Das Dilemma des syrischen Präsidenten

Nach dem Bericht des UN-Ermittlers Detlev Mehlis fürchten Baschar al-Assad und das Baath-Regime um ihre Macht. Der syrische Präsident ist daher gezwungen, für sein politisches Überleben einen hohen Preis zu bezahlen.

Nach dem Bericht des Berliner UN-Ermittlers Detlev Mehlis fürchten Baschar al-Assad und das Baath-Regime um ihre Macht. Der syrische Präsident ist deshalb gezwungen, für sein politisches Überleben einen hohen Preis zu bezahlen, meint Abdel Mottaleb al-Husseini.

Präsident Baschar al-Assad, Foto: AP
Nach der Resolution des UN-Sicherheitsrates gerät der syrische Präsident al-Assad erheblich unter politischen Druck

​​"Wenn Du, mein Herr, davon gewusst hast, dann wäre das ein großes Unglück. Und wenn Du nicht davon gewusst hast, dann wäre das Unglück noch größer."

Mit diesem sprichwörtlichen Vers eines arabischen Dichters bezichtigte der Kommentator der saudischen Zeitung "Asharq al-Awsat" den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einer politischen Mitverantwortung an der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premiers al-Hariri.

Ähnliche Analysen, die den Bericht des Berliner UN-Ermittlers Detlev Mehlis als glaubwürdig betrachten, kann man, mit Ausnahme der syrischen staatsgelenkten Medien, in fast der gesamten arabischen Presse lesen. Einig sind sich die Kommentatoren auch in der Beurteilung des Ernstes der Lage, in der sich das Baath-Regime befindet.

Die Zeiten, in denen mit größter Vorsicht über die syrische Politik geschrieben wurde, gehören der Vergangenheit an. Das jahrzehntelang gefürchtete Regime in Damaskus befindet sich zum ersten Mal in einer tiefen, in einer existenziellen Krise.

Existenzielle Krise der Regierung

Die Ermordung Rafik al-Hariris, unabhängig von der Identität der Täter, ist nicht die alleinige Ursache für diese Krise der syrischen Politik, sie stellt vielmehr ihre Folge dar. Präsident Baschar al-Assad erbte vor fünf Jahren verkrustete Machtstrukturen, die sich gegenüber den notwendigen demokratischen Reformen als äußerst immun erwiesen.

Die Hoffnungen der syrischen Zivilgesellschaft auf einen politischen Frühling wurden rasch enttäuscht. Die Basis der politischen Macht blieb auf die alten Sicherheitsapparate beschränkt. Das hat außenpolitisch vor allem zu gravierenden Fehleinschätzungen der Veränderungen der Weltpolitik seit den Terroranschlägen vom 11. September geführt.

Aber schon zuvor, im Mai 2000, war Syrien nicht im Stande gewesen, die richtigen Konsequenzen aus dem Abzug Israels aus Libanon zu ziehen. Statt seinerseits die Armee zurückzuziehen, verstärkte Damaskus seine Kontrolle und klammerte sich an die Hisbollah als mögliches Druckmittel bei eventuellen Verhandlungen mit Israel über die Golan-Höhen.

Diese Politik führte zur Auflösung des Bündnisses Syriens mit vielen seiner libanesischen Verbündeten, vor allem mit al-Hariri. Und sie wurde weder von den UN noch von Frankreich akzeptiert, das bis zum vergangenen Jahr als einziger westlicher Freund Syriens galt.

Die internationale Gemeinschaft war vor allem an der Beendigung der militärischen Spannung an der israelisch-libanesischen Grenze und an der libanesischen Souveränität interessiert.

Auf die Gefahr, seinen Einfluss in Libanon zu verlieren, reagierte das syrische Regime nach dem überkommenen Muster. Gegen den Willen der libanesischen Mehrheit und gestützt auf seinen Sicherheitsapparat hat Damaskus im vergangenen Herbst das Amt des libanesischen Präsidenten Émile Lahoud verlängert.

Das führte direkt zur UN-Resolution 1559, die den Abzug der syrischen Truppen aus Libanon und die Entwaffnung der Hisbollah verlangt. Dabei näherten sich Frankreich und die USA einander an. Eine fatale Entwicklung für Syrien, das seitdem völlig isoliert ist.

Die libanesische antisyrische Opposition konnte sich konstituieren und erfreut sich einer breiten internationalen Unterstützung. Unter diesen Bedingungen kam es zu dem Attentat auf al-Hariri und schließlich sogar zum bis dahin unvorstellbaren Abzug der syrischen Truppen aus Libanon.

Das syrische Regime verlor so nicht nur seinen Einfluss in Libanon. Es steht inzwischen eben auch unter dem Verdacht, hinter dem Mord an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten zu stehen. Präsident Assad musste und muss daher nach dem Willen des UN-Sicherheitsrats mit dem Chefermittler Detlev Mehlis zusammenarbeiten. Und das ist eine schwer zu erfüllende Forderung.

Es ist schwer vorstellbar, dass Syrien die höchsten Sicherheitsleute, die wahren Herrscher des Landes, ausliefert. Dies würde einem politischen Selbstmord Assads gleichkommen.

Der Preis des politischen Überlebens

Das Regime ist innenpolitisch noch immer stabil. Aber es kann nicht auf Abschreckung verzichten. Die Angst der syrischen Machthaber vor Protestbewegungen nach dem libanesischen Beispiel sitzt tief. Daran ändert auch die momentane Schwäche der syrischen Opposition nichts. Um dieser Situation zu begegnen, verfügt die syrische Politik über keine Mittel.

Deshalb gingen zuletzt von Damaskus widersprüchliche Signale aus. Einerseits wurde der UN-Bericht zur Ermordung al Hariris als pure Lüge zurückgewiesen. Andererseits erklärt sich Syrien bereit, mit Mehlis zusammenzuarbeiten.

Präsident Assad muss anscheinend für sein politisches Überleben einen hohen Preis bezahlen. Die USA verlangen von ihm dreierlei. Erstens die Schließung der syrischen Grenze nach Irak für die terroristischen Dschihaddisten. Zweitens ein Ende der Unterstützung der radikalen palästinensischen Organisationen und drittens die Kooperation bei der Aufklärung des Mordes an al-Hariri.

Das syrische Regime ist anscheinend bereit, die ersten beiden Forderungen zu erfüllen. In der Logik des Regimes ist jedoch die dritte Forderung nur schwer erfüllbar, da dies die Basis der Macht Assads erschüttern könnte. Keine guten Aussichten für das Baath-Regime in Syrien.

Abdel Mottaleb al-Husseini

© Abdel Mottaleb al-Husseini 2005

Der Autor ist gebürtiger Libanese und freier Journalist in Deutschland.

Qantara.de

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