Die Koalition der Korruptionsgegner

Das ungleiche Protestbündnis aus Anhängern von Michel Aoun und der Hisbollah gegen die Regierung Siniora eint ihre vermeintlich soziale Glaubwürdigkeit im Kampf gegen die Korruption im Zedernstaat. Von Anne Françoise Weber aus Beirut

"Es gibt zwei Männer in unserem Leben: Michel Aoun und Hassan Nasrallah." Ganz in orange gekleidet steht Zahra Wahid auf dem Riad el Solh Platz in der Innenstadt von Beirut und schwingt eine orangefarbene Fahne mit dem Parteiabzeichen der "Bewegung der freien Patrioten" von Ex-General Michel Aoun.

Soeben ging die Fernsehübertragung einer über einstündigen Rede von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah zu Ende, und Zahra Wahid steht immer noch ganz im Bann seiner Worte.

Die 42jährige Sozialarbeiterin betont, dass sich Nasrallah sehr zurückgehalten und die Kritik an der Regierung von Premierminister Siniora gar nicht bis auf die Spitze getrieben habe. Ihr Ehemann Pierre fügt hinzu: "Und vor allem hat er klar gesagt, dass es keinen Bürgerkrieg geben darf."

Vielschichtige Protestbewegung

Zahra und Pierre Wahid sind mit einer großen Gruppe "freier Patrioten" aus einem Vorort Beiruts gekommen, 75 Zelte hat allein ihr Ortsverband für das "Sit-in" gegen die Regierung auf dem Märtyrerplatz aufgeschlagen.

In der Menge, die abends auf den beiden größten Plätzen der Innenstadt wogt, mischen sich Altersgruppen, Konfessionen, Farben und Parteiabzeichen – nicht nur Anhänger von Hisbollah und Michel Aoun sind hier vertreten, sondern auch die zweite schiitische Partei Amal, die Bewegung des christlich-maronitischen Politikers Sleiman Franjieh und verschiedene kleinere, tendenziell pro-syrische Parteien.

Diese Gruppierungen hatten sich nach der Ermordung von Ex-Premierminister Rafik Hariri im Frühjahr 2005 schon zusammen gefunden, damals stellten sie sich gegen die antisyrischen Großdemonstrationen der Hariri-Anhänger.

Nur die "freien Patrioten" von Michel Aoun waren noch nicht dabei, denn er befand sich damals noch in seinem Pariser Exil, in das er nach Ende des Bürgerkriegs und nach seinem letzten Kampf gegen eine syrische Besatzung des Libanons geflohen war.

Keine innere Einmischung

Obwohl die Hisbollah für ihre guten Beziehungen zum syrischen Regime bekannt ist, spricht selbst das Verhältnis zu Syrien für Zahra und Pierre Wahid nicht gegen die Allianz, die Aoun im Februar 2006 offiziell mit der Hisbollah geschlossen hat.

Denn deren Generalsekretär Hassan Nasrallah hat in seiner Rede betont, dass die neue Regierung der nationalen Einheit, deren Einrichtung der Demonstranten fordern, eine libanesische Regierung sein soll. Sie soll allein gemäß libanesischer Interessen entscheiden und nicht von außen beeinflusst werden.

Der Widerstand Aouns gegen eine syrische Besatzung ergänzt sich auf einmal mit dem stetigen Kampf der Hisbollah gegen Israel – mit dem die Regierung Siniora nach Meinung vieler Demonstranten kollaboriert.

Und noch in einem weiteren Punkt heben sich die beiden Parteiführer in den Augen der Demonstranten von allen regierenden Politikern ab: "Aoun und Nasrallah haben als einzige nicht gestohlen", sagt Bassem Moqtada, der sich eine gelbe Schärpe mit dem Abzeichen der Hisbollah umgehängt hat.

Finanzskandale und Korruption

Während der Regierung Siniora und ihren Vorgängern die enormen Staatsschulden von über 40 Milliarden Dollar zur Last gelegt werden, haben sich Aoun und Hisbollah, die jeweils nur kurz an der Macht waren (Aoun am Ende des Bürgerkriegs, die Hisbollah seit Juli 2005 als Teil der jetzigen Koalition bis zum Rücktritt ihrer Minister Mitte November) keine Finanzskandale zu Schulden kommen lassen.

Viele ihrer Anhänger empfinden sich als marginalisiert in einem Staat, in dem die Sozialleistungen eher von Parteien und religiösen Verbänden erfolgen als durch die öffentliche Hand.

"Wir konnten uns nie die teuren Kaffees in der schicken Beiruter Innenstadt leisten", sagt Grundschullehrer Pierre Wahid. "Aber jetzt sind wir einfach hier – eigentlich sollte die Regierung gar nicht zurücktreten, denn so lange bleiben wir hier, so lange gehört die Innenstadt endlich uns."

Anne Françoise Weber

© Qantara.de 2006

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