Javier Solana: EU bereit für weiteres Engagement

Der Rückzug der israelischen Siedler belebt den Friedensprozess und bringt Chancen für einen Palästinenser-Staat, schreibt Javier Solana, zuständig für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.

​​Israels Rückzug aus dem Gaza-Streifen und aus Teilen des nördlichen Westjordanlandes ist in seine Abschlussphase getreten. Für das israelische wie für das palästinensische Volk ist dies ein Ereignis von großer Bedeutung. Lange Zeit schien es keine Hoffnung für einen eigenen Palästinenserstaat zu geben.

Nun aber haben die beiden Kontrahenten die Chance, etwas dafür zu tun. Die Palästinenser und die Israelis - wie die übrige Welt - haben ein klares Interesse am erfolgreichen Abschluss der Räumung, nicht zuletzt, da auf beiden Seiten kommendes Jahr wichtige Wahlen anstehen. Verantwortliches Handeln und Führungsstärke sind deshalb von allen Beteiligten, auch von der internationalen Gemeinschaft, gefordert.

Dieser Räumungsprozess ist eine immense Herausforderung, doch sie birgt auch enorme Chancen. Sein Gelingen könnte zu einer Wiederbelebung des seit langem stagnierenden Friedensprozesses führen. Die Beteiligten könnten wieder zu Verhandlungen und zum Vollzug der so genannten Roadmap zurückkehren.

Es steht jetzt viel auf dem Spiel für die weitere politische Entwicklung, für die Sicherheit der Region und ihr wirtschaftliches und gesellschaftliches Gedeihen. Die Entschlossenheit von Ministerpräsident Ariel Scharon, trotz heftiger Opposition selbst aus den Reihen seiner Likud-Partei mit der Räumung des Gaza-Streifens fortzufahren, ist beachtlich.

Der Anblick israelischer Streitkräfte, welche die Israelis zum Teil gewaltsam aus ihren Siedlungen entfernen müssen, macht die Dramatik der Situation deutlich und unterstreicht, wie sehr die israelische Regierung bei diesem schwierigen Unterfangen Unterstützung verdient.

Auf dem Weg Richtung Souveränität?

Die Palästinenser erhalten durch die Räumung eine Chance, Skeptiker in Israel und anderswo davon zu überzeugen, dass sie ihre eigenen Angelegenheiten in verantwortlicher Weise regeln können. Zeigen sie sich der Situation gewachsen, könnten sie daraus Hoffnung und Selbstbewusstsein schöpfen, die sie dringend benötigen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie auf dem Weg zur vollen staatlichen Souveränität in den besetzten Gebieten sind.

Die Sicherheitsaspekte sind ausschlaggebend für den Erfolg der Räumung. Natürlich zählt für Israel vor allem, dass Gaza nicht zu einem feindlichen Gebiet wird, von dem aus Terroristen Anschläge auf benachbarte Gemeinden verüben.

Von der Palästinenser-Behörde sind harte Entscheidungen gefordert, um besser für die Einhaltung von Recht und Ordnung sorgen zu können. Staatliche Souveränität bedeutet, wie Palästinenserpräsident Machmud Abbas betonte, Respekt vor der Herrschaft des Gesetzes.

Wenn sie den Räumungsprozess nicht gefährden will und für eine Rückkehr zu politischen Verhandlungen eintritt, muss die Palästinenser-Behörde also entschieden gegen jene Individuen und Gruppen vorgehen, die weiterhin auf terroristische Gewalt setzen.

EU bereit zur Hilfe

Schließlich kommt es auch darauf an, wie bei der Räumung auf wirtschaftliche Aspekte eingegangen wird. Allen Beteiligten muss daran gelegen sein, dass die Menschen in einem der ärmsten Gebiete des Nahen Ostens mit der größten Überbevölkerung und der schlechtesten Versorgung wirtschaftlich auf die Beine kommen.

Javier Solana; Foto: DW-tv
Spricht sich für weiteres Engagement der EU im Gaza-Streifen aus: Javier Solana

​​Eines ist bei alledem klar: Das Scheitern der Räumung kann sich keiner der Beteiligten leisten. Dies werde ich bei meinem Besuch in der Region Ende des Monats klar zum Ausdruck bringen. Ich werde auch betonen, dass die EU bereit ist, zu helfen, wo sie nur kann, wenn die Kontrahenten dies wünschen.

Die Europäische Union hat sich bereits weitgehend im Friedensprozess engagiert und unterstützt beide Seiten bei der Räumung. Dies wird sie auch in den kommenden Wochen und Monaten tun.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten zählen seit langem zu den großzügigsten Geldgebern gegenüber den Palästinensern. Sie leisten jährlich je 500 Millionen Euro für dringende Bedürfnisse und als mittelfristige Beihilfe zum Aufbau von Institutionen. Die Europäische Kommission hat 60 Millionen Euro allein für den Räumungsprozess bereit gestellt.

Überdies unterstützt die EU die Bemühungen von Jim Wolfensohn, Sonderbeauftragter des Nahost-Quartetts, der die europäischen Beiträge mit denen anderer Geldgeber koordiniert, um für eine optimale Wirkung zu sorgen.

EU schon vor Ort in Ramallah

Auf Wunsch der Beteiligten ist die EU bereit, die Rolle des (unbeteiligten) Dritten auf dem Gebiet von Zollregelungen und der Grenzkontrolle zu übernehmen. Dies könnte dazu beitragen, den freien Waren- und Personenverkehr zwischen Gaza und der übrigen Welt zu erleichtern, wobei Israels Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt würden.

Die Europäische Union hilft bereits den Palästinensern, ihre verschiedenen Sicherheitsorganisationen unter klaren politischen Kontrollinstanzen zu festigen. Durch Ausbildung, Ausrüstung und finanzielle Hilfen tragen die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu bei, die Handlungsfähigkeit der palästinensischen Polizeikräfte zu erweitern und ihre Organisationsstrukturen umzuwandeln.

Eine Kerneinheit von EU-Ratgebern ist bereits in Ramallah und in Gaza-Stadt stationiert. Vorausgesetzt, gewisse Standards an Leistung und Rechenschaftspflicht werden erfüllt, ist die EU bereit, sich auf dem Gebiet der Sicherheit dort weiter zu engagieren.

Alle diese Schritte sind ein greifbarer Beweis dafür, dass die EU es nicht bei bloßen Versprechungen belässt, wenn sie der Loslösung Israels von Gaza Erfolg wünscht. Sie ist vielmehr bereit, noch mehr als bisher das ihre dazu beizutragen.

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Bei unserem Engagement sollten wir darauf bauen, dass schon bald nach dem Rückzug die Verhandlungen laut Friedensfahrplan wieder aufgenommen werden und eine Zwei-Staaten-Lösung angestrebt wird.

"Fenster der Möglichkeiten"

In diesem Zusammenhang werden wir uns mit den Fragen zu beschäftigen haben, die auf eine erfolgreiche Räumung folgen, einschließlich eines weiteren Rückzugs aus dem Westjordanland, dem Verlauf der Grenzmauer und der Zukunft von Jerusalem.

Fenster der Möglichkeiten tun sich in der internationalen Politik - und erst recht im von Krisen gebeutelten Nahen Osten - selten genug auf. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass ein solches Fenster wieder geschlossen wird.

Javier Solana

Aus dem Englischen von Eva Christine Koppold

© Süddeutsche Zeitung, 23. August 2005

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