Paten des Terrors

Militante Gruppierungen schüren im Irak zunehmend die Gewalt. Insbesondere radikale Islamisten, wie der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, haben ein Interesse daran, die bevorstehenden Wahlen zu torpedieren. Über die politischen Ziele und Netzwerke al-Zarkawis berichtet Alexandra Senfft.

Fahndungsfoto von Abu Musab al-Zarqawi, Foto: AP
Fahndungsfoto von Abu Musab al-Zarqawi

​​Die für den 30. Januar angesetzten Wahlen fest im Blick, schüren militante Gruppierungen im Irak zunehmend die Gewalt. Insbesondere radikale Islamisten wollen den Urnengang verhindern: Sie sehen ihren politischen Einfluss, den sie unter Saddam Hussein genossen hatten, zugunsten einer voraussichtlich schiitisch dominierten Regierung schwinden.

Mörderische Anschläge wie die auf die schiitischen Städte Najaf und Kerbala am 20. Dezember gehören denn auch zu einer Serie innerkonfessioneller Blutakte, die den Irak in einen Bürgerkrieg zu treiben drohen.

Chaos - die Strategie des Abu Musab al-Zarqawi

Vermutlich ist genau das die Strategie des Abu Musab al-Zarqawi, dem nach Bin Laden international meistgesuchten islamistischen Terroristen: Je anarchischer der Irak wird, umso größer das Chaos – und Chaos ist das Lebenselixier für militante Islamisten, die das Machtvakuum für ihre fanatischen Interessen nutzen.

Die Bush-Administration hat 25 Millionen Dollar Kopfgeld auf den gefürchteten Jordanier ausgesetzt. Sie macht ihn für Terroranschläge in Madrid, Paris und Istanbul verantwortlich und wirft ihm die Enthauptung zweier US-Bürger und einer britischen Geisel vor, dazu noch diverse andere Verbrechen, die vermutlich aber gar nicht alle auf sein Konto gehen. Es gibt Hinweise, dass al-Zarqawi der Drahtzieher einer Gruppe in Deutschland war, die Anschläge auf jüdische Einrichtungen plante.

Über al-Zarqawi ist kaum etwas bekannt und zwar so wenig, dass einige Experten die Existenz des radikalen Islamisten gar bezweifeln oder meinen, er sei in Gefechten längst ums Leben gekommen. Die über ihn vorhandenen Informationen sind teils nicht gesichert und deshalb häufig spekulativ.

"Eher ein Schlägertyp als ein Denker"

Gewiss scheint allein, dass al-Zarqawi 1966 im jordanischen Zarqa unter dem Namen Ahmad al-Khalaila in eine Beduinenfamilie hinein geboren wurde und in einem erzkonservativen Milieu mit geringer Schulbildung aufwuchs. Er soll schon als Jugendlicher kriminell veranlagt gewesen sein, "eher ein Schlägertyp als ein Denker" (The Guardian).

Wie der Vater von vier Kindern zum radikalen Islam fand, lässt sich gegenwärtig nur mit dem üblichen Gemisch aus psychologischen, sozialen und politischen Ursachen erklären. Jedenfalls reiste er nach Pakistan und Afghanistan, um gegen die Sowjets zu kämpfen, und verbrachte wegen umstürzlerischer Machenschaften Jahre in einem jordanischen Gefängnis. Im Jahr 2000 floh er abermals nach Afghanistan und, von der US-Militärintervention, vertrieben schließlich in den Irak.

Dort machte er sich ab 2004 mit seiner Gruppe Jama’at at-tawhid wa-l-Jihad (Gemeinschaft des Monotheismus und des Heiligen Kriegs) zum "terroristischen Trendsetter", meint Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte. Mit seinen auf Video festgehaltenen schockierenden Enthauptungsaktionen konnte der professionell operierende Radikalislamist bald weltweit von sich Reden machen.

Strategien gegen den Westen

Az-Zarqawi will als Rückgrat des irakischen und des arabischen Widerstands gegen die alliierten und israelischen Besatzer gelten. Ihm sollen die Militanten folgen und ihm die finanziellen Spenden für die gemeinsame Sache gebühren. Das will er durch möglichst spektakuläre und grausame Taten erreichen, die ihm als Leistungsnachweis dienen.

In einem ihm zugeschriebenen Brief, den die US-Behörden im Februar 2004 veröffentlichten, dessen Herkunft unter Experten aber bis heute umstritten ist, erklärte er: "Wir hoffen, die Speerspitze, die ermächtigende Vorhut und die Brücke zu sein, über die die islamische Nation zu ihrem versprochenen Sieg schreitet und zu der Zukunft, die uns vorschwebt."

Sein Hauptfeind seien die USA und alle, die mit ihnen verbündet sind, so ein vermeintlicher Mitstreiter al-Zarqawis am 10. September 2004 in der arabisch-sprachigen Zeitung al-Hayat: "Es steht überhaupt nicht zur Debatte, dass jeder, der mit den Besatzern kollaboriert, ein Verräter ist und getötet werden muss, gleichgültig, ob er Sunnit, Schiit oder Türke ist."

Während al-Zarqawi in seinem angeblichen Schreiben detailliert beschreibt, wen es zu bekämpfen gilt, entwirft er keine Visionen oder Gesellschaftsordnung für die Zeit nach dem angestrebten Sieg.

Zum Teil scheint seine Propaganda zu wirken: Es heißt, viele Radikale im Irak schlössen sich ihm an; Juan Cole, Historiker an der Michigan Universität, spricht gar davon, al-Zarqawi habe seine ausländische Guerillagruppe zu einer sozialen Bewegung im Irak gemacht.

Indes, die meisten Iraker wollen die ausländischen Militanten loswerden, berichtete die ägyptische Zeitung al-Ahram, denn sie machen sie für die anarchischen Zustände verantwortlich. Ihre Ablehnung mag sich aber auch darin begründen, dass al-Zarqawi den als legitim betrachteten, irakischen Widerstand gegen die amerikanischen Besatzer mit seinen radikal-religiösen und eigennützigen Aktionen diskreditiert.

Die von ihm angezettelte, blindwütige Gewalt könnte sich deshalb irgendwann gegen ihn selbst wenden – so wie sich seinerzeit die Algerier gegen die Massaker der GIA wendeten und die Ägypter den Radikalislamisten nach dem Blutbad von Luxor die Unterstützung entzogen.

Verbindungen zu Bin Laden

Az-Zarqawi wird gemeinhin im Kontext des internationalen Terrornetzwerkes al-Qaida genannt. Mit dieser angeblichen Verbindung wollte US-Außenminister Colin Powell seinerzeit nachweisen, dass die irakische Führung in den internationalen Terrorismus verwickelt sei – eine der Hauptbegründungen für die US-Invasion des Irak.

Auch darüber, inwieweit Zarqawi und Bin Landen miteinander zu tun haben, wissen die Experten bis heute recht wenig. Im Oktober 2004 erklärte Zarqawi sich zu Bin Ladens Gefolgsmann und taufte seine Gruppe in Qaidat al-Jihad fi Bilad ar-Rafidain (Zweistromland) um. Damit schien er sich nicht nur auf al-Qaida, sondern auch auf den Kampf im Irak festgelegt zu haben.

Doch die Sache ist komplizierter, sagt der Terrorismusexperte Steinberg und bezeichnet das Verhältnis zwischen den beiden Netzwerken als eines von "Konkurrenz und Kooperation". Wie er in einem demnächst erscheinenden Artikel zeigt, gibt es durchaus ideologische Gemeinsamkeiten, darunter vor allem die Absicht, die Amerikaner und Israelis aus der Region zu vertreiben und die korrupten, arabischen Herrscher zu stürzen.

Es gebe aber auch strategische Unterschiede: Az-Zarqawi wolle vorrangig Palästina befreien und habe sich auf eine hasserfüllte, anti-schiitische Linie eingeschossen, mit der er vielleicht "Financiers aus den Golfstaaten, wo antischiitische Ressentiments weit verbreitet sind, ansprechen" will. Bin Laden sei weitaus interessierter daran, das saudische Herrscherhaus zu Fall zu bringen und vermeide direkte Angriffe auf Schiiten.

Al-Qaida ist "ein Netzwerk von Militanten und existiert nur so lange, wie es angreift", sagt der Soziologe und Islamkenner Olivier Roy (Le Monde Diplomatique). Deshalb sei es ganz im Sinne Bin Ladens, wenn versprengte militante Gruppen sich mit dem Qaida-Logo schmückten, denn das hielte das Netzwerk am Leben und lasse es weitaus imposanter und international organisierter aussehen, als es in Wirklichkeit ist.

Da das gleiche für al-Zarqawi gilt, profitieren beide von der lockeren Beziehung, die Teil einer allgemeinen ideologischen Vernetzung von "Salafisten" ist.

In einer seiner über den arabischen Satellitensender Aljazeera ausgestrahlten Botschaften vom 27. Dezember 2004 ernannte Bin Laden al-Zarqawi allerdings 'offiziell' zum "Befehlshaber von al-Qaida im Irak".

Netzwerke und Ideologiemuster der Salafisten

Der "Salafismus" nährt sich aus der fanatischen Behauptung, nur der Prophet Muhammed und dessen Gefährten repräsentierten den wahren Islam. Alles, was von dieser vermeintlich reinen Lehre abweicht, jegliche Innovation oder Reform, ist für Salafisten ein Vergehen an der "religiösen Wahrheit" und muss bekämpft werden. Aus diesem Grund halten sie auch Schiiten für Häretiker, für Feinde ebenso wie Christen und Juden.

Der amerikanische Spezialist für radikal-islamistische Gruppen am Rhodes College, Quintan Wiktorowicz, hat das verwirrende Netz von Salafisten dargestellt: Sie gruppieren sich um einzelne Gelehrte mit regional und lokal bedingt ganz unterschiedlichen politischen Ansätzen und Zielen.

"Als ideologisches Netzwerk", sagt Wiktorowicz, "sind die Salafisten durch oft miteinander konkurrierende Linien heiliger Autorität und durch ihre Auslegungen über die göttlichen Pflichten zur Förderung und Verteidigung des Islam zerstückelt – obwohl sie einen gemeinsamen methodologischen Zugang zu den religiösen Interpretationen miteinander teilen. Das weist eher auf Zusammenhangslosigkeit und Meinungsvielfalt, denn auf Zentralisierung und Vereinheitlichung hin.

"Freilich gibt es innerhalb des Netzwerkes auch Gruppen, die sich um spezielle Gelehrte und dieselben Vorstellungen von Politik und Opposition im Islam scharen, aber selbst innerhalb dieser Gruppen gibt es Konkurrenz und Vielfalt. Das deutet auf einen fortdauernden, inner-salafistischen Kampf über Identität und religiöse Bedeutung hin."

Es ist anzunehmen, dass al-Zarqawi bestrebt ist, auch innerhalb der Bewegung der Salafisten die Führung zu übernehmen und sogar Bin Laden den Rang abzulaufen. Obgleich er in der Lage ist, seine angekündigten Taten meist plangenau durchzuführen, was auf ein hohes Maß an Professionalität schließen lässt, weiß jedoch niemand, was genau er wirklich vorhat.

Möglicherweise lassen sich seine Taten schlicht und einfach anhand eines unguten Gebräus aus fanatisch-religiösen, politischen und kriminellen Motiven erklären, ohne dass ihnen eine langfristige, logische Strategie mit praktischen Plänen für die Zeit danach zu Grunde läge.

Regionale oder globale Ausrichtung des islamistischen Terrors?

Fakt ist, dass viele Experten dagegen sind, sich zum Verständnis der Vorgänge im Irak und des international operierenden islamistischen Terrorismus auf Einzeltäter zu kaprizieren. Das liegt nicht nur an den geringen Kenntnissen über Gruppenführer wie al-Zarqawi, sondern auch daran, dass der Fokus auf eine Person oder eine Gruppe den Blick auf die Gesamtzusammenhänge und die Ursachen entschärfen könnte.

Nach Ansicht der Islamkenner gilt es, al-Qaida und al-Zarqawis Qaidat al-Jihad nicht als Organisationen, sondern als Bestandteile eines weltweit operierenden, ideologischen Netzwerkes von meist nicht miteinander kooperierenden Gruppen zu begreifen.

Zugleich warnen Wissenschaftler davor, den islamistischen Terrorismus ausschließlich als globales Phänomen zu begreifen, denn er habe seinen Ursprung in den unterschiedlichsten innenpolitischen Konflikten. Auch al-Zarqawi verfolgt in erster Linie regionale Ziele:

"In Anbetracht seiner angeblichen Herkunft und ethnischen Verbindungen ist durchaus anzunehmen, dass er den Irak als möglichen Ausgangspunkt für spätere Angriffe gegen Israel und für die Befreiung der palästinensischen Gebiete betrachtet", sagt Wiktorowicz. Freilich will der Jordanier aus armen Verhältnissen auch die Monarchie in seinem Geburtsland stürzen.

Dass der "Krieg gegen den Terror" neuen Terror schafft, ist mittlerweile kein Unkenruf von Kritikern der neokonservativen amerikanischen Außenpolitik mehr, sondern zur schrecklichen Wirklichkeit geworden. Beunruhigend ist dabei die Tatsache, dass der global agierende, islamistische Terrorismus kaum noch überschaubar ist.

Der französische Soziologe und Arabist Gilles Kepel meint, die Religiösen selbst hätten die Kontrolle über die Entwicklungen verloren, ja, das Haus des Islam gerate zunehmend ins Wanken und gefährde den Weltfrieden. Sein amerikanischer Kollege Wiktorowicz vermutet den Schlüssel bei den salafistischen Gelehrten, die das Verhalten ihrer Anhänger sanktionieren oder verbieten: "Wenn einflussreiche Dschihadisten-Gelehrte davon überzeugt werden könnten, dass Gewalt gegen das islamische Recht verstößt, hätte das eine enorme Wirkung."

Solange der Westen unterdessen nicht weiß, wie er den zunehmend nach Europa wandernden Problemen begegnen kann, behilft er sich mit Schlagworten. Insofern, sagte Kepel (in Die Welt), "ist ‚Zarqawi’ möglicherweise nur der Name, den wir unserer Ungewissheit geben. So wie ‚al-Qaida’ nur der Stempel ist, den wir einem äußerst komplexen Phänomen aufdrücken".

Alexandra Senfft

© Qantara.de 2005