Konzentration an der Spitze

Fußball ist eine stark globalisierte Branche, von der auch die Dritte Welt betroffen ist. Doch bedeutet die Abwanderung von Profispielern in die reichen europäischen Clubs nicht immer einen Nachteil für die Entwicklungsländer, meint Branko Milanovic.

Fußball ist eine stark globalisierte Branche, von der auch die Dritte Welt betroffen ist. Doch bedeutet die Abwanderung von Profispielern in die reichen europäischen Clubs nicht immer einen Nachteil für die Entwicklungsländer, meint Branko Milanovic.

Fußballklub Arsenal London; Foto: &copy Arsenal.com
Der Londoner Fußballklub Arsenal besteht inzwischen fast ausschließlich aus ausländischen Spitzenspielern, schreibt Branco

​​Fußball ist nicht nur der beliebteste Sport, sondern wahrscheinlich auch die am stärksten globalisierte Branche auf dieser Welt.

So ist es unvorstellbar, dass sich brasilianische, kamerunische oder japanische Ärzte, Computerspezialisten, Arbeiter oder Bankangestellte ebenso frei ihren Arbeitsplatz in verschiedenen Ländern suchen wie brasilianische, kamerunische oder japanische Fußballer.

Der Londoner Fußballklub Arsenal besteht zur Gänze aus Ausländern, auch der Coach ist Franzose. Sogar die Rolle des Kapitäns ist nicht mehr nur einheimischen Spielern vorbehalten: Der Franzose Thierry Henry ist der Kapitän von Arsenal, Andrej Schewtschenko, ein Ukrainer, übernimmt oft das Kapitänsband beim AC Mailand und der Argentinier Christiano Zanetti ist Kapitän bei Inter Mailand.

Ebenso spielen Dutzende Südamerikaner und Afrikaner in russischen, türkischen, polnischen und verschiedenen südosteuropäischen Fußballligen.

Vorgeschmack auf wirklich globalisierte Arbeitswelten

Der Fußballsport bietet einen Vorgeschmack, wie die echte Globalisierung der Arbeitswelt aussehen könnte. Wie auch in anderen Sparten entstanden die Einschränkungen der Mobilität von Arbeitskräften auch im Fußball gänzlich auf der Nachfrageseite. Mit Ausnahme der kommunistischen Länder gab es nie irgendwelche Einschränkungen bei den Transfers von Fußballern.

Auf der Nachfrageseite aber herrschten aufgrund einer Vorschrift, wonach ein Klub nie mehr als zwei Legionäre pro Spiel einsetzen durfte, sehr wohl Beschränkungen.

Mit der so genannten "Bosman"-Entscheidung, benannt nach einem belgischen Spieler, der die Anwendung dieser Regel im Falle von Spielern aus Ländern der Europäischen Union erfolgreich anfocht, wurde diese Einschränkung aufgeweicht. Die heftigen Attacken der reichsten Fußballklubs Europas, die freie Hand bei der Verpflichtung der besten Spieler aus jedem Land verlangten, brachten diese Regelung endgültig zu Fall.

Globalisierung und Kommerzialisierung

Wo also Globalisierung und volle Kommerzialisierung die Oberhand behalten, kommt es zu einer unverkennbaren Konzentration von Qualität und Erfolg. Man denke an die Zahl jener Klubs, die sich für die Endrunde der Champions League qualifizierten.

Wenn wir den Zeitraum von 1967 bis 1986 in Fünfjahresintervallen betrachten, schwankte die Zahl der Mannschaften, die sich für das Viertelfinale qualifizierten, zwischen 28 und 30. In den nächsten beiden Fünfjahresintervallen fiel diese Zahl auf 26 und in der jüngsten Periode (zwischen 2000 und 2004) gelang das nur noch 21 Teams. Die Schlussfolgerung ist einfach: Immer weniger Klubs schaffen es bis zur europäischen Elite.

In den nationalen Ligen bietet sich ein ähnliches Bild. Seit der Gründung der englischen Premier League im Jahr 1992, ging der Titel nur einmal nicht an Manchester United, Arsenal oder Chelsea. In Italien gewannen mit zwei Ausnahmen entweder Juventus oder der AC Mailand alle Serie-A-Meistertitel. In Spanien ging der Meistertitel nur drei Mal seit 1985 nicht an Real Madrid oder Barcelona.

Der Grund für diese Konzentration an der Spitze liegt auf der Hand: Die reichsten Klubs können sich die besten Spieler der Welt leisten. Dazu kam allerdings wohl auch eine Qualitätsverbesserung des Spieles selbst, aufgrund so genannter "steigender Skalenerträge", wie die Ökonomen sagen würden.

Wenn die besten Spieler zusammen in einem Team spielen, steigt die Qualität des einzelnen und des Teams exponentiell an. Wenn Ronaldinho und Messi oder Kaka und Schewtschenko in einer Mannschaft zusammenspielen, ist ihr gemeinsamer "Output" (die Zahl der Tore) größer als die Summe der Tore, die jeder von ihnen bei einem anderen Klub mit weniger talentierten Mitspielern geschossen hätte.

Die uneingeschränkte Mobilität von Arbeitskräften würde auch in anderen Bereichen wahrscheinlich zu demselben Ergebnis führen. Könnten sich Ärzte, Computerspezialisten oder Ingenieure (vom sprichwörtlichen polnischen Klempner ganz zu schweigen!) frei bewegen, würde die Konzentration an qualifizierten Arbeitskräften in den reichsten Ländern höchstwahrscheinlich steigen.

Die Ungleichheit in der Verteilung qualifizierter Kräfte zwischen den Ländern würde ebenso zunehmen, auch wenn der Gesamtausstoß an Gütern und Dienstleistungen sowie deren durchschnittliche Qualität wie im heutigen Fußball stiege.

Ärmere und kleinere Länder können nur davon träumen, die europäische Fußballmeisterschaft zu gewinnen, wie es beispielsweise einst Steaua Bukarest (Rumänien), Roter Stern Belgrad (Serbien) oder Nottingham Forest (vegetiert heute in der dritten englischen Division dahin) gelungen ist.

Vorteile für die nationalen Fußballteams

Während wir allerdings im Klubfußball Ungleichheit und Ausgrenzung beobachten, trifft bei Wettbewerben zwischen Nationalmannschaften das Gegenteil zu. Die durchschnittliche, für den Sieg entscheidende Tordifferenz bei Spielen unter den acht besten Weltmeisterschaftsteilnehmern ist konstant gefallen.

In den 1950er Jahren betrug sie über zwei Tore, fiel dann in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren auf ungefähr 1,5 und lag bei der Fußballweltmeisterschaft 2002 bei 0,88 Toren.

Das Gleiche gilt für alle Endrundenspiele, nicht nur für die Spiele unter den acht besten Mannschaften. Die Verringerung der Tordifferenz ist umso bemerkenswerter, als die Anzahl der Teilnehmer bei Weltmeisterschaften von 16 auf 32 Nationalteams angewachsen ist, von denen viele neu und ziemlich unerfahren waren.

Erstaunlicherweise wurden diese Mannschaften von den traditionellen Fußballgroßmächten aber nicht vernichtend geschlagen. Ganz im Gegenteil, zu den besten acht Teams der letzten vier Weltmeisterschaften gesellten sich zwei "Newcomer" hinzu, die nie ein Viertelfinale bestritten, wie die Türkei und Südkorea im Jahr 2002.

Auch dafür gibt es zwei Gründe. Erstens führt der freie Personenverkehr dazu, dass sich die guten Spieler aus kleinen Ligen, im Ausland sehr viel stärker verbessern als bei einem einheimischen Klub. Ein guter Spieler aus Dänemark oder Bulgarien verbessert sich rascher, wenn er bei Manchester United oder Barcelona spielt.

Mobilität und Qualitätsverbesserung

Zweitens wurde diese Qualitätsverbesserung dank einer FIFA-Regelung, wonach Spieler nur für die Nationalmannschaft ihres Heimatlandes spielen dürfen, in die Nationalmannschaften "übernommen". Eto'o darf zwar für jeden spanischen, italienischen oder englischen Klub spielen, aber bei Wettbewerben unter Beteiligung der Nationalteams darf er nur für Kamerun spielen.

Anders ausgedrückt: Die FIFA hat eine institutionelle Regelung getroffen, die es (im fußballerischen Sinn) kleinen Ländern ermöglicht, von den Vorteilen der heute höheren Spielqualität zu profitieren und daher die Abwanderung hochqualifizierter Fußballspieler teilweise umzukehren.

Die gleiche Regel könnte auch in anderen Bereichen angewendet werden. Die uneingeschränkte Mobilität für qualifizierte Arbeitskräfte könnte von bindenden internationalen Auflagen begleitet sein, wonach Migranten aus armen Ländern, beispielsweise eines von fünf Jahren in ihrem Heimatland arbeiten müssten.

Damit würden sie Qualifikationen, Technologien und Verbindungen mit nach Hause bringen, die ebenso wertvoll sind, wie die Fähigkeiten, die Eto'o, Essien oder Messi nach Kamerun, Ghana oder Argentinien mitbringen.

Die Arbeitsvermittlung bliebe weiterhin ein Problem, aber das Prinzip steht auf soliden Beinen: Die Welt sollte am Beispiel ihres beliebtesten Sports lernen.

Branko Milanovic

© Project Syndicate 2006

Der Autor ist Ökonom bei der Carnegie-Stiftung für den Internationalen Frieden.

Qantara.de

Fußball auf Qantara.de
Alles rund ums Leder
Die ganze Welt ist im Fußballfieber. Hier finden Sie alle Qantara-Artikel zum Thema Fußball.

Afrikanische Fußballspieler in Europa
Der Traum von der schnellen Karriere
Junge afrikanische Fußballprofis verlassen ihre Heimat oft, um in einem europäischen Spitzenklub Karriere zu machen. Doch deren Erwartungen erfüllen sich dort nicht immer, wie Birgit Morgenrath berichtet.

Ayodele Aderinwale
Die aufgezwungene Globalisierung
Die ganze Welt wird von der Globalisierung erschlossen. Doch in Afrika funktioniert der Kulturtransfer nur in eine Richtung: Die mit der Globalisierung verbundene Informations- und Kommunikationstechnologie überflutet den Kontinent mit westlichen Idealen und Werten. Eine Analyse von Ayodele Aderinwale