in Frankreich" (UOIF), die auf internationaler Ebene enge Kontakte zu den Muslimbrüdern hält.

Innenminister Nicolas Sarkozy, der vorwiegend den Ruf als Mann der Repression innehat, baut darauf auch seit Jahren seine Strategie auf. Den muslimischen Verbänden kommt dies entgegen, auch den konservativen Elementen und denen mit islamistischen Sympathien.

Besteht deren zentrales ideologisches Anliegen doch in einer – nötigenfalls autoritären – Festigung der moralischen Werte der Gesellschaft, welche aus ihrer Sicht die Voraussetzungen für ein geordnetes Zusammenleben schafft, die verloren gegangen seien.

Innenminister Sarkozy konnte sich so als Vertreter politischer "Ausgewogenheit" präsentieren, da er zugleich Integrationsangebote an Vertreter von Migrantengruppen mache und ansonsten die notwendige Repression garantiere.

Auch in der jüngsten Krise nach den Ereignissen von Clichy-sous-Bois mobilisierte Sarkozy wieder einige muslimische Gruppierungen, die zur "Rückkehr der Ordnung" aufriefen. In einer Reihe von Moscheen in Frankreich wurde dafür gepredigt.

Spekulationen um Moschee-Explosion

Erschwert wurde dies jedoch dadurch, dass drei Tage nach Beginn der Unruhen, am 30. Oktober, eine Tränengasgranate der Polizei mitten in einer Moschee in Clichy explodierte.

Die Gläubigen flohen panikartig aus dem Gebetssaal, der in einem Einkaufszentrum liegt. Ein Versehen, wie die Einsatzleiter behaupteten oder ein absichtlicher Racheakt von Polizisten, wie viele Einwohner argwöhnten?

In den muslimischen Gemeinden war daraufhin jedenfalls ein wachsender Unmut zu verzeichnen. Der als moderat bekannte Rektor der Pariser Zentralmoschee und oberste Repräsentant des institutionalisierten Islam, Dalil Boubakeur, kritisierte schließlich den Innenminister mit verhaltenen Worten.

Ihm fiel wiederum die UOIF, die eher den rechten und reaktionären Flügel des institutionalisierten Islam vertritt, in den Rücken: Sie kritisierte, dass Boubakeur in "unzulässiger Weise Politik betrieben" habe.

Strategische Allianzen der islamischen Verbände

Zum Hintergrund des Streits gehört jedoch auch, dass Boubakeur dem französischen Präsidenten Chirac nahe steht, während die Spitze der UOIF in den letzten Jahren eine strategische Allianz mit Sarkozy eingegangen ist.

Letztere dankte dem Innenminister, durch den der UOIF in den letzten Jahren erstmals eine institutionelle Anerkennung zuteil wurde, indem diese jüngst eine "Fatwa gegen Krawalle" erließ.

Der Erlass wurde am 7. November veröffentlicht. Darin wird mit religiösen Argumenten begründet, warum es "einem gläubigen Muslim, der nach Erfüllung und göttlicher Gnade sucht, streng verboten ist, an solchen Aktionen teilzunehmen, die private und öffentliche Güter schädigen oder menschliches Leben gefährden können."

In Rosny-sous-Bois, einer der Pariser Vorstädte im Krisenbezirk Seine-Saint Denis, organisierte eine der UOIF-nahen Vereinigungen, die "Association des musulmans de Rosny", nächtliche Patrouillen, um das Anzünden von Autos und Plünderungen zu verhindern.

UOIF als "Hilfspolizei Sarkozys"?

Die UOIF mobilisierte sogar internationale Unterstützung. Aus dem Golfstaat Qatar meldete sich der aus Jordanien stammende Youssuf al-Qardawi, der als ein den Muslimbrüdern nahe stehender, international einflussreicher Theologe gilt und dem "Fatwa-Rat" der UOIF angehört, via "Islam Online" zu Wort.

Auch er begründete auf religiöser Ebene, warum die Teilnahme an Revolten und Ausschreitungen für einen Gläubigen keine gute Sache sei.

Auf der Webpage "Oumma.com", die von reformislamischen Intellektuellen und einigen französischen Linken betrieben wird, stöβt die Position der UOIF dagegen auf heftige Kritik. Letztere wird unter anderem als "Hilfspolizei Sarkozys" gescholten.

Ferner wird kritisiert, sie mache aus den Unruhen eine "kommunitaristische Angelegenheit", indem so getan werde, als nähmen nur Muslime an den Unruhen teil und indem den Jugendlichen auf einer Argumentationsebene begegnet werde, nach dem Motto: "Ihr seid schlechte Muslime".

Stattdessen gelte es, "die sozialen Probleme nicht als kommunitaristische oder konfessionelle Angelegenheit", sondern als gesamtgesellschaftliche Probleme darzustellen.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2005

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