Führungslos ins ökonomische Nichts

Warum sind die Länder Schwarzafrikas die ärmsten der Welt? Ein Grund dafür sind die schlecht konzipierten Entwicklungsstrategien des IWF und der Weltbank. Eine katastrophale Rolle spielen auch die politischen Eliten der Staaten. Von Sanou Mbaye

Warum sind die Länder Schwarzafrikas die ärmsten der Welt? Ein Grund dafür sind die schlecht konzipierten Entwicklungsstrategien, die der IWF und die Weltbank in der Region umsetzen. Eine gleichermaßen katastrophale Rolle spielen jedoch bis heute die politischen Eliten der Staaten. Von Sanou Mbaye

Stark unterernährtes afrikanisches Kind im Niger; Foto: AP
Die Politik der afrikanischen Staaten ist verantwortlich für die schlechte wirtschaftliche Lage der Länder sowie die Situation der verarmten Bevölkerung.

​​Tatsächlich betrachtet die überwältigende Mehrheit der afrikanischen Herrscher ihre jeweiligen Länder als persönliches Eigentum, das ganz nach eigenem Ermessen genutzt werden kann.

Während der vergangenen Jahrhunderte führte diese Vorstellung von Macht dazu, dass Könige ihre Untertanen den Sklavenhändlern übergaben. Heute verschleudern die politischen Führer die Ressourcen und Einnahmen ihrer Länder und überantworten die Mehrheit ihrer Bevölkerungen Armut, Krankheit, Hunger, Krieg und Hoffnungslosigkeit.

Ölrausch zum Nachteil Afrikas

Der gegenwärtige Ölrausch in Westafrika veranschaulicht das Problem perfekt. Statt eines Vorteils ist das Öl zu einem Nachteil geworden, der Armut, Korruption, ethnische Konflikte und ökologische Katastrophen hervorbringt.

Es müsste nicht so sein. Venezuelas Präsident Hugo Chávez etwa nutzt die Öleinnahmen seines Landes für kostenlose Alphabetisierungsprogramme und Gesundheitsversorgung, zum Abbau der Schulden seiner argentinischen und ecuadorianischen Nachbarn, um Energiebündnisse in Lateinamerika und der Karibik zu schmieden und um eine strategische Annäherung gegenüber den Andenstaaten zu betreiben.

Er hat den Panamerikanismus neu belebt, und Venezuela ist Mitglied von Mercosur geworden, jener regionalen Gruppe, zu deren Mitgliedern außerdem Argentinien, Brasilien, Chile, Uruguay und Paraguay gehören.

Aber nicht die dysfunktionelle Führungskultur allein verhindert ein ähnliches Programm der Einigung und des sozialen Fortschritts in Schwarzafrika. IWF und Weltbank tragen ebenso dazu bei.

Als die schwarzafrikanischen Länder Ende der 1950er und Anfang der 1960er ihre Unabhängigkeit gewannen, erbten ihre Führungen bankrotte Staaten ohne Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten. Infolgedessen hatten die neu etablierten afrikanischen Führer keine andere Wahl, als ihre wirtschaftliche Entwicklung dem IWF und der Weltbank und den diese kontrollierenden westlichen Ländern zu übertragen.

Wirtschaftliche Liberalisierung, Freigabe des Kapitalverkehrs, Unterdrückung von Subventionen, Privatisierung wertvoller öffentlicher Vermögenswerte (Liquidierung wäre ein passenderes Wort), finanzpolitische Sparmaßnahmen, hohe Zinssätze und eine Hemmung der Nachfrage standen nun auf der Tagesordnung.

Abladeplätze für Agrarüberschüsse und überholte Technologie

Von IWF und Weltbank geforderte strukturelle Anpassungsprogramme führten dazu, dass sich diese Länder zu Abladeplätzen für übersubventionierte Agrarüberschüsse und überteuerte und technisch überholte Industriegüter aus dem Westen entwickelten.

Es war von Anfang an klar, dass die Strategie von IWF und Weltbank scheitern musste. Ihre Kredite waren darauf ausgelegt, Afrikas Rolle als Lieferant von Rohmaterialien auf Dauer festzuschreiben, und verwickelten den Kontinent zugleich in ein unentwirrbares Netz der Verschuldung und der Abhängigkeit von der "Hilfebranche".

Der IWF kann nicht nur seine eigenen Kredite stoppen, sondern auch die meisten Darlehen der größeren Weltbank, anderer multilateraler Kreditgeber, der Regierungen der reichen Länder und sogar eines Großteils des privaten Sektors.

Man betrachte jedoch Argentinien, das eine tiefe, vier Jahre andauernde Depression durchlief, die 1998 begann. Indem sie sich den Forderungen des IWF nach Zinserhöhungen, einer Anhebung der Versorgerpreise, Haushaltseinsparungen und der Beibehaltung der nicht aufrecht zu erhaltenden Anbindung an den US-Dollar verweigerte, war die Regierung von Nestor Kirchner in der Lage, ihren eigenen wirtschaftspolitischen Kurs zu verfolgen.

Argentinien schlug – trotz wiederholter Drohungen des IWF – gegenüber seinen ausländischen Kreditgebern, bei denen es mit 100 Milliarden Dollar verschuldet war, einen harten Kurs ein und tat dann im September 2003 das Undenkbare: Es setzte die Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem IWF selbst zeitweilig aus. Der Währungsfonds gab letztlich nach; die Folge war eine rasche und robuste wirtschaftliche Erholung.

In ähnlicher Weise kann auch die Entwicklung Schwarzafrikas nicht an andere delegiert werden. Glücklicherweise besteht Hoffnung, dass sich die Region der zerstörerischen neoliberalen Agenda des Westens widersetzen kann.

Laut dem Energieministerium der USA werden Amerikas jährliche Ölimporte aus Afrika in Kürze 770 Millionen Barrel erreichen, was dem Kontinent im Verlaufe des nächsten Jahrzehnts schätzungsweise 200 Milliarden Dollar einbringen wird.

Falls die Ölpreise weiter hoch bleiben – was angesichts der starken Nachfrage aus den USA, Japan, China und Indien wahrscheinlich ist – könnten die Einnahmen aus dem Öl sogar 400-600 Milliarden Dollar erreichen.

Um hiervon zu profitieren, muss Schwarzafrika eine auf dem Öl basierende, auf die Förderung der wirtschaftlichen Integration und politischen Einigung abzielende Konföderation unter der Führung gründlich reformierter regionaler Gruppierungen bilden.

Dies würde der Region die nötige Durchsetzungskraft verleihen, um eine Entwicklungsstrategie ähnlich jener zu verfolgen, wie sie in der Vergangenheit von den USA, den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und den ostasiatischen Ländern eingeschlagen wurde.

All diese Staaten setzten in der Frühphase ihrer wirtschaftlichen Entwicklung Kapitallenkungsmaßnahmen durch und regulierten die ins Land strömenden ausländischen Investitionen. Schwarzafrika ist nicht anders.

Panafrikanische Identität gefordert

Der Schwerpunkt muss dabei auf einer Diversifizierung der Wirtschaft und der Ausweitung der Produktionskapazitäten inländischer Anbieter liegen. Dies bedeutet, dass ausländische Partnerschaften darauf ausgelegt sein müssen, dass örtliche Unternehmen von Technologietransfer und Schulungen profitieren und damit einen größeren Mehrwert in der Binnenproduktion und im Export hervorbringen können.

Es bedeutet außerdem die Subventionierung und den Schutz der inländischen Produktion, so wie alle entwickelten Länder sie einst vorgenommen haben – und wie sie es noch immer tun, wenn es ihnen zupass kommt.

Der erste Schritt hin zur Umsetzung einer solchen Politik muss jedoch die Neudefinition und Bekräftigung einer panafrikanischen Identität sein. Europa, Asien und zunehmend auch Lateinamerika zeigen, dass die regionale Integration den gesündesten Weg zur Entwicklung darstellt.

In Afrika wird dies nicht möglich sein, bis sich eine neue Gattung auf das öffentliche Wohl bedachter politischer Eliten herausbildet. Die Verringerung der Abhängigkeit Schwarzafrikas von IWF und Weltbank könnte Afrika diesem Tag näher bringen.

Sanou Mbaye ist ehemaliges Mitglied der Geschäftsführung der Afrikanischen Entwicklungsbank.

© Project Syndicate 2006

Aus dem Englischen von Jan Neumann

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