"Ärztinnen der Hoffnung" in Afghanistan

Afghanische Ärztinnen aus Deutschland sind die "Ärztinnen der Hoffnung", die an einem Projekt der deutschen Hilfsorganisation "medica mondiale" teilnehmen. Marie Gerbode sprach mit der Projektleiterin Sabine Fründt.

Afghanische Ärztinnen aus Deutschland sind die "Doctorane Omid", die "Ärztinnen der Hoffnung", die an einem Projekt der deutschen Hilfsorganisation "medica mondiale" teilnehmen. Marie Gerbode sprach mit der Projektleiterin Sabine Fründt.

Ärztinnen in einem Krankenhaus, Foto: medica mondiale
Ärztinnen in einem Krankenhaus

​​Alle 30 Minuten stirbt in Afghanistan eine Frau an den Folgen einer Schwangerschaft oder Geburt. Unter der Taliban- Herrschaft waren die Frauen von jeglicher Gesundheitsversorgung abgeschnitten gewesen. Und bis jetzt, zwei Jahre später, hat sich nicht viel verändert.

Um den Frauen in ihrer Heimat zu helfen, machen sich afghanische Medizinerinnen, die in Deutschland arbeiten, auf den Weg, zurück in ein zerstörtes Land. Sie sind die "Doctorane Omid", die "Ärztinnen der Hoffnung", die an einem Projekt der deutschen Hilfsorganisation "medica mondiale" teilnehmen.

Es begann im Sommer 2002. Der jüngste Krieg war gerade vorbei, die Taliban waren verjagt, zumindest aus Kabul und von der Macht. Das Land war von Jahrzehnten des Krieges geschunden, und ebenso waren es die Menschen. Besonders die Frauen und Mädchen hatten unter Verachtung, sexueller Demütigung und Gewalt unsäglich gelitten.

"Es fehlt an allem"

"Sexualisierte Kriegsgewalt" nennt das die Kölner Organisation medica mondiale und beschloss, Ärztinnen nach Afghanistan zu schicken, um die Frauen psychologisch und medizinisch zu betreuen. "Doctorane Omid" heißt das Projekt, zu Deutsch: "Ärztinnen der Hoffnung". Und Hoffnung brauchen sie tatsächlich, angesichts der umfassenden Armut, von der Sabine Fründt von medica mondiale berichtet:

"Man kann anfangen, wo man will, es fehlt an der Durchsetzung von Grundrechten, es fehlt natürlich auch an ökonomischen Dingen. Es fehlt im Grunde genommen an allem. Aber was besonders wichtig ist - aus unserer Sicht - ist eben die Durchsetzung von Frauenrechten. Dazu gehört auch ein entsprechender Zugang zu medizinischer Versorgung und psychosozialer Unterstützung."

Sabine Fründt betreut das Projekt von Deutschland aus, ist aber zurzeit in Afghanistan, um vor Ort mit den zuständigen Ministerien zu sprechen und neue Krankenhäuser für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Dabei muss sie feststellen, mit welch banalen Widrigkeiten die Ärztinnen Tag für Tag zu kämpfen haben:

"Es gibt im Grunde genommen kaum öffentliche Verkehrsmittel. Man ist darauf angewiesen, sich im Auto fortzubewegen. Und die Straßen sind entsetzlich überfüllt. Man benötigt für eine Entfernung von drei Kilometern manchmal mehr als eine halbe Stunde. Dadurch wird alles verlangsamt. Es ist nicht mal eben mit einem Telefonat getan, sondern es ist wichtig, dass man persönlich auftritt. Auf der anderen Seite ist es aber schwierig, an die entsprechende verantwortliche Person zu kommen."

Im Jahresurlaub als Ärztin in Afghanistan

Zwischen zehn und fünfzehn Ärztinnen sind es pro Jahr, die diese bürokratische und auch mentale Herausforderung annehmen. Sie sind in Afghanistan geboren, die meisten von ihnen leben aber seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland im Exil.

Hier arbeiten sie in ganz unterschiedlichen Fachrichtungen: Eine Augenärztin ist ebenso vertreten, wie eine Internistin. Den größten Anteil stellen die Gynäkologinnen und Kinderärztinnen. Für ein bis drei Monate verlassen sie ihren Arbeitsplatz in Deutschland - viele nehmen dafür ihren Jahresurlaub - und kehren zurück in ihre Heimat.

Anders als die Frauen dort, haben die "Ärztinnen der Hoffnung" keine Probleme, sich in der Männergesellschaft Afghanistans durchzusetzen. Die Ärztinnen aus Europa sind sehr angesehen.

"Insbesondere die älteren Ärztinnen, die oft vorher bekannte Koryphäen hier in Afghanistan waren, die haben hier überhaupt keine Schwierigkeiten und werden auch anerkannt in ihrer Kompetenz", bestätigt Sabine Fründt. "Schwieriger ist es für die jüngeren Frauen, die den größten Teil ihres Lebens in Deutschland aufgewachsen sind, und von daher auch nicht über das gesamte kulturelle Wissen verfügen, und auch wegen ihres Alters nicht so akzeptiert werden."

Depressionen und Selbstmordversuche

Vor ihrer Abreise nach Afghanistan haben alle Exilafghaninnen noch zwei Intensivschulungen durchlaufen, in denen sie auf die besondere Situation in ihrem Heimatland vorbereitet wurden. In den Seminaren wurden ihnen Grundkenntnisse über Traumata, ihre Symptome und Behandlungsmethoden vermittelt.

Denn über siebzig Prozent der Frauen in Afghanistan leiden unter schweren Depressionen, jede zehnte hat schon einen Selbstmordversuch hinter sich. Bei der medizinischen Behandlung ist es also besonders wichtig, sich in die Patientinnen einzufühlen, und sie psychisch zu stabilisieren.

Um eine langfristige Betreuung sicherzustellen, arbeiten die Medizinerinnen aus Deutschland mit einheimischen Ärztinnen der gleichen Fachrichtung zusammen, an die sie ihr Wissen weitergeben. Die sind aber nicht immer begeistert von dieser Fortbildung:

"Es gibt zum Teil auch Missgunst, Vorbehalte und Vorwürfe, in dem Sinne: 'Wir haben hier zehn oder zwanzig Jahre gearbeitet, ohne das ihr da ward, und jetzt kommt ihr plötzlich an und wollt uns sagen, was wir zu tun haben'. Es gibt aber auch ganz viele, die offen sind und auch tatsächlich Interesse haben, mehr über Trauma, über Psychosomatik zu erfahren."

Die "Ärztinnen der Hoffnung" werden vor allem in der Hauptstadt Kabul eingesetzt, die durch die Anwesenheit der Isaf-Truppen als relativ sicher gilt. Trotz der chaotischen Verhältnisse im Straßenverkehr dringen sie auch manchmal in die Außenbezirke der Stadt vor, um Frauen zu Hause aufzusuchen.

Ihre Arbeit in den Provinzstätten Herat und Mazar-e Sharif mussten die Ärztinnen von medica mondiale allerdings auf Eis legen, nachdem es dort zu gewalttätigen Zusammenstößen gekommen war.

Angst vor den Wahlen

Vor den ersten direkten Präsidentenwahlen, die am 9. Oktober durchgeführt werden sollen, ist die Sicherheitslage in ganz Afghanistan allerdings angespannt:

"Es ist schon zu merken, dass man sich innerhalb der internationalen Organisationen langsam Sorgen macht. Es werden überall Evakuierungspläne erarbeitet, es werden die Vorsichtsmaßnahmen verschärft, für Türwächter, für Fahrer und das gesamte Hauspersonal. Es ist so, dass einige Organisationen eine Ausgangssperre verhängt haben, ab sechs Uhr. Man merkt langsam eine Unruhe."

Es sind aber gerade die unruhigen Zeiten, in denen die Menschen Hilfe brauchen. Diese Überzeugung hat im Jahre 1992 auch die Gründerin von medica mondiale, Monika Hauser, angetrieben.

Als es während des Kosovokrieges zu Massenvergewaltigungen kam, entschloss sich die Kölner Ärztin zu helfen. Ihre Anfragen bei verschiedenen Hilfsorganisationen über Projekte für traumatisierte Frauen verliefen ergebnislos, und so nahm sie die Sache selbst in die Hand. Mitten im Krieg fuhr sie nach Bosnien.

Im April 1993 entstand das erste von inzwischen drei Therapiezentren. 1999 weitete sich das Engagement des in Zwischenzeit eingetragenen Vereins auf Albanien aus. Und seit zwei Jahren laufen in Afghanistan verschiedene Projekte.

In einem weiteren Pilotprojekt unterstützen einheimische Juristinnen Insassinnen im Kabuler Frauengefängnis. Die meisten Häftlinge sitzen dort wegen des Verstoßes gegen moralische Verbrechen ein, zum Beispiel, wenn sie sich einer Vergewaltigung widersetzt haben.

Tabu Zwangsverheiratung

Ein anderes Tabuthema, dem sich medica mondiale angenommen hat, ist die Zwangsverheiratung von Kindern. Bei Nachforschungen fanden sie heraus, dass zehn Prozent der Schülerinnen bereits verheiratet sind und es in jedem Krankenhaus Mütter gibt, die mit zwölf oder dreizehn Jahren entbinden.

Mit diesen Zahlen konfrontiert, haben nun auch die afghanischen Ministerien angekündigt, dagegen vorgehen zu wollen.

"Es ist eine Tatsache, dass Kinderheirat eine lange Tradition hat", mein Sabine Fründt. "Zwangsheirat gibt es nicht erst seit den Taliban, sondern sehr viel länger. Ich habe aber trotzdem die Hoffnung, dass, wenn zum Beispiel auch mit den religiösen Autoritäten zusammengearbeitet wird, und eben auch nachgewiesen werden kann, dass Zwangsheirat auch unislamisch ist, dass dann über Aufklärung sehr viel erreicht werden kann."

Marie Gerbode

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004

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