"Die müssen unsere Spielregeln lernen"

Der Kleinkrieg der Kulturen tobt auch in Wien: Jörg Haider zieht in den Kreuzzug gegen Minarette, die Wertedebatte greift um sich und der Verdacht legt sich ganz offiziell auf alle Muslime. Von Robert Misik

Demonstration gegen den Ausbau einer Moschee in Österreich; Foto: dpa
Die ewige Moschee-Debatte ist auch in Österreich präsent: ein Aufmarsch gegen den Ausbau einer Moschee.

​​"Österreich ist die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält", schrieb der Dichter Hebbel, seinerzeit noch anerkennend. Doch die Österreicher haben den Spruch auf ihre Weise lieb gewonnen. Im Sinn von: Was anderswo tragisch ausgeht, hat hier von Beginn an einen Zug ins Lächerliche.

Diese Regel bestätigt aufs Schönste den Kleinkrieg der Kulturen, der neuerdings auch in Wien tobt. Seit einigen Wochen schon brodelt die übliche Minarettdebatte, wie man sie auch aus Köln und anderenorts kennt.

Jörg Haider, der abgetakelte Ex-Führer des rechten Lagers und heutige Landeshauptmann in Kärnten, hat einen Kreuzzug gegen Minarette begonnen. Das leicht Obskure ist freilich: In Kärnten planen die dortigen Muslime gar keine Moschee mit Minaretten. In ganz Österreich gibt es nur zwei Moscheen mit Minaretten; eine dritte ist gerade in Planung, in Bad Vöslau – weit weg von Kärnten.

Dschihadistenzelle im Elternhaus

Doch die Aufregung gewann an Fahrt, als in Wien eine "gefährliche" Dschihadistenzelle ausgehoben wurde: Die Betreiber eines al-Qaida nahen Webportals wurden festgenommen, die der österreichischen und der deutschen Regierung gedroht hatten, sollten sie ihre Soldaten nicht aus Afghanistan abziehen.

Wie sich später herausstellte, war der Kopf der Zelle der 22-jährige Mohamed Mahmoud, ein halb illiterater Vorstadt-Dschihadist und Sonderling, der die Website gemeinsam mit seiner Frau betrieb – im Kinderzimmer von Mahmouds elterlicher Wohnung, in dem der Schulabbrecher immer noch lebte.

Mahmoud war kein Unbekannter: Die hiesige muslimische Jugend nervte er mit Flugblättern, bei Nachrichtenmagazinen hatte er sich als islamischer Freiheitskämpfer angedient, der von der CIA verfolgt wird. "Er hätte sich ein Schild um den Hals hängen können: 'Ich bin ein gefährlicher al-Qaida-Mann'", spöttelte das Magazin "profil" über Osamas krausen Helfer.

Kurzfristig brach Panik aus, Geraune hob an: Geht es auch hier in Österreich in der Parallelgesellschaft gefährlich zu?

Gemeinsam mit den Neonazis

In schöner Koinzidenz mit der Moschee-Debatte standen die Muslime plötzlich auch ganz offiziell unter Generalverdacht. Erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich und eigentlich einer der Besonneneren in der christdemokratischen Volkspartei (ÖVP), dekretierte, Moscheen seien "artfremd".

Der Aufschrei darüber setzte erst mit erheblicher Verspätung ein. Als vermeldet wurde, im Wiener Bezirk Brigittenau würde eine Moschee gebaut, kannte der Volkszorn keine Grenzen mehr. Eine Bürgerinitiative machte mobil, die rechtspopulistischen Freiheitlichen sprangen auf, auch die örtliche ÖVP glaubte, da nicht abseits stehen zu können.

Bei der Demonstration gegen die Moschee marschierte der Mob auf. Anrainer, FPÖ und ÖVP hatten Verstärkung von Nazitruppen bekommen, die laut skandierten: "Hier marschiert der nationale Widerstand." Und: "Anzünden! Anzünden! Anzünden!"

Die lokalen Vertreter einer großen Regierungspartei hatten bei einer Nazi-Versammlung mitgemacht – und das auch noch aufgrund einer Falschmeldung. Denn es sollte gar keine Moschee gebaut werden. Allein das bisher einstöckige Kulturzentrum des Vereins ATIB (Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich) sollte aufgestockt werden.

Der Lärm, das erhöhte Verkehrsaufkommen und die damit einhergehende Parkplatznot reichten der örtlichen Bürgerinitiative für ihre Panikmache. Und sie dachte, wenn man das Ganze auch gleich Moschee nennt, dann fährt die Propaganda besser.

Forderung nach Wertedebatte

Der Groteske nicht genug, forderte der ÖVP-Parteichef und Vizekanzler Wilhelm Molterer anderntags eine "Wertedebatte", weil die Muslime ja oft "unsere" Werte nicht teilen, sein Generalsekretär Hannes Missethon drohte, "die müssen unsere Spielregeln lernen".

Ob er damit meinte, dass die Muslime künftig vor christlichen Kulturzentren aufmarschieren und "Anzünden!" rufen sollen, sagte er nicht dazu.

Nun, die "Wertedebatte" hat mittlerweile schon an Schwung gewonnen. Zum Ramadan-Brotbrechen lud Bundeskanzler Alfred Gusenbauer die Vertreter aller Religionsgemeinschaften ins Kanzleramt.

Es war eine illustre Runde, man bestätigte sich gegenseitig, guten Sinnes zu sein und die Menschenrechte zu achten. Dass in der Riege aus Kanzler, Imamen, Bischöfen, Rabbis keine einzige Frau war, stieß freilich nur auf verhaltenen Protest.

Dabei ist doch die weibliche Gleichberechtigung einer der zentralen Werte, die bei "uns" verwirklicht sind und von "ihnen" mit Füßen getreten werden. Gott sei Dank, eine Stimme erhob sich zum Protest: Die der Sprecherin der muslimischen Gemeinde.

Robert Misik

© Qantara.de 2007

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