Kompetenz allein genügt nicht

Hamid Karsai muss es allen Recht machen. Bei der Besetzung der Regierungsposten gibt nicht die Kompetenz der Kandidaten den Ausschlag, sondern es müssen verschiedene Interessen unter einen Hut gebracht werden. Ratbil Shamel berichtet.

Afghanisches Parlament, Foto: AP
Das afghanische Parlament steht seit Dezember 2005 fest - doch eine handlungsfähige Regierung lässt noch immer auf sich warten.

​​Der afghanische Präsident Hamid Karsai steht vor der schwierigen Aufgabe, eine Regierung zu bilden. Es fehlt ihm zwar nicht an fähigen Männern und Frauen, doch das allein reicht nicht in Afghanistan. Die höchst komplizierte politische Lage des Landes verlangt vor allem Fingerspitzengefühl: Bei der Wahl eines jeden Regierungsmitgliedes müssen die Interessen der wichtigen Geberländer, der Nachbarstaaten,
der politischen Kräfte im Land und die Besonderheiten eines
Vielvölkerstaates beachtet werden.

All diese Kriterien gleichzeitig im Auge zu behalten, ist nicht einfach. Dabei kommt die Frage nach der Fachkompetenz des einzelnen Kandidaten zwangsläufig erst an letzter Stelle. Doch Präsident Karsai hat nicht mehr lange Zeit, um nach passenden Kandidaten zu suchen. Die Verfassung verlangt eigentlich, dass der Präsident seine Regierung den Abgeordneten spätestens 30 Tage nach der Konstituierung des Parlaments vorstellen muss.

Dieser Termin ist jedoch ohnehin längst verstrichen. Der Präsident, so lautet es nun beschwichtigend aus Kabul, werde in den nächsten Tagen das Parlament zur Bestätigung seiner Mannschaft aufsuchen.

Karsais Handlungsspielraum bleibt beschränkt

Unterdessen ist die Stimmung im Land schlecht. Die afghanische Regierung bekommt nirgends gute Noten. Die Wirtschaft tritt auf der Stelle, die Sicherheitslage verschlechtert sich zusehends, die Korruption nimmt ständig zu. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst von Tag zu Tag und nährt den Unmut der Massen.

Ihre einzige Hoffnung: Eine neue Regierung, die vom Parlament bestätigt wird. Daher verlangen sie von ihrem Präsidenten eine komplett neue Mannschaft. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Bereits in der letztem Amtsperiode Karsais war von der Regierungsmannschaft nur wenig zu erwarten, sagt die Parlamentsabgeordnete Shokria Barekzai und stellt desillusioniert fest:“Präsident Karsai ist es in den letzten vier Jahren nicht gelungen, eine tüchtige Mannschaft zusammenzustellen, und es wird ihm bei dieser Zusammensetzung des Parlaments auch für die Zukunft nicht gelingen."

Die Abgeordnete aus Kabul glaubt nicht, dass die politischen
Spielräume für Präsident Karsai größer geworden sind. Immer noch müssten bei der Regierungsbildung die Interessen der politischen Kräfte im Land, meist der Warlords, berücksichtigt werden. Da nun einige von ihnen sogar im Parlament sitzen, dürfte sich dieser Trend verstärken.

Gefährliche Zweckbündnisse

Karsai ist zum Teil auf die Stimmen der Kriegsfürsten angewiesen. Er muss sie politisch bestechen und mindestens je einen Minister ihrer Wahl in seiner Regierung aufnehmen.

Der Präsident setzt langfristig auf die Traditionalisten im Parlament, die er bisher jedoch noch nicht verlässlich für sich gewinnen konnte. Ihre Forderungen nach mehr Tradition
und der Einschränkung demokratischer Freiheiten sind eigentlich nicht nach seinem Geschmack. Doch hofft auf einen Kompromiss und will sich diesen Kräften als unverzichtbarer Machtpartner andienen.

Die Parlamentsabgeordneten haben mehrheitlich gegen Karsais Wunsch beschlossen, nicht über die Regierung insgesamt, sondern über jeden Minister einzeln abzustimmen. Diese Entscheidung sei allein aus politischem Kalkül getroffen worden, meint die Politikerin Shokria Barekzai und stellt klar: "Sie wollen dadurch die Regierung stärker unter Druck setzen und ihre eigenen Kandidaten in die Exekutive einbringen."

Karsai hat, selbst wenn er wollte, keine andere Wahl als dieses Spiel mitzumachen. Er ist, wenn auch vom Volk gewählt, politisch zu schwach, um den Warlords Paroli zu bieten. Er braucht sie und ihre privaten Armeen im Kampf gegen die Taliban und weiß nur zu gut, wie abhängig er von ihnen ist.

Abhängigkeit vom Ausland

Afghanistan ist finanziell und militärisch von den
Geberländern, vor allem den USA abhängig. Es verwundert also nicht, dass viele seine jetzigen Minister aus dem amerikanischen Exil kommen, wie etwa der Finanzminister.

Muhammad Karsai, Foto: AP
Viele Interessen wollen bei der afghanischen Regierungsbildung berücksichtigt werden. An Karsai liegt es nun, diese auszutarieren.

​​Zudem ist der Minister für Minen, der das Gaspipeline-Projekt mit Usbekistan vorantreibt, eine Empfehlung der amerikanischen Öl-Industrie. Ferner ist der Chef des Präsidialamts eine "Stärkung für die Regierung aus London", so ein Berater des Präsidenten, der nicht namentlich genannt werden möchte.

Auch müssen Nachbarstaaten wie Pakistan, Iran und nicht zuletzt Russland berücksichtigt werden. Sie haben alle jahrelange Stellvertreterkriege in Afghanistan geführt und verfügen über ihre eigenen Schützlinge im Land.

Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf zum Beispiel bemängelte lange Zeit, die zu schwache Vertretung der Paschtunen in der Regierung. Dieser Umstand wurde daraufhin korrigiert.

Auch sitzen sowohl ehemals Moskau-treue als auch Teheran nahe stehende Personen im Kabinett.

Das Postengeschacher geht weiter

Für den Herausgeber des auflagestärksten Wochenmagazins des Landes, Fahim Dashti, steht fest: Der Handlungsspielraum Karsais ist eng begrenzt, und er muss sich einer Vielzahl politischer Zwänge fügen. Zum Leidwesen Afghanistans, denn die eigentlich notwenige politische Arbeit bleibt dabei oft auf der Strecke.

Präsident Karsai, so lautet es inoffiziell aus Regierungskreisen - das offizielle Kabul schweigt zu diesem Thema gänzlich - wird in den nächsten Tagen seine neue Mannschaft dem Parlament vorstellen. Bis dahin geht die Suche aber weiter. Immer noch soll nicht feststehen, wie viele der 26 Ministerien gestrichen werden.

Ferner soll noch offen sein, ob neben dem paschtunischen Verteidigungsminister ein Tadschike als Innenminister ernannt werden wird oder doch ein weiterer Paschtune. Eines aber steht auf Wunsch der Europäischen Union angeblich fest: zwei Ministerposten gehen an Frauen. Doch welche
religiösen Minderheiten und welche Volksgruppen sie vertreten werden, könne noch nicht gesagt werden.

Ratbil Shamel

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006

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