Das Dilemma der Regierungsbildung

Libanons Hisbollah hat eine Wahlniederlage erlitten. Das erleichtert zwar internationale Bemühungen um eine Normalisierung der Situation in der Region. Doch einfach wird die Regierungsbildung nicht, meint Peter Philipp in seinem Kommentar.

Parlament in Beirut; Foto: dpa
Keine "Iranisierung" des Libanon: Eine radikal-religiöse Ausrichtung passt nun einmal nicht zum Libanon, meint Peter Philipp.

​​Schwarzmalerei war ein beliebtes Spiel vor diesen Wahlen: Da wurde von einem "Kopf-an-Kopf-Rennen" beider Blöcke gesprochen und von der Gefahr einer "Machtübernahme" durch die vom Iran und Syrien unterstützte Hisbollah. Sogar die Gefahr, der Libanon könnte dann zur "Islamischen Republik" ausgerufen werden, wurde beschworen.

Aufgrund des bisherigen libanesischen Wahlsystems wäre hierzu aber eine wahre Revolution an der Wahlurne nötig gewesen: Das Wahlrecht sieht vor, dass die Mandate sich zu gleichen Teilen unter Christen und Muslimen verteilen und größere Verschiebungen konnte es deswegen bei gleich bleibender demografischer Verteilung bisher nicht geben.

Es sei denn, die christlichen Partner von Michel Aoun hätten wirklich so sehr hinzu gewonnen, dass dies zusammen mit Hisbollah zur Mehrheit gereicht hätte. Aber erstens ist das nun nicht eingetreten, zum Zweiten wäre das aber auch kein Schritt zur Islamischen Republik geworden.

Die Aoun-Gruppe geht aus eigenen machtpolitischen Interessen mit Hisbollah zusammen, zu diesen Interessen zählt aber nicht der Traum, dass der Libanon ein zweiter Iran werden könnte.

Kein radikal-religiöser Libanon

Obwohl diese "Iranisierung" also nie eine echte Gefahr darstellte, dürfte Zufriedenheit nun auch in den USA, in Europa und in Israel herrschen: Ein weiteres Erstarken der Hisbollah hätte die Bemühungen um eine Beilegung der anstehenden Probleme in der Region nicht gerade leichter gemacht. Und auch das Projekt der "Normalisierung" im Libanon wäre dadurch erneut zurückgeworfen worden.

Saad Hariri bei der Stimmabgabe; Foto: AP
Wahlsieger Saad Hariri: "Diese Wahlen haben keinen Gewinner oder Verlierer, weil der einzige Gewinner die Demokratie ist und der größte Gewinner ist der Libanon."

​​Eine radikal-religiöse Ausrichtung passt nun einmal nicht zum Libanon. Egal, welche Religion das auch wäre. Der Libanon ist ein buntes Mosaik der verschiedensten Volks- und Religionsgruppen und sein Überleben als Staat hängt davon ab, dass dieses Gefüge nicht allzu sehr durcheinander gebracht wird.

Der lange Bürgerkrieg, die Jahre der Konfrontation mit Israel und die der syrischen Einmischung haben ihre Spuren hinterlassen, aber auch den Wunsch verstärkt, wirklich unabhängig und frei zu sein – "libanesisch" eben.

Schwierige Regierungsbildung

Und trotzdem droht nun neues Ungemach: Nach jahrlanger innenpolitischer Auseinandersetzung zwischen der Regierung Fouad Sinioras und Hisbollah kam ein vorsichtiger Kompromiss einer Regierung der nationalen Einheit zustande.

Jimmy Carter als Wahlbeobachter; Foto: AP
Zu den Wahlbeobachtern gehörte der frühere US-Präsident Jimmy Carter.

​​Ungeliebt von den meisten – weil die einen die ungeschmälerte Macht wollten, die anderen aber ein größeres Stück davon einforderten – dürfte diese Koalition nun erneut auf den Prüfstand kommen: Die Wahlsieger werden nicht so leicht einer Erneuerung der Koalition zustimmen, die Verlierer aber auch auf ihren direkten Einfluss auf das politische Geschäft nicht verzichten wollen.

Einigt man sich nicht, dann droht erneut innenpolitische Spannung, setzt man aber die Koalition fort, dann nimmt man den Wahlen jede Bedeutung.

Peter Philipp

© Deutsche Welle 2009

Der Nahost-Experte Peter Philipp ist Chefkorrespondent der Deutschen Welle. Er war 23 Jahre Korrespondent in Jerusalem.

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