"Schule als Lernort für alle Religionen"

Das Bistum Osnabrück plant ein bundesweit einmaliges interreligiöses Schulprojekt. In Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde und islamischen Organisationen will die Diözese eine Grundschule für alle Religionen betreiben. Darüber hat sich Eren Güvercin mit Winfried Verburg, Leiter der Schulabteilung im Generalvikariat Osnabrück, unterhalten.

Das Bistum Osnabrück plant ein bundesweit einmaliges interreligiöses Schulprojekt. In Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde und islamischen Organisationen will die Diözese eine Grundschule für alle Religionen betreiben. Darüber hat sich Eren Güvercin mit Winfried Verburg, Leiter der Schulabteilung im Bischöflichen Generalvikariat Osnabrück, unterhalten.

Dr. Winfried Verburg, Leiter der Abteilung Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Generalvikariat Osnabrück; Foto: privat
Die Schule soll nach Darstellung von Winfried Verburg ein Gemeinschaftsprojekt der Schulstiftung im Bistum Osnabrück mit der jüdischen Gemeinde und mit islamischen Organisationen sein.

​​ Herr Dr. Verburg, vor kurzem hat das Bistum Osnabrück in einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit über das Projekt Ihrer Schulstiftung informiert, in der eine Grundschule der Stadt Osnabrück so gestaltet werden soll, dass Kinder der drei abrahamischen Religionen gemeinsam "lernen und leben". Wie ist diese Idee entstanden?

Winfried Verburg: Die Idee ist uns schon vor einigen Jahren gekommen. Zunächst Mal nehmen wir natürlich wahr, dass die Gesellschaft – auch in unserem Bistum, wozu die Städte Bremen, Emden und Osnabrück gehören – selbstverständlich nicht mehr ein Ort ist, in dem ausschließlich Christen leben, sondern dass wir in unserem Gebiet eine Gesellschaft haben, die multireligiös ist. Darauf wollen und müssen wir reagieren. Als Bistum sind wir für den katholischen Religionsunterricht mitverantwortlich, und haben natürlich daher auch ein Interesse, dass Religion in der Schule einen hohen Stellenwert einnimmt.

Mit wem werden Sie kooperieren, um dieses Projekt zu realisieren?

Verburg: Wir haben das Gespräch mit der jüdischen Gemeinde in Osnabrück, die etwa 1.000 Mitglieder umfasst und inzwischen größer ist als vor dem 2. Weltkrieg, und mit der "Schura Niedersachsen" gesucht. Die Schura ist der Dachverband eines Großteils der Moscheevereine und Verbände in Niedersachsen.

Welche Einrichtungen werden für den islamischen Religionsunterricht zuständig sein?

Symbolbild Religionen: Kirche, Moschee, Synagoge, Foto: DW
Vision einer gemeinschaftlichen Schule für Juden, Muslime und Christen: Besonders behutsam will man bei dem Projekt mit Fragen wie dem gemeinsamen Essen in der Schule oder mit religiösen Symbolen umgehen.

​​Verburg: Für den islamischen Religionsunterricht sind wir im Gespräch mit dem Lehrstuhl an der Universität Osnabrück, mit Professor Ucar. Da hatten wir bereits gute Erfahrungen gemacht in der Zusammenarbeit mit dem Projekt "Islamischer Religionsunterricht in Papenburg", einer Haupt- und Realschule – der erste Versuch eines islamischen Religionsunterrichts in Niedersachsen im Bereich der Sekundarstufe. Es gibt sonst nur einen Versuch in der Primarstufe.

In enger Kooperation mit dem Lehrstuhl wollen wir den islamischen Religionsunterricht anbieten. Im Moment sind ja dort die ersten Studierenden dabei, sich zu qualifizieren, um islamischer Religionslehrer zu werden.

Wie wird die Schule strukturell gestaltet sein? Und wie sind die Religionsgemeinschaften vertreten?

Verburg: Das können wir im Moment noch nicht genau sagen. Das ist ja eine Angebotsschule. Niemand ist verpflichtet, auf diese Schule zu gehen. Es gibt auch keinen festen Schuleinzugsbezirk, wo man sagen könnte, da leben so und so viele jüdische Familien mit so und so vielen Kindern, muslimischen und christlichen Familien, sondern es ist ein Angebot an alle Eltern, die dies auch wünschen. Von daher können wir nicht im Vorfeld sagen, dass wir eine bestimmte Anzahl islamischer, jüdischer oder christlicher Kinder haben werden. Das hängt auch davon ab, wie dieses Angebot von den Eltern der jeweiligen Religionen angenommen wird.

Wir haben natürlich im Vorgespräch mit den Religionsvertretern auch darauf Wert gelegt zu sagen: Wir sind auf Euch angewiesen, dass Ihr in den Gemeinden auch sagt, dass dies etwas Gutes ist und Ihr deshalb Eure Kinder dorthin schickt.

Wer wird die Lehrpläne für den Religionsunterricht erstellen?

Verburg: Für den katholischen Religionsunterricht und auch für den evangelischen Religionsunterricht gibt es ja zwischen dem Land Niedersachsen und den jeweiligen Kirchen abgestimmte Lehrpläne – die gelten selbstverständlich an der Schule.

Gleiches gibt es auch für den jüdischen Religionsunterricht, der im Moment noch in den Räumen der jüdischen Gemeinde erteilt wird. Beim islamischen Religionsunterricht gibt es einen Lehrplan, der im Schulversuch – ich glaube im Moment in 37 Schulen im Land – ausprobiert wird. Den kann man sicherlich als Basis nehmen, aber wir werden ihn sicherlich auch mit dem Lehrstuhl noch mal ansehen, überarbeiten und den Eltern vorstellen.

Wir haben das gleiche Problem, was die Bundesländer haben, nämlich dass es keinen offiziellen Ansprechpartner gibt, der für alle Muslime sprechen könnte. In Papenburg haben wir das so geregelt, dass wir gesagt haben, die katholische Schule ist sozusagen subsidiär, unterstützend zum Erziehungsauftrag der Eltern tätig, und haben den Lehrplan, der mit dem Lehrstuhl von Professor Ucar hier erarbeitet worden ist, den Eltern vorgestellt, und die Eltern haben gesagt, ja so stellen wir uns religiöse Erziehung an dieser Schule vor. So können wir im Moment einen offiziellen Ansprechpartner sozusagen ersetzen, wohl wissend, dass es für alle öffentlichen Schulen im Land so nicht geht.

Kann dieses Schulprojekt auch über das Land hinaus als Modell dienen?

Verburg: Ich scheue mich, das Wort Modell in den Mund zu nehmen. Es ist ein Lernort. Das gefällt mir besser. Es ist ein Lernort nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Lehrerinnen und Lehrer, die Eltern, die Familien, die daran hängen. Es wird auch ein Lernort für die drei Religionsgemeinschaften sein.

Wie wird das Zusammenleben gelingen? Da sind ja viele Fragen zu berücksichtigen, z.B. die religiösen Symbole. Wir stellen uns nicht die weiße Wand vor, sondern - im Sinne der Toleranz -, dass die Religionen auch ihre Symbole und Gepflogenheiten untereinander akzeptieren. Das geht bis zum gemeinsamen Essen, wo ja auch Speisevorschriften zu beachten sind.

Mit welchen Angeboten und Aktivitäten wollen Sie diesen Lernort bereichern?

Schüler beim lernen in einer Grundschule, Foto: AP
Durch gemeinsame Projekttage soll eine Lerngemeinschaft von Schülern, Lehrern und Eltern der drei monotheistischen Religionen entstehen, so die Hoffnung der Initiatoren des Projektes.

​​Verburg: Wir gehen davon aus, dass es einen jeweils eigenen Religionsunterricht geben wird. Etwa einmal im Halbjahr soll ein vergleichbares Thema in allen drei Religionsunterrichten zeitgleich behandelt werden und in einem Projekttag münden, in dem die Schülerinnen und Schüler die Ergebnisse aus ihrem Religionsunterricht den Schülerinnen und Schüler vorstellen, die am anderen Religionsunterricht teilnehmen. So lernen sie auch über ihre unterschiedlichen religiösen Überzeugungen, Riten, Gebräuche miteinander ins Gespräch zu kommen, damit sie dialogfähig werden.

Soll diese Schule auch eine Ganztagsschule sein?

Verburg: Wir haben uns klar entschieden, dieses Projekt als eine gebundene Ganztagsschule zu führen, d.h. es gibt nicht nur eine Betreuung am Nachmittag. Zum einen setzt dieses ehrgeizige Projekt, dass Kinder verschiedener Religionen, teilweise auch natürlich anderer kultureller Herkunft, Zeit brauchen werden, um miteinander zu leben. Die Unterrichtszeit ist dafür zu knapp. Sie sollen auch die Zeit finden, außerhalb des Unterrichtes gemeinsam zu leben.

Der zweite Grund für die Form der gebundenen Ganztagsschule ist, dass wir davon überzeugt sind, dass diese Schule geeignet ist, Benachteiligungen von Kindern aus so genannten bildungsfernen Elternhäusern zu minimieren. Dabei stellen wir uns vor, dass wir in dieser Schule Bildungsangebote im Bereich von Sport, Musik und Kunst integrieren können, die nicht Bestandteil des Unterrichts sind, so dass auch Kinder, die von ihren Eltern nicht zu einer Musikschule gebracht werden, die Chance erhalten, in diesem Bereich ihre Fähigkeiten weiter zu entwickeln.

Und es gibt noch einen dritten Grund: Eine gebundene Ganztagsschule – gerade im Grundschulbereich – hat den Vorteil, dass man die Lernzeiten und die Zeiten von Entspannung und Bewegung eher dem Lebensrhythmus, dem Biorhythmus von Kindern anpassen kann, als in einem Raster, wo man von 8 bis 13 Uhr lernen muss, und dann andere Dinge macht.

Steht schon ein Zeitpunkt fest, wann die Schule eröffnet werden soll?

Verburg: Der früheste mögliche Zeitpunkt für den Beginn wäre der 1. August 2011, weil die Anmeldungen für das kommende Schuljahr zum 1. August 2010 jetzt schon erfolgt sind, damit die Kinder auch eine Sprachförderung bekommen können.

Interview: Eren Güvercin

© Qantara.de 2009

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