"Tiananmen" in Usbekistan

In Usbekistan, wo der Islamismus als Vorwand dient, jede Öffnung zu unterdrücken, bleibt der Bevölkerung keine andere Ausdrucksmöglichkeit als die Konfrontation mit der Staatsmacht. Von Ulrich Schwerin

anonyme Gräber bei Andischan; Foto: AP
Noch immer ist unklar, wie viele Menschen bei dem Massaker ums Leben kamen: anonyme Gräber bei Andischan

​​Die Urheber der Unruhen in Andischan hatte Usbekistans Präsident Islam Karimow schnell gefunden: Islamistische Terroristen seien es, die Mitte Mai in der Stadt im Osten des Ferganatals Regierungsgebäude angegriffen und besetzt hatten.

Er sei daher gezwungen gewesen, mit aller Härte vorzugehen: Die Polizei fuhr mit Schützenpanzern vor und eröffnete auf Befehl Karimows das Feuer auf die vor dem besetzten Verwaltungsgebäude versammelte Menge. Noch ist ungeklärt, wie viele in dem Blutbad ums Leben kamen, doch vermutlich sind es Hunderte, darunter auch zahlreiche Frauen und Kinder.

Vorwand Islamismus

Dem Massaker vorausgegangen waren mehrmonatige, friedliche Proteste gegen einen Prozess, in dem eine Gruppe lokaler Geschäftsleute wegen Verbindungen zur islamistischen Partei Hizb ut-Tahrir angeklagt waren. Die Demonstranten, die zu Tausenden auf die Straße gingen, waren aber keine Islamisten, auch wenn sich der russische Außenminister Lawrow überzeugt gab, dass die Unruhen von einer den Taliban verbundenen Gruppierung ausgingen.

Der Vorwurf fällt in ein in der Region inzwischen bekanntes Muster: Schon während des Bürgerkriegs im benachbarten Tadschikistan von 1991 bis 1997 wurde die Islamismusgefahr heraufbeschworen, um innen- und außenpolitische Widerstände gegen die russisch-usbekische Militärintervention zu überwinden.

Auch in der westchinesischen Unruheprovinz Sinkiang legitimiert Peking seinen Kampf gegen die uigurische Freiheitsbewegung mit dem Kampf gegen den Islamismus.

Karimow hat sich nach dem 11. September 2001 der Anti-Terrorkoalition angeschlossen und den Amerikanern Stützpunkte für ihren Krieg im benachbarten Afghanistan zur Verfügung gestellt. Wie seine Nachbarn nutzt er den Krieg gegen den Terror, verbleibende Oppositionsgruppen religiöser und anderer Art zu verfolgen.

Der Westen nimmt dies hin, da er auf Karimows Hilfe angewiesen ist und da die Gleichsetzung von Islamisten und Terroristen ohnehin vielfach seiner eigenen Vorstellung entspricht.

Tausende angeblicher Islamisten sitzen bereits in usbekischen Gefängnissen, und die Jagd geht weiter, obwohl nach Zerschlagung der Islamischen Bewegung Usbekistans 2001 nur noch die als friedlich eingeschätzte Hizb ut-Tahrir bleibt.

Der Westen muss Karimow fallenlassen

Das Kalifat, das die Hizb ut-Tahrir errichten will, entspricht sicher nicht der Vorstellung eines demokratischen Staates, doch solange sie mit friedlichen Mitteln vorgeht, ist Gewalt die falsche Antwort. Der Islamismus hat seine Ursachen in der sozio-politischen Realität Usbekistans. Seit Karimow 1991 die Macht übernahm ist das Land von der Demontage der demokratischen Opposition, der Unterdrückung der freien Medien und der Gleichschaltung des Islam geprägt.

Wo jede säkulare Opposition verboten ist, erscheint der Islamismus als einzige Alternative, und den Menschen, denen jede Stimme genommen ist, erscheint Gewalt als letztes Ausrucksmittel.

Wenn der Westen es ernst meint mit dem Kampf gegen den Terror, dann darf er nicht länger zögern, Karimow in aller Entschlossenheit und Konsequenz zu drängen, die seit vierzehn Jahren ausstehenden Reformen zu unternehmen und die Öffnung der Gesellschaft zuzulassen.

Ulrich Schwerin

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