Menschenrechtsverletzung mit Methode

Zwar gehört Ägypten zu den Staaten, die das internationale Abkommen gegen die Folter unterzeichnet haben, in der Realität ist davon jedoch kaum etwas zu spüren, wie die jüngste Enthüllung der Folterskandale zeigt. Aus Kairo informiert Nelly Youssef.

Allein gegen die Bevölkerung - ägyptische Anti-Aufstandseinheiten in Kairo; Foto: AP
"Allein gegen die Bevölkerung" - ägyptische Anti-Aufstandseinheiten lösen eine Demonstration von Oppositionellen in Kairo auf.

​​Ein schmuddeliges Zimmer, darin ein Mann mittleren Alters, in gebeugter Haltung – das Elend steht ihm ins Gesicht geschrieben. Von einem Polizisten erhält er pausenlos Schläge auf den Nacken und ins Gesicht, während er von ihm verhöhnt wird. Andere sitzen herum, machen ebenfalls Witze und feuern ihren Kollegen sogar noch an.

Szenenwechsel: Eine Person liegt mit nacktem Unterkörper auf dem Boden, die Beine in die Luft gestreckt. Man hört die Stimme eines Polizisten, der Drohungen und wüste Beschimpfungen ausstößt.

Dann holt der Polizist einen Stock und schiebt ihn dem Mann in den After. Er lacht und droht damit, das mit dem Handy aufgenommene Video auszustrahlen, um ihn noch mehr zu demütigen. Die Schreie des Mannes werden lauter, er fleht um Gnade.

Bilder des Grauens

Diese Videoausschnitte kursieren derzeit in einigen ägyptischen Weblogs und Mobiltelefonen zumeist junger Ägypter. Die Errungenschaften der Informationstechnologie haben so dazu geführt, dass die Foltervergehen ägyptischer Vollzugsbeamter in den Gefängnissen des Landes offen angeprangert werden.

Die offiziellen Tageszeitungen ignorieren derlei Folterskandale, Erwähnung finden sie allenfalls in der Oppositionspresse sowie in den wenig verbreiteten Berichten von Menschenrechtsorganisationen.

Menschenrechtsorganisationen haben die Vergehen jedoch bei der ägyptischen Generalstaatsanwaltschaft angezeigt und eine Untersuchung der so genannten "Folter-Clips" gefordert. Nach den Ermittlungen kam es schließlich zur Verhandlung vor Gericht.

Vor kurzem wurde einer der Vollzugsbeamten des ersten Videos zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Auch der Vollzugsbeamte, der im zweiten Video zu sehen ist, wurde verhaftet und wegen sexuellen Übergriffs angeklagt.

Das Video wurde zu einem einschlägigen Beweisstück gegen die Beschuldigten, besonders da ihre Stimmen darauf deutlich zu hören waren. Mit dem Urteilsspruch ist in den kommenden Wochen zu rechnen. Werden der Vollzugsbeamte und seine Helfer dann schuldig gesprochen, müssen sie Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren rechnen.

Widerstand gegen Folter

Die modernen Kommunikationsmittel, die der staatlichen Überwachung entzogen sind, haben dafür gesorgt, dass die Vorfälle einer breiten Öffentlichkeit bekannt und in ganz Ägypten zum Thema wurden.

Polizeikräfte in Kairo; Foto: AP
Übergriffe von Sicherheitskräften bei Demonstrationen und in ägyptischen Polizeistationen sollen künftig dokumentiert werden.

​​Um derlei Vorfälle zu registrieren und der Folter in Ägypten Widerstand zu leisten, wurde inzwischen zu diesem Zweck ein spezielles Weblog eingerichtet.

Darin werden verschiedene Foltermethoden klassifiziert und alle Übergriffe von Polizisten in ägyptischen Polizeistationen festgehalten. Ferner hat man die Möglichkeit, einen wöchentlichen Newsletter zu abonnieren, in dem die Vorfälle zusammengefasst werden.

Jeder, der gefoltert wurde oder dem ein Foltervorfall bekannt ist, wird auf den Seiten dieses Weblogs dazu ermutigt, über seine Erfahrungen zu berichten. Man wird an spezielle Zentren empfohlen, die sich die Aufnahme und psychologische Betreuung von Folteropfern sowie deren rechtliche Beratung zur Aufgabe gemacht haben.

Muhammad Zari, Rechtsanwalt und Mitglied der "Ägyptischen Vereinigung für Gefangenenhilfe", meint, dass im Land am Nil Folter in großem Ausmaß Anwendung findet – und dies mit Billigung, ja sogar teilweise Unterstützung von Seiten der Behörden.

Im Dienste der Polizei, im Dienste des Regimes

Einen Grund für die weite Verbreitung von Foltervergehen in Ägypten sieht er mitunter darin, dass den Kriminalbeamten die angemessene technische Ausstattung für eine sachgerechte Ermittlung fehle und sie sich daher selbst bei geringfügigen Verbrechen der Gewalt bedienten, um Geständnisse zu erhalten.

Die Zahl der Ermittlungsprotokolle, die ein Polizeibeamter schreibt, und der Geständnisse, die er erhält, ist auch für seine Beförderung ausschlaggebend. Das bringt die Beamten dazu, Fälle zu fälschen und Beschuldigte zu Geständnissen durch Folter zu zwingen.

Hinzu kommt, so Muhammad Zari, dass viele Ägypter sich ihrer Rechte nicht bewusst seien und die Folter als eine der Kernaufgaben der Polizeioffiziere betrachtet wird.

Zwar organisiert die Polizeibehörde für ihre Mitarbeiter Schulungen über Menschenrechte, die jedoch erst auf internationalen Druck zustande gekommen sind. Ihre Wirksamkeit ist ohnehin begrenzt, solange Politik und Behörden auf Folter als grundlegendes Mittel zum Schutz des Regimes zurückgreifen.

Ägypten gehört zu den Staaten, die das internationale Abkommen gegen Folter unterzeichnet haben. Paragraph 42 der ägyptischen Verfassung besagt, dass jeder, dem seine Freiheit entzogen wurde, "mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden muss und weder physischen noch psychischen Verletzungen ausgesetzt werden darf." Das ägyptische Strafgesetzbuch wertet Folter als Verbrechen.

Nur die Spitze des Eisbergs

Dennoch betont Muhammad Zari, die laufenden Gerichtsverhandlungen gegen Folter seien nur die Spitze des Eisbergs. Die Zahl derer, die physischer Gewalt ausgesetzt waren oder von den Beamten erniedrigt wurden, sei enorm hoch.

Die Prozesse erstreckten sich außerdem über lange Zeiträume, und die Entschädigung, die die Gerichte festlegten, sei äußerst gering.

Außerdem sei es entmutigend, dass die beschuldigten Polizeibeamten sich den Urteilen häufig entzögen – indem sie in die Berufung gingen, oder die Angehörigen des Opfers bedrohten, um es dazu zu zwingen, die Klage zurückzuziehen oder sogar nach dem Urteilsspruch die Aussetzung des Vollzugs zu erwirken.

Aber vermögen die Kampagnen in den Weblogs wirklich etwas gegen die Folter auszurichten? Wael Abbas, der ein Weblog namens "Das ägyptische Bewusstsein" betreibt, in dem viele Ausschnitte von Folter-Videos zu sehen sind, ist durchaus dieser Auffassung.

Die Polizei, so Wael, habe gelernt, diese neue "Waffe der Informationstechnologie" zu fürchten, insbesondere nachdem die Weblogs Details der vergangenen sexuellen Übergriffe an einem ägyptischen Taxifahrer öffentlich bekannt wurden. Da das Video zuerst im Internet und später auch auf Mobiltelefonen angesehen werden konnte, wurde der Vorfall schließlich in der Presse aufgegriffen.

Daraufhin beschäftigten sich auch die ägyptische Staatsanwaltschaft sowie internationale Menschenrechtsorganisationen mit dem Thema, was zur Folge hatte, dass es zum Prozess gegen einige beteiligte Polizisten kam.

Sanktionen gegen Blogger?

Doch Wael fürchtet sich vor den Folgen, die der Folterskandal möglicherweise auch für die Internetaktivisten mit sich bringt: "Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierung nun Angst vor unserer Arbeit bekommen hat und beschließt, uns durch ein neues Gesetz, das jegliche Aktivitäten im Internet untersagt, mundtot zu machen", so Wael.

Das ägyptische Innenministerium erklärte, es gebe zwar keine systematische Folter in Ägypten, allerdings sei es in einigen Fällen tatsächlich zu Übertretungen des Folterverbots durch Polizeibeamte gekommen. Die Verantwortlichen seien jedoch dafür bestraft worden und die meisten Videoausschnitte, die in den Weblogs auftauchten, seien ohnehin gefälscht.

Wael Abbas hält dagegen, dass es in einem solchen Fall wenigstens eine Untersuchung geben müsste – schließlich sei nun mal bewiesen, dass einige dieser Videos wirkliche Foltervorkommnisse dokumentierten.

Nelly Youssef

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2007

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