Indonesien: Frauen und politischer Islam

In Indonesien versuchen muslimische Frauen, zunehmend Einfluss auf den Staat und den politischen Islam zu nehmen und setzen dabei auf unterschiedliche Strategien. Von Susan Blackburn

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Muslimische Frauen demonstrieren in Jakarta, Indonesien

​​Innerhalb des politischen Islams ist es oft schwierig, eine direkte Einflussnahme von Frauen auf Entscheidungsprozesse nachzuweisen. Schien sich der Einfluss in der Vergangenheit oft hinter den Kulissen abzuspielen, so geschieht dies in letzter Zeit immer offener.

Ein auffälliges Beispiel ist, wie etwa in der größten islamischen Organisation des Landes,"Nadhlatul Ulama" (NU), dass zwei Generationen von Frauen aus der Familie Abdurrahman Wahids Einfluss nehmen (Abdurrahman Wahid ist der Führer der "Nahdlatul Ulama" und wurde 1999 Präsident des Landes).

Innerhalb der NU wird inzwischen bestätigt, dass Wahids verstorbene Mutter, Solichah A. Wahid Hasyim, stark auf die Organisation eingewirkt hat. Sie war eine der Führerinnen der muslimischen Frauenorganisation "Muslimat NU"und saß zwischen 1960 und 1982 im Parlament.

Abgesehen von ihren Fähigkeiten, zwischen den rivalisierenden Interessengruppen zu vermitteln, wurde ihr interessanterweise nachgesagt, eine entscheidende Rolle dabei gespielt zu haben, die NU dazu zu bewegen nach dem kommunistischen "Coup" von 1965, klar Stellung gegen die kommunistische Partei Indonesiens (PKI) zu beziehen.

Den Einfluss vergrößern, indem man ihn verdeckt ausübt

Obwohl die Frauenorganisation "Muslimat NU" traditionell Konflikten aus dem Weg geht, wie Führerinnen der Organisation behauptet haben, war also zumindest eine von ihnen bereit, Konflikte auszutragen und auch zu lösen. Wobei sie darauf achtete, ihren Einfluss für die Öffentlichkeit kaum sichtbar auszuüben – und womöglich war er dadurch umso größer.

Sinta Nuriyah, Wahids Frau und dessen Schwester, Aisyah Hamid Baidlowi, gehören einer jüngeren Generation an und gehen anders vor. Sinta Nuriyah macht keinen Hehl aus ihrem starken Wunsch, innerhalb moderater islamischer Kreise feministische Reformen durchzusetzen.

Sie hat sich erfolgreich für eine Revision frauenfeindlicher Lehren eingesetzt, wie sie in Texten zu finden sind, die in den so genannten "Pesantren", den islamischen Internaten Indonesiens, verwendet werden.

Wie ihre Mutter hat Aisyah lange im Parlament für GOLKAR gedient (die Partei von Ex-Diktator Suharto) und war lange Zeit Vorsitzende von "Muslimat NU", wo sie liberale Veränderungen in Hinblick auf die Position der Frauen unterstützte. Sie setzte sich für eine "strategischere Positionierung" von Frauen in der Führungsriege der NU ein, da es, - laut Aisyahs - "ein Fakt ist, dass die Mehrzahl der NU-Mitglieder Frauen sind."

Männer unterstützen islamisch-feministische Denkweisen

Alles in allem wurde noch nicht genug dahingehend geforscht, auf welche Weise Frauen innerhalb solcher Organisationen versuchen, Einfluss auf den politischen Islam zu nehmen.

Organisationslogo von "Muslimat NU"

​​Allerdings lassen Buchveröffentlichungen von "Muslimat NU" und der islamischen Partei PSII Wanita ("Partai Syarikat Islam Indonesia") darauf schließen, dass unterschwellig Konflikte zwischen Gruppen innerhalb der Organisationen und der männlichen Führung existieren, die oft zugunsten der Frauen gelöst werden.

Es entsteht der Eindruck, dass Frauen innerhalb NU und PSII die männliche Führung überreden bzw. sich ihr widersetzen mussten, um Veränderungen zugunsten der Frauen herbeizuführen. Man konnte in den letzten Jahren auch deutlich beobachten, wie sowohl die Eloquenz der islamischen Frauen wuchs, als auch deren Bereitschaft, Themen zur Geschlechterrolle zu diskutieren.

Gemeinsam mit sympathisierenden männlichen Mitstreitern innerhalb dieser Organisationen tragen Frauen dazu bei, die Basis für eine islamisch-feministische Denkweise zu stärken.

Jüngstes Beispiel einer pluralistischen, progressiven islamischen Organisation in Indonesien ist die Gründung von "Rashima", einem Ausbildungs- und Informationszentrums über den Islam und die Rechte von Frauen.

Die Organisation konzentriert sich darauf, wie Frauen bei Beibehaltung einer islamischen Perspektive mit mehr Macht ausgestattet werden können. Im Vorstand der Organisation sitzen einige der bekanntesten muslimischen Intellektuellen und Aktivisten beiderlei Geschlechts.

Fundierte Kritik und Willensstärke gefragt

Inzwischen werden Bemühungen unternommen, radikaler Propaganda gegen Frauen etwas entgegenzusetzen, z.B. durch die Veröffentlichung populärer und akademischer Bücher, die den Standpunkt eines liberalen islamischen Feminismus propagieren.

Wo häufig eine Verbindung zwischen radikaler Literatur und dem Nahen Osten besteht, werden die Veröffentlichungen jüngster konterpropagandistischer Schriften oft mit Hilfe von Geldern aus dem Westen finanziert.

Die Aufgabe, die islamischen Praktiken aus einer islamischen Bewegung heraus zu beeinflussen, gestaltet sich für Frauen schwierig. Sie müssen über eine ausgesprochen fundierte Ausbildung in islamischer Theologie und eine ungewöhnlich starke Willenskraft verfügen, um sich fest etablierten ulama (islamischen Gelehrten) zu widersetzten und die islamischen Hadithe (Überlieferungen des Propheten) bzw. die Rechtssprechung in Frage zu stellen.

Von islamischen Führern ernst genommen zu werden heißt, die Vorraussetzung des universellen islamischen Anspruchs auf Wahrheit zu akzeptieren und innerhalb dieser Parameter zu argumentieren. Der Preis dafür kann sein, dass einem die nicht-islamische Welt die Unterstützung entzieht.

Sich die Stärke der Argumente von Feministinnen und "Außenseitern" einzugestehen, bedeutet für solche Frauen, die eigenen Argumente zu untergraben, denn diese leiten sich von einer Weltsicht ab, die Säkularismus, Feminismus, den Westen und generell nicht-islamische Quellen oft als anti-islamisch dämonisiert.

So können kleine Fortschritte für die Sache der Frauen innerhalb eines islamischen Bezugsystems auf Kosten von Verständnis und Identifikation mit Frauen anderen religiöser Zugehörigkeit gehen.

Solche Probleme haben indonesische Muslime, die die Rolle der Geschlechter diskutieren, seit mindestens einem Jahrhundert beschäftigt. Schon während der Kolonialzeit existierten Spannungen zwischen dem Islam und "modernen" Vorstellungen von Frauen.

Jene, die Reformen innerhalb des Islam propagierten, liefen Gefahr, sich den Vorwurf einzuhandeln, sie seien Fürsprecher eines zügellosen Umgangs zwischen den Geschlechtern nach westlichem Vorbild.

Kolonialzeit als Zäsur in den Beziehungen islamischer Gruppen

Während der Kolonialzeit ließen sich die Widersprüche allerdings leichter verdecken, da einem immer das gemeinsame nationalistische Ziel blieb. Inzwischen lässt sich die Kluft zwischen radikalen und moderaten islamischen Sichtweisen von Frauen innerhalb des politischen Islam wesentlich schwieriger überbrücken.

Während sich ohne Zweifel viele islamische Frauen noch immer für Reformen einsetzen, die sich innerhalb des eingeschränkten Diskurses islamischer Theologie bewegen - d.h. einer Elite vorbehalten sind - sind manche islamische Frauen bereit, dem radikalen Islam offen die Stirn zu bieten.

Ein Beispiel hierfür ist die Haltung von Suraiya Kamaruzzaman, der Direktorin der Frauenorganisation "Flower Aceh". Nachdem sie viele Jahre lang einen so genannten jilbab (Kopftuch) als Zeichen ihrer islamischen Identität getragen hatte, entschloss sie sich, ihn im Jahr 2001 abzulegen.

Dies geschah aus Protest gegen eine Entscheidung der lokalen Regierung in Aceh, die – gemäß ihrer Auslegung der Scharia (das islamische Rechtssystem) – das Tragen von islamischen Kleidern für Frauen zur Vorschrift gemacht hat: "Es hat mich so wütend gemacht zu hören, wie Frauen gejagt und mit Eiern und Tomaten beschmissen wurden, weil sie den jilbab nicht trugen," sagt Kamaruzzaman.

"Eine Frau in einem Bus nach Tekengon war so verärgert über eine Gruppe junger Männer, die sie belästigten, weil sie nur einen losen Schal trug, dass sie ihnen mit ihrer Sichel drohte. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Thema der Frauenkleider dazu benutzt werden kann, sich Frauen für viele Zwecke gefügig zu machen. Jeder Mann, vom Schuljungen bis zum alten Mann, meint inzwischen, Moralpolizei spielen zu müssen."

Sanfte Revolution bei Mädchenerziehung und früher Heirat

Der Einfluss von Frauen lässt sich womöglich leichter ausmachen in Anbetracht einiger Themen, die damit zu tun haben, wie Frauen durch ihr islamisches politisches Engagement geprägt wurden.

Was all diese Bereiche angeht haben indonesische Frauen, ob innerhalb oder außerhalb der islamischen Gemeinde, an Debatten teilgenommen und – zusammen mit männlichen Sympathisanten – Reformen durchgesetzt, die zu einem weiteren Machtzuwachs von Frauen geführt haben.

In manchen Fällen haben Überredungskunst und Erziehungsarbeit Sichtweisen verändert. Ganz nach der Art einer sanften Revolution, die ein islamisches Umdenken in Bezug auf die Erziehung von Mädchen und das frühe Heiraten bewirkt hat. Zumindest ein dramatischer progressiver Wandel, nämlich dass Frauen als Richter an islamischen Gerichten zugelassen wurden, konnte gegen nur minimale Widerstände herbeigeführt werden.

In anderen Fällen gab es offene Auseinandersetzungen. Säkular eingestellte Frauen konfrontierten offen islamische Organisationen zu Themen, wie z.B. Polygamie. Diese Frauen meldeten sich in den letzten Jahren auch deutlich zu Wort bei Themen, wie den Vergewaltigungen von 1998, der Megawati-Präsidentschafts-Debatte und hinsichtlich der Gewalt gegen Frauen.

Akzeptanz liberaler Auslegungen nur eine Frage der Zeit

Der politische Islam musste sich der Opposition gewahr werden, die ihm von innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen gegenübersteht. Die radikaleren Elemente versperren sich und lehnen eine solche Opposition als westlich-beeinflusst und anti-islamisch ab.

Allerdings: geht man davon aus, in welchem Maße sich das Denken zugunsten des Machtzuwachses von Frauen über die Jahre verändert hat, müssen sich die pragmatischeren Elemente darüber im Klaren sein, dass es - was manche Themen wie Vergewaltigung in der Ehe und Aufklärungsunterricht für Jugendliche angeht - nur eine Frage der Zeit ist, bis liberalere Auslegungen der Schriften akzeptiert werden.

Lassen sich die neuen Parteirichtlinien, nach denen mindestens 30 Prozent der Frauen als Kandidatinnen aufgestellt werden müssen, durchsetzen, wird dies in nicht absehbarem Maße Einfluss auf islamische Parteien haben. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die anhaltende Lobbyarbeit der Frauen auf politischer wie religiöser Ebene Einfluss auf den politischen Islam nimmt.

Herausforderung für die islamischen Führer

Schließlich ist es wichtig hervorzuheben, dass - wie in jeder muslimischen Gesellschaft - indonesische Frauen häufig entgegen den Lehren des Islam handeln bzw. entgegen den Lehren des Islams behandelt werden. Manchmal ist dies zu ihrem Vorteil, so z.B. bei gesetzlichen Erbregelungen in Westsumatra, wo Eigentum innerhalb der weiblichen Ahnenreihe vererbt wird.

Es kommt aber auch vor, dass muslimische Frauen im Stillen religiöse Lehren missachten und damit eine Kluft zwischen Doktrin und gelebter Realität offenbaren. So nimmt beispielsweise die Zahl der Abtreibungen zu.

Dies stellt islamische Führer vor eine Herausforderung. Sie haben entweder die Wahl, unbeweglich zu bleiben oder, wie so oft der Fall, sich erneut den religiösen Texten zuzuwenden, um sie im Licht veränderter Umstände neu zu interpretieren.

Im Iran hat das islamische Regime große Schwierigkeiten, dem Widerstand gegen ihre Politik der harten Linie durch einfache Bürger, inklusive Frauen, etwas entgegenzusetzen. Der politische Islam muss sich mit den Bedürfnissen und Wünschen der einfachen Bürger auseinandersetzen. Diese haben oft das Gefühl, dass sie nicht gemäß einem wortwörtlichen Verständnis der Lehren leben können.

Susan Blackburn

Übersetzung aus dem Enfglischen: Tareq al-Arab

Dr. Susan Blackburn ist Dozentin am Fachbereich Politikwissenschaft der Monash University in Melbourne, Australien