Spiel mit dem Feuer

Im Machtpoker mit der Internationalen Atomenergiebehörde steht für die Führung in Teheran viel auf dem Spiel. Welche politischen Ziele verfolgt Iran mit seiner Verzögerungstaktik im Streit um sein Atomprogramm? Bahman Nirumand informiert

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Der IAEO ein Dorn im Auge: Das AKW Buschehr bei Schiraz

​​Iran hat die von dem Gouverneursrat am 17. September beschlossene Resolution, in der das Land ultimativ aufgefordert wurde, die Anreicherung von Uran und den Bau von Zentrifugenteilen unverzüglich einzustellen und bis zur nächsten Ratssitzung sein Atomprogramm vollständig offen zu legen, mit Nachdruck abgelehnt.

Staatspräsident Mohammad Chatami sagte während einer Militärparade in Teheran, Iran werde sein Atomprogramm unter allen Umständen fortsetzen, selbst wenn dies ein "Ende der internationalen Überwachung" bedeuten würde.

"Wir haben unsere Entscheidung getroffen und jetzt sind die anderen daran." Die Staatengemeinschaft müsse "das natürliche und gesetzlich verankerte Recht" Irans auf friedliche Forschung und Nutzung der Atomenergie akzeptieren. "Andernfalls werden wir diesen Weg weiter beschreiten, auch wenn das dazu führen sollte, dass die internationale Aufsicht beendet wird", betonte Chatami.

Gefahr eines nuklearen Dominoeffekts?

Der Staatspräsident bekundete abermals, dass der Iran nicht die Absicht habe, Atomwaffen zu bauen. "Ob wir unter Verdacht stehen oder nicht - wir werden keinesfalls versuchen, Atomwaffen zu erwerben, weil das unserer Religion und Kultur widerspricht und weil wir diese Waffen als eine große Gefahr für die Menschheit betrachten."

Das Nein aus Teheran könnte weitreichende Konsequenzen haben, vor allem seitens Israels und der USA, aber auch seitens der Europäischen Union. Die USA - und noch mehr Israel - sind davon überzeugt, dass Iran den Bau von Nuklearwaffen plant. "Wenn es uns nicht gelingt, Iran rechtzeitig zu stoppen, könnte das einen nuklearen Dominoeffekt in der gesamten Region auslösen", sagte Israels Militärchef Aharon Seevi.

Noch konkreter äußerte sich Israels Ministerpräsident Ariel Scharon. In einem Interview mit der "Jerusalem Post" sagte er, er habe keinen Zweifel mehr daran, dass die Islamische Republik Iran den Bau von Nuklearwaffen anstrebe und sein Atomprogramm mit "Ausflüchten und Betrug" fortsetze. Er halte die Inspektionen der Internationalen Atombehörde sowie die von den USA angeforderten Sanktionen für nicht ausreichend.

Iran stelle eine ernste Bedrohung für Israel dar, denn das Land verfügte inzwischen über Langstreckenraketen, die Israel erreichen können. Deshalb sei Israel dabei, zu seiner Verteidigung "eigene Maßnahmen" zu treffen. Um welche Maßnahmen es sich dabei handelt, sagte Scharon jedoch nicht.

Seit Monaten wird über einen möglichen Blitzangriff Israels gegen iranische Atomanlagen spekuliert. Laut Presseberichten sollen israelische Geheimdienste der Regierung längst entsprechende Pläne vorgelegt haben. Politische Beobachter befürchten, dass Israel schon vor den US-Präsidentschaftswahlen im November diesen Schlag ausführen könnte.

Ähnliche Töne wie aus Jerusalem sind auch aus Washington zu vernehmen. John Bolton, Staatssekretär im US-Außenministerium sagte während seines Israel-Besuchs im Vorfeld der Tagung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), die Bush-Regierung sei zwar bestrebt, "eine friedliche und diplomatische Lösung" herbeizuführen. Doch die USA hielten sich alle Optionen offen - "auch den Einsatz von Gewalt".

Nach einem Bericht der israelische Tageszeitung "Ha'aretz" sollen die USA den Verkauf von Bomben an Israel geplant haben, mit denen die unterirdischen Atomanlagen Irans zerstört werden könnten. Der Bericht wurde in den Sicherheitskreisen bestätigt.

Politischer Druck aus Brüssel

Im Gegensatz zu den USA haben die EU-Staaten, insbesondere Deutschland, Frankreich und Großbritannien bislang versucht, zu vermitteln und den Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen. Doch alles deutet darauf hin, dass Teherans Verzögerungstaktik sowie die Ankündigung, das Programm zur Urananreicherung fortsetzen zu wollen, zu einer Annäherung der EU an den harten Kurs der USA geführt hat.

Deutschlands Außenminister Joschka Fischer warnte die iranische Regierung vor einer "Fehleinschätzung der Reaktion der internationalen Gemeinschaft". Die Öffnung des Weges zur Uran- und Plutoniumwirtschaft sei "inakzeptabel", sagte Fischer.

Auch der Koordinator der EU-Außenpolitik, Javier Solana, sagte am Rande der UN-Vollversammlung, die Europäische Union werde einen Zugriff Irans auf Nuklearwaffen nicht tolerieren. "Wir müssen weiter alles auf Gespräche und Dialog setzen. Sollten wir scheitern, müssen wir auf andere Mechanismen zurückgreifen, die wir eigentlich nicht bevorzugen."

Selbst Russland, das seit Jahren den Reaktorenblock in der südiranischen Stadt Bushehr baut, hat sich inzwischen dieser Position angeschlossen und den Iran in einer vom Moskauer Außenministerium veröffentlichten Erklärung zur Beendigung der Uran-Anreicherung aufgefordert.

Während sich die Front der Gegner des iranischen Atomprogramms auf eine einheitliche Linie einschießt, wurde schließlich gemeldet, das Land habe begonnen, 37 Tonnen unverarbeitetes Uran ("Yellowcake") in Uranhexafluroid umzuwandeln.

Dies ist das Ausgangsmaterial für die Anreicherung von Uran bis hin zur Waffentauglichkeit. Mit dieser Umwandlung wäre Iran - nach Ansicht von Experten - in der Lage, genug Material für fünf Atombomben anzureichern.

Das Kalkül der Mullahs

Man fragt sich, was Iran dazu treibt, so mit dem Feuer zu spielen. Zwei Gründe wären denkbar. Entweder baut Teheran an der Atombombe und versucht durch die seit zwei Jahren andauernde Verzögerungstaktik Zeit zu gewinnen.

Tatsächlich wird trotz unaufhörlicher Dementis vor allem in Kreisen der Konservativen die Meinung vertreten, auch Iran benötige zu seiner Verteidigung Atomwaffen. Das Land sei rund um seine Grenzen von US-Stützpunkten umzingelt.

Die Gefahr eines militärischen Angriffs liege nah, zumal die USA nach eigenen Angaben, einen Regimewechsel in Iran anstreben. Besäße Iran wie Nordkorea Atomwaffen, würden die USA einen solchen Schritt nie wagen.

Es ist aber auch denkbar, dass Iran mit der Verzögerungstaktik nur die Absicht verfolgt, den Westen zu größeren Konzessionen zu zwingen. Dazu gehören der Zugang zur Atomtechnologie, die Aufhebung des Wirtschaftsboykotts, den die USA seit 25 Jahren über Iran verhängt haben und ein umfassendes Handels- und Wirtschaftsabkommen mit der EU. Zudem möchte Teheran seine Interessen in Afghanistan und im Irak gewahrt wissen.

Sollte der erste Grund zutreffen, müsste man mit einem militärischen Angriff gegen das Land rechnen, was mit größter Wahrscheinlichkeit einen Flächenbrand in der gesamten Region auslösen würde.

Hätte Iran aber nur außenpolitische Ziele, würde ein Erfolg die Position der Islamischen Republik in der Region sowie international - und folglich auch im Innern - erheblich stärken. Für die überwiegende Mehrheit des iranischen Volkes, die längst dem Regime den Rücken gekehrt hat, hätte dies verheerende Folgen.

Bahman Nirumand © Qantara.de 2004