Lang lebe die Demokratie des Militärs!

Die Wahlen in Mauretanien vom März 2007 stellten für viele einen hoffnungsvollen demokratischen Aufbruch für die gesamte Region Nordafrikas dar. Doch der Traum fand mit dem Putsch vom August und der neuerlichen Herrschaft der Militärs ein rasches Ende, schreibt Slim Boukhdhir in seinem Essay.

Die Wahlen in Mauretanien vom März 2007 stellten in den Augen vieler Menschen einen hoffnungsvollen demokratischen Aufbruch für die gesamte Region Nordafrikas dar. Doch der Traum fand mit dem Putsch vom August und der neuerlichen Herrschaft der Militärs ein rasches Ende, schreibt Slim Boukhdhir in seinem Essay.

Mauretanische Polizeitruppen kontrollieren nach dem Putsch im August die Straßen der Stadt Nouakchott; Foto: picture alliance/dpa
Die Militärs in Mauretanien kehren an die Regierung zurück, so die Stimmen aus der Presse. Doch ist fraglich, ob sie die Macht jemals wirklich aus den Händen gegeben haben.

​​Für Mauretanien war der Militärputsch, den das Land am 6. August erlebte, aufgrund der Rückkehr der Militärs kein wirklich neues Ereignis – was ebenso für die anderen Maghreb-Staaten gilt. Allerdings hatte keiner erwartet, dass der Putsch in Mauretanien so rasch nach dem demokratischen Aufbruch des Landes einsetzen würde.

Nachdem die Kolonialmächte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts aus den Maghreb-Staaten abgezogen waren kam kein Volk dieser Länder in den Genuss einer demokratischen Regierung. Von Libyen bis Mauretanien über Tunesien, Algerien und Marokko bildeten sich repressive Militärregime heraus, die ihre Herrschaft über die staatlichen Institutionen zementierten.

Angst vor der Demokratie

Daher waren die Wahlen im März 2007 in Mauretanien ein außergewöhnliches Ereignis, ein Vorbild, das die Menschen in der gesamten Region mit Begeisterung aufnahmen. Bestürzt fürchteten die benachbarten Regimes, das "demokratische Virus" könnte nun auch ihren Staat infizieren.

Früh hatten die Militärs diesen Völkern jedoch den Traum von der Demokratie gestohlen. Nach der Unabhängigkeit wurden sie von Führern regiert, die ihnen wie aus heiterem Himmel vor die Füße gefallen waren. Diese waren dermaßen vom Willen zur Macht besessen, dass sich die Menschen nach dem Abzug der Besatzer zu fragen begannen, was denn nun besser sei, ein Kolonialherr oder ein lokaler Tyrann.

Deshalb erstaunt es nicht, wenn in den Schriften der Intellektuellenelite dieser Völker der Ausdruck "Forderung nach der zweiten Unabhängigkeit" auftaucht, der von dem tunesischen Schriftsteller Munsif al-Marzouqi geprägt wurde. Die mächtigen Militärs übernahmen die Führungsrollen in den Regierungen der fünf Länder auf unterschiedliche Weise: Manche kleideten sich zivil, andere versteckten sich hinter zivilen Herrschern.

"Inspirierte Führer" und "bleierne Jahre"

In Libyen kleidete sich Qaddafi in das Gewand des "inspirierten Führers", doch sein wahres Gesicht änderte sich dadurch nicht: ein Militäroberst, der sich an die Macht geputscht hat und sich seit 40 Jahren weigert, sie wieder abzugeben.

Karte von Nordafrika; Foto: APTN/SO
Im gesamten Maghreb - von Nouakchott bis Tunis - stellen heute die Militärs die eigentliche Macht hinter den zivilen Regierungen dar, schreibt Boukhdir

​​Gleichwohl meinen einige Beobachter Gutes in ihm zu erkennen, sprach doch sein Sprössling Saif al-Islam kürzlich von Reformen, vom Kampf gegen die Korruption und einer gerechten Verteilung des Reichtums.

In Tunesien regiert General Ben Ali seit über 20 Jahren. Gerade bereitet er sich auf eine fünfte Regierungsperiode vor, obwohl er nach seinem Putsch am 7.11.1987 die Abschaffung der Präsidentschaft auf Lebenszeit versprochen hatte.

Und obwohl er sich zivil kleidet (und als "Retter der Nation" bezeichnet), ist nicht zu übersehen, dass er an der Spitze eines Polizeistaates steht, den er mit eiserner Faust regiert und den Traum von der Demokratie bis zum Sanktnimmerleinstag verschieben möchte.

In Algerien verging kein Tag, an dem nicht die Generäle hinter den Vorhängen der Regierung gestanden hätten. Sie versteckten sich seit der Regierung Boumediennes hinter einem zivilen Herrscher.

Unter dem Deckmantel der "Angst vor dem islamistischen Gespenst" brachen sie die Wahlen in den 90er Jahren ab und führten das Land, Hand in Hand mit den religiösen Extremisten in einen der schrecklichsten Bürgerkriege.

Der Traum von der Demokratie wurde zusammen mit den unschuldig Ermordeten begraben, auch wenn die Regierung von Präsident Bouteflika sich in letzter Zeit darum bemüht, die Bildung neuer Parteien und somit politischen Pluralismus im Lande zu fördern.

In Marokko erbte ein ziviler Herrscher das Regierungsamt bereits in dritter Generation von seinem Vater. Er hält zwar keinen militärischen Rang inne, aber fragen Sie einmal die Marokkaner nach General Oufkir, dem Verantwortlichen für die so genannten "bleiernen Jahre", in denen die Marokkaner unter Herrschaft König Hassan II. unter den schlimmsten Menschsrechtsverletzungen litten.

Was man den marrokanischen Machthabern im Gegensatz zu den anderen Ländern der Region anrechnen muss, ist die vom jungen König Mohammed VI. gegründete "Kommission für Gleichheit und Versöhnung", die das begangene Unrecht untersuchen und Wiedergutmachung für die Opfer leisten will.

Diesem Herrscher ist ebenso zu verdanken, dass er faire Parlamentswahlen zugelassen hat, nach denen diejenigen Kandidaten die Regierung stellten, die auch wirklich gewählt worden waren.

Die Hinrichtung der Demokratie

Schließlich kommen wir zu Mauretanien, wo vier Militärputsche die Geschichte des Landes bestimmten. Als die Demokratie nach langem das Licht der Welt erblickte, kehrten die Militärs wie aus der Wunderlampe entstiegen zurück, um erneut ihre Fahne zu hissen.

Als Oberst Ely Ould Mohamed Vall eine neue Zeitrechnung beginnen wollte und die Regierungsmacht dem Volk überlassen wollte, anstatt sie für sich selbst zu behalten wie seine Vorgänger, beeilten sich die Hardliner in den Militärkreisen ihr Terrain zurückzuerobern.

Mauretaniens General Walid Abd Al-Aziz; Foto: picture-alliance/dpa
Rückkehr der Militärs an die Schalthebel der Macht - der kurze Frühling der Demokratie währte in Mauretanien nur wenige Monate.

​​In diesem Zusammenhang meinten einige Beobachter, Präsident Sidi Mohamed Ould Cheikh Abdallahi habe den Generälen den Anlass zum Putsch persönlich auf einem goldenen Teller präsentiert.

Durch seinen berühmten Erlass am Morgen des Putsches, der die Absetzung von General Ould Abdel Aziz und seinem Stellvertreter bestimmte, habe er die Militärs "provoziert". Jedoch soll man daran erinnern, dass Sidi Mohamed Ould Cheikh Abdallahi die Teilung der Macht mit den Generälen von Anfang an gebilligt hatte.

Es ist eher so, dass er die frisch geborene Demokratie gleich zu Beginn den Generälen übergeben hat und daraufhin nicht fähig war, selbst das Steuer wieder zu ergreifen.

Wenn die Mauretanier einen zivilen Herrscher wählen, der zustimmt, dass sich von Anfang an Generäle hinter ihm verstecken, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen, dann ist der Traum von der Demokratie, an dem die Mauretanier sich berauschten, eigentlich ein falscher Traum.

Die Militärs in Mauretanien kehren an die Regierung zurück, so der Tenor der Kommentatoren – jedoch stellt sich die Frage, wann sie die Macht jemals eigentlich aus den Händen gegeben haben, so dass man mit Recht von einer Rückkehr sprechen kann.

Wenn man sich den Zustand Mauretaniens während der Regierung von Sidi Mohamed Ould Cheikh Abdallahi vergegenwärtigt, wird man die Generäle in aller Deutlichkeit im Hintergrund agieren sehen. Genau wie im gesamten Maghreb, wo sie über die Köpfe aller anderen hinweg herrschen – lang lebe die Demokratie der Militärs...

Slim Boukhdhir

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2008

Slim Boukhdhir ist Schriftsteller und Journalist und lebt heute in Tunis. Für seine kritischen Äußerungen wurde er im November 2007 inhaftiert. Im Juli diesen Jahres wurde er vorzeitig entlassen.

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