Ermordet im Namen der Ehre

Nach einer Studie der UN-Weltbevölkerungsorganisation werden jährlich ca. 5000 Mädchen und Frauen in mindestens 14 Ländern im Namen der Ehre ermordet. Katrin Schneider über die Situation in Jordanien und Pakistan.

Nach einer Studie der UN-Weltbevölkerungsorganisation (2000) werden jährlich ca. 5000 Mädchen und Frauen in mindestens 14 Ländern im Namen der Ehre ermordet. Katrin Schneider über die Situation in Jordanien und Pakistan.

Schatten einer Frau, Foto: Bilderbox
Verstoßen Frauen in Jordanien und Pakistan gegen traditionelle Rollenvorstellungen und den geltenden Ehrenkodex, werden manche von ihnen im "Namen der Ehre" ermordet

​​Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt, und sich hinter vielen Unfällen und Selbstmorden in Wahrheit ebenfalls "Ehrenmorde" – so die euphemistische Bezeichnung für diese Verbrechen - verbergen.

Pakistan und Jordanien gehören zu den Ländern, in denen Männer ihre weiblichen Familienangehörigen umbringen, weil sie gegen traditionelle Rollenvorstellungen und den geltenden Ehrenkodex verstoßen haben.

Das Spektrum des vermeintlichen Fehlverhaltens ist breit: Betroffen sind Frauen, die einen Mann ihrer Wahl heiraten möchten, die eine von der Familie arrangierte Ehe ablehnen, die eine außereheliche Beziehung zu einem Mann haben, die unverheiratet schwanger sind oder die sich scheiden lassen möchten. Auch vergewaltigte Frauen haben nach der Vorstellung ihrer Angehörigen die Ehre ihrer Familie befleckt und müssen getötet werden, damit die Familienehre wieder hergestellt wird.

In Jordanien werden jedes Jahr durchschnittlich 25-30 Frauen im Namen der Ehre ermordet, das sind ein Viertel aller erfassten Morde in dem Land. Die Dunkelziffer wird auf mindestens das Doppelte geschätzt.

Schutz finden Frauen nur im Gefängnis

Betroffen sind Frauen aus allen sozioökonomischen Schichten und religiösen Glaubensrichtungen, in sehr seltenen Fällen – in Jordanien werden jährlich 1-2 Fälle registriert – werden auch Männer zu Opfern. Bedrohten Männern stehen in den meisten Fällen jedoch mehr Möglichkeiten offen, sich zum Beispiel durch Flucht aus dem Heimatort in Sicherheit zu bringen.

Frauen hingegen, die häufig weder über Ausweispapiere noch über eigene finanzielle Mittel verfügen, finden in Jordanien, wo bislang kein Frauenhaus existiert, das Frauen über einen längeren Zeitraum Zuflucht bieten kann, nur im Gefängnis Schutz. Menschenrechtsorganisationen berichten von Frauen, die 10 Jahre unschuldig im Gefängnis verbrachten, weil sie sich nur hier vor ihrer Familie in Sicherheit wähnen.

Den Tätern drohen im Fall von Ehrenmorden nur geringe Haftstrafen. Jordaniens Strafgesetzbuch sieht im Artikel 98 ein Strafmass von höchstens einem Jahr Gefängnis für Straftaten vor, die in einem "Zustand großer Wut" ausgeübt wurden. Im Fall von Ehrenmorden kommt dieser Artikel meistens zur Anwendung.

Minderjährige Brüder als Täter

In über der Hälfte der Fälle – so berichtet Dr. Hani Jahshan, stellvertretender medizinischer Gutachter vom nationalen Gerichtsmedizinischen Institut in Amman, sind es die Brüder der Frauen, die ihre Schwester erschießen, erdrosseln oder erstechen. Oft werden von der Familie minderjährige Brüder als Täter ausgewählt, da diese von einem noch geringeren Strafmass profitieren.

Die Ermordung einer geliebten Schwester, zu denen die jungen Männer aufgrund von verinnerlichten Normen und einem großen sozialen Druck getrieben werden, hinterlässt bei vielen von ihnen lang anhaltende Traumata. Dr. Jahshan hat bei mehreren Tätern schwere Depressionen beobachtet.

Die Vorstellung, dass durch die Ermordung einer Angehörigen, die sich den sozialen Normen und Wertvorstellungen ihrer Familie oder ihres Stammes widersetzt hat, die Ehre der Familie wider hergestellt werden kann, ist trügerisch. "Familien, in denen ein Ehrenmord vorkommt, sind für immer stigmatisiert und zerstört", sagt Dr. Jahshan.

Denn durch den Mord werde die Ehrverletzung durch ein weibliches Familienmitglied öffentlich zugegeben. Die Folge: Familien werden in ihrem sozialen Umfeld geächtet und müssen aus ihrer gewohnten Umgebung wegziehen. Ledige Töchter der Familie bleiben häufig ihr Leben lang unverheiratet. "Diejenigen, die Ehrenmorde ausführen, denken nicht an die Zukunft ihrer Familie", so Dr. Jahshan.

Anstieg der Ehrenmorde in Pakistan

Während in Jordanien die Zahl der Ehrenmorde in den letzten Jahren rückgängig war, ist in Pakistan ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Im letzten Jahr wurden nach Aussage von Angelika Pathak, einer langjährigen Pakistan-Expertin von amnesty international, die regelmäßig vor Ort recherchiert, offiziell zwischen 1000 und 1500 Frauen im Namen der Ehre ermordet, und auch hier liegt die tatsächliche Zahl vermutlich weitaus höher.

Nach Angaben von amnesty international kommen auf 100 Frauen, die Opfer von Ehrenmorden sind, 25-30 Männer. Allerdings werden in dem stark durch Feudal- und Stammesstrukturen geprägten Land auch Morde aufgrund von Stammeskonflikten als Ehrenmorde deklariert.

Die inzwischen pensionierte erste weibliche Richterin Pakistans, Majida Razvi, die seit 2002 Vorsitzende der Nationalen Kommission für den Status von Frauen ist, erklärt das Muster dieser karo-kari genannten Morde wie folgt:

"Tötet ein Feudalherr oder ein männliches Mitglied seiner Familie bei einer Auseinandersetzung einen Mann von einem anderen Stamm, wird dieser Mord häufig damit begründet, dass das Opfer eine außereheliche Beziehung zu einer Frau des eigenen Stammes gehabt habe. Zum Beweis wird ein Mädchen aus einer der ärmeren Familien des eigenen Stammes getötet und zu der Leiche des ermordeten Mannes gelegt."

Rechtsprechung durch Männer

Denn auch in Pakistan liegen die Strafen für einen Ehrenmord deutlich unter den Strafen für sonstige Morde. Pakistans Präsident Musharraf hat zwar Anfang 2005 ein Gesetz unterzeichnet, in dem das Töten im Namen der Ehre eindeutig als Mord festgeschrieben wird, dieses Gesetz gibt der Familie des Opfers jedoch weiterhin die Möglichkeit, sich mit dem Täter finanziell zu einigen und von einer Strafverfolgung abzusehen.

Da die Täter meist aus der eigenen Familie stammen, werden Ehrenmorde somit nur in seltenen Fällen geahndet. Dazu kommt, dass viele Richter mit den traditionellen Ehrvorstellungen übereinstimmen und nur geringe Strafen verhängen, sofern es zu einem Verfahren kommt.

Für Majida Razvi ist das Gesetz daher nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem sehr viel weit reichendere rechtliche Reformen folgen müssen. Sorge bereitet ihr die Rechtsprechung durch Ältestenräte (jirgas), denen nur Männer angehören. Obwohl sie illegal sind, rufen sie immer wieder zur Tötung, Vergewaltigung oder Zwangsverheiratung von Frauen auf, die sich nicht den traditionellen Vorstellungen entsprechend verhalten.

Katrin Schneider

© Qantara.de 2005

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