Hoffnung und Skepsis im Tal des Lichts

Der Osten Afghanistans wird in den Augen der westlichen Öffentlichkeit weitgehend als Kriegszone wahrgenommen. Tatsächlich ist das Terrain politisch umkämpft und unübersichtlich. Martin Gerner hat das schwer zugängliche Nuristan bereist.

Der Osten Afghanistans wird in den Augen der westlichen Öffentlichkeit weitgehend als Kriegszone wahrgenommen. Tatsächlich ist das Terrain politisch umkämpft und unübersichtlich. Martin Gerner hat das schwer zugängliche Nuristan bereist.

Foto: Martin Gerner
Nuristan liegt im äußersten Nordosten Afghanistans und gilt als eine der ärmsten und abgelegensten Regionen des Landes. Das Foto zeigt das Dorf Sutan Lam im Tal von Dare-Noor und seine typische Terrassenwirtschaft.

​​ In die Gegend um Nuristan zu reisen erfordert zur eigenen Sicherheit eine ortskundige Begleitung. Unser Wegführer heißt Basir. Anfang der 90er Jahre ist seine Familie nach Erlangen emigriert. Die Rückkehr 2005 in sein Heimatland hat er nicht bereut. "Schau dir die Energie der Menschen an", deutet er auf das geschäftige Treiben bei Sonnenaufgang, "das macht Mut."

Ziel der Reise ist das Tal von Dare Noor, an den Ausläufern Nuristans. Eine selten bereiste Region, aus der regelmäßig Vorfälle gemeldet werden. Auf UN-Karten ist die Gegend als Gefahrenzone schraffiert, NGOs führen sie überzogen als eine Zone "permanenter Taliban-Präsenz". Hier wollen wir ein Hilfsprojekt besichtigen.

Mohnanbau, Schafe aus Deutschland und Teppiche

Von der Provinz-Hauptstadt Jalalabad geht die asphaltierte Straße in Schotterpiste über. Am Straßenrand stehen Plakatwände, die Mohnanbau als Teufelswerk verurteilen. Die Mohnfelder blühen jetzt nicht und sind mit bloßem Auge nicht auszumachen. Regierungsvertreter behaupten, dass mittlerweile über die Hälfte von Afghanistans Provinzen frei von Schlafmohn seien. Skepsis ist angebracht. Tatsächlich verfügt niemand über verlässliche Statistiken.

In Serpentinen geht es hoch auf 2.000 Meter in das kleine Dorf Sutan Lam. Statt braun-grüner Geröllmassen prägt üppige Terrassenwirtschaft das Bild. Männer stehen barfuß auf einem hölzernen Pflug, der von Ochsen gezogen wird. Am Ziel dann die Überraschung: "Bei uns gibt es keine Gefechte", erklärt uns Haji Mahboob, der Malik des Dorfes, bei der Begrüßung.

Foto: Martin Gerner
Gästezimmer in einem Winkel des Dare Noor-Tals, das zugleich als Moschee genutzt wird. Im Hintergrund die typischen geflochtenen Körbe, die zur Ernte und Landwirtschaft dienen, zur Not aber auch zum Personentransport für Kranke herhalten.

​​ Basir ist gekommen, um eine Teppichwerkstatt einzuweihen, die mit Mitteln der GTZ gefördert wird. Er ist hier zuhause. Ohne ihn, den Deutsch-Afghanen, hätten es die deutschen Helfer schwer hier Fuß zu fassen. Über 50 schneeweiße Schafe hat die GTZ dem Dorf übergeben. Von ihnen kommt die Wolle für die Teppiche, die an den Webstühlen entstehen sollen. Unter großem Aufwand sind Dutzende der sperrigen Maschinen mit LKWs das Tal hinaufgebracht worden. Die ersten Teppiche sollen Anfang kommenden Jahres verkauft werden und die Lage im Dorf verbessern.

Frauen an die Webstühle!

"Acht von zehn Männern hier sind ohne regelmäßige Arbeit", sagt einer der Dorfältesten, "wir hoffen, dass das Geschäft mit den Teppichen unsere Lage verbessert." Die Bauern sprechen ganz offen: zuvor hätten sie hier Schlafmohn angebaut. Dann habe der Gouverneur einen Anbaustopp verkündet, dem sie schrittweise Folge geleistet hätten. Die versprochenen Ausgleichszahlungen seien aber nie angekommen.

Vom "Unglauben" zum Licht

Zwei Monate lang sind einhundert Frauen an den Webstühlen geschult worden. "Für einen Teil der Männer war das schwer zu schlucken", erläutert Basir, "das geht in einer so traditionellen Gesellschaft nicht von selbst". Obwohl Frauen hier auch Ackerarbeit auf dem Feld verrichten, bekommt der Gast zur Einweihung der Webstühle keine von ihnen zu Gesicht.

Foto: Martin Gerner
Haji Mahboob zeigt mit dem Stock in Richtung der gegenüberliegenden Provinz Kunar, wo sich Taliban, Regierungstruppen und US-Militär Gefechte liefern.

​​ Der Umgang zwischen den Geschlechtern war nicht immer so abgeschottet. Die Menschen in Dare Noor zählen kulturell zur angrenzenden Provinz Nuristan. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Region islamisiert. Die Bewohner glaubten seinerzeit an mehr als nur einen Gott. Kafiristan, Land der Ungläubigen, wurde das Gebiet damals genannt. Nachdem es islamisiert wurde taufte man es um in Nuristan, Land des Lichtes.

Am Himmel sind Düsenjäger zu hören. "Amerikai". Amerikaner, sagt Haji Mahboob und deutet auf die gegenüberliegende Bergkette. "Drüben beginnt die Provinz Kunar. In einigen Dörfern gibt es Taliban und vereinzelt Al Qaida", meint er. Die Entfernung per Luftlinie sind rund zehn Kilometer. Und was ist mit der Bedrohung für sein Dorf?

Sprache als Schutzmauer

Gegenüber in Kunar sprächen die Menschen Pashtu, auf dieser Seite das einheimische Paschai. Die Sprachbarriere wirke wie eine unsichtbare Mauer des Schutzes, versichert Haji Mahboob. Basir erinnert sich an eine andere Begegnung. "Kürzlich kamen zwei Mullahs ins Dorf, die ebenfalls von hier stammen. Ihre Religionsausbildung hatten sie in Koranschulen im pakistanischen Grenzgebiet erhalten. Sie wollten den politischen Islam lehren. Wir haben heftig diskutiert. Ich habe mit den Vorteilen wirtschaftlicher Entwicklung argumentiert. Das hat die Anwesenden aus dem Dorf überzeugt. Seitdem ist Ruhe", sagt er erleichtert.

Zivile Opfer

Das Radio berichtet am nächsten Morgen von einem neuen Anschlag in Kabul und der irrtümlichen Bombardierung einer Hochzeitgesellschaft in der Provinz Nangarhar durch amerikanische Luftwaffe. Die bärtigen Männer um mich herum schütteln den Kopf.

Unklar ist ihnen, welche militärische Strategie US-Militär und ISAF verfolgen. Keiner der Befragten befürwortet eine weitere Aufstockung der ausländischen Truppen. Vielmehr wächst die Skepsis mit jedem toten Zivilisten. Bei einem jüngsten Bombardement in der Provinz Herat musste das westliche Militär sogar eingestehen, die Zahl der Opfer, darunter viele Kinder und Mütter, um ein Vielfaches unterschätzt zu haben.

Wunderliche Forscher aus Deutschland

Foto: Martin Gerner
Bewohner des Dare Noor-Tals morgens am Radio als die Nachricht eines erneuten Anschlags in Kabul und auf Zivilisten in Nangarhar die Runde macht.

​​ Ein Dorfplatz von Dare Noor ist planiert. "Zweimal hat man den Bewohnern hier eine Schule für ihre Kinder versprochen", sagt Basirs Bruder Ali, "aber die Provinzregierung hat ihr Versprechen nicht gehalten". Die Unzufriedenheit ist nicht zu übersehen. Wenn die Entwicklung so zögerlich verlaufe, sagt einer, werde man zu Mitteln des zivilen Protestes greifen und die Zufahrtswege zum Dorf sperren. Es könne nicht angehen, dass das Gros der Hilfsgelder vor allem in jene Regionen gehe, wo verstärkt gekämpft werde. Statistiken darüber fehlen, aber der Unmut ist deutlich.

Zu den Deutschen haben die Menschen in Dare Noor Zutrauen. Der jüngste Besuch aber hat sie verwundert. Zwei deutsche Universitäts-Fakultäten haben einen Beobachter geschickt, der Bodenproben von Fauna und Flora aus ihren Bergen entnommen hat. Leicht befremdet haben die Bewohner von Sutan Lam das Spektakel des Biologen mitverfolgt. Deutsche Wissenschaftler vermuten hier vom Aussterben bedrohte Arten. Von einem möglichen Naturpark unter UN-Aufsicht ist sogar die Rede. Hat Sutan Lam nicht dringendere Probleme?

Der deutsche Gast winkt ab. Mehr Aufmerksamkeit für Dare Noor bedeute auch eine bessere Zukunft für die Menschen im Ort. Die Umstehenden hören stumm zu. Was ihnen bleibt ist die Hoffnung, dass zumindest dieses Szenario sich erfüllen möge.

Martin Gerner

© Qantara.de 2008

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