Satanische Taktik

Die erneut entflammte öffentliche Empörung über Salman Rushdie in Pakistan und Iran ist weniger der Volkszorn als vielmehr ein von den Behörden inszeniertes Mittel zum Zweck. Peter Philipp kommentiert.

Die Manifestation von Volkszorn und öffentlicher Empörung in den Straßen von Teheran oder Islamabad kann nur von naiven Seelen als wirklicher Ausdruck der Stimmung in der Bevölkerung interpretiert werden. Sie sind es nicht, sondern sie sind vielmehr ein von den Behörden fein orchestriertes Mittel zum Zweck.

Zur Erreichung manchmal ganz anderer politischer Ziele oder um von eigenen Problemen abzulenken, lassen die sonst so "sicherheitsbewussten" – um nicht zu sagen: repressiven – Regimes solche Demonstrationen zu: gegen beleidigende Mohammad-Karikaturen in Dänemark, gegen angebliche Koranschändungen irgendwo auf der Welt oder – wie jetzt – gegen die Ehrung des britischen Schriftstellers Salman Rushdie durch die Queen.

Wer von den Demonstranten, die heute vor die britischen Botschaften in Teheran und Islamabad ziehen, hat vor vierzehn Tagen wohl überhaupt gewusst, wer Rushdie ist? Geschweige denn: Wer von ihnen mag wohl das Buch gelesen haben – die "Satanischen Verse" - mit dem Rushdie den Zorn islamistischer Extremisten auf sich zog? Wohl keiner. Aber darum geht es im Grunde ja auch nicht.

1989 verhängte der iranische Revolutionsführer Khomeini eine Fatwa gegen den bis dahin unbekannten Rushdie und der Iran lobte ein Kopfgeld für seine Ermordung aus.

Zehn Jahre lang musste Rushdie abtauchen und unter Polizeischutz leben, erst dann sagte Teheran zu, die Fatwa des inzwischen verstorbenen Khomeini könne man zwar nicht zurücknehmen, man werde sie aber nicht umsetzen. Das Leben Rushdies begann sich wieder zu normalisieren.

Wenn nun erneut gegen den Schriftsteller demonstriert wird, dann bestimmt nicht wegen der "Satanischen Verse". Für die wurde er auch nicht geadelt, sondern für sein Lebenswerk.

Aber iranische wie pakistanische Offizielle bezeichnen den Ritterschlag als erneute Beleidigung von anderthalb Milliarden Muslimen. Und der pakistanische Religionsminister versteigt sich in die Drohung, ein Selbstmordtäter könnte Rache üben für diesen unfreundlichen Akt des britischen Königshauses.

Wenn das nicht eine Beleidigung ist. Und zwar aller wohlmeinenden Menschen weltweit, gleich welcher Religion, Hautfarbe und Sprache. Wer immer sich für Verständigung und Freiheit – auch und gerade zwischen den Kulturen - einsetzt, erhält durch solche Sprüche eine Ohrfeige erteilt. Auch wenn er Muslim ist und an die wahre Botschaft seiner Religion glaubt. Nämlich an Frieden und Verständigung.

Religiöse Gefühle für politische Zwecke zu missbrauchen, ist keine neue Taktik. Aber im Fall des Iran hatte man gehofft, dass die Dinge sich geändert haben. Und im Fall Pakistans hatte man daran geglaubt. Immerhin ist das Land ein nicht unbedeutender Partner im "Kampf gegen den Terror".

In beiden Fällen wird das Volk bedenkenlos manipuliert, um von äußeren und inneren Problemen abzulenken. Und die unabsehbaren Folgen werden in Kauf genommen. Ist ja auch schön einfach, der Schuldige steht ja schon fest: Kommen bei den Protesten Menschern zu Schaden, dann ist natürlich auch hierfür der Westen verantwortlich. Welch satanische Taktik …

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2007

Qantara.de

Salman Rushdies Erhebung zum Ritterstand
Die Puppen brennen wieder
Die Erhebung Salman Rushdies in den Ritterstand hat in muslimischen Ländern zu diplomatischen und öffentlichen Protesten geführt. Diese Rituale orientieren sich nicht unbedingt an der Realität. Von Angela Schader

Interview Salman Rushdie
Kaschmir, das verlorene Paradies
Salman Rushdies wütender Roman "Shalimar der Narr" ist der untergegangenen Kultur des alten Kaschmirs gewidmet. In diesem Interview mit Lewis Gropp erzählt Rushdie, wie die indische Armee und militante Jihadisten ein Paradies zerstört haben.