Gott schütze uns vor der Rückkehr der Religionen!

Robert Misik betreibt klassische Religionskritik. Zugleich ist er einer der engagiertesten Gegner islamophobischer Verunglimpfungen. Lewis Gropp hat den Wiener Autor und Publizisten getroffen.

Robert Misik; Foto: privat
Wider absolutistische Wahrheitsbegriffe: Robert Misik hat sich bei seinem theologischen Quellenstudium mit den Dogmen der monotheistoschen Religionen auseinandergesetzt.

​​ Die allmähliche Rückkehr der Religion in die Politik hat Robert Misik dazu veranlasst, ein theologisches Quellenstudium zu betreiben. Dabei hat er sich insbesondere mit der Bibel und dem Koran beschäftigt. Die Behauptung, wonach moderne Gesellschaften ohne religiöse Werte moralisch verfallen würden, hat sich aus seiner Sicht durch diese Lektüre mehr als widerlegt.

"Die heiligen Schriften der großen monotheistischen Weltreligionen sind keine sehr freundlichen Bücher", so der Wiener Autor. "In den rosigsten Farben werden da Dinge geschildert, die wir heutzutage mit Begriffen wie 'Genozid' oder 'ethnische Säuberung' bezeichnen würden und als 'religiöser Terror'."

Die Intoleranz des absolutistischen Wahrheitsanspruchs

In seinem Buch von 2008, ein Plädoyer für die Trennung von Religion und Politik mit dem subtil ironischen Titel "Gott behüte!", argumentiert Misik, dass monotheistische Religionen per definitionem einen absolutistischen Wahrheitsanspruch haben und ihre Lehre so zwangsläufig auf einer dogmatischen und intoleranten Weltanschauung aufbaue.

Sein Fazit: Die Bibel sei sicher ein bedeutendes Stück Literatur und die Lektüre des Korans ein ästhetisches Erlebnis, "aber beides sind keine Bücher, die man seinen Kindern geben sollte, wenn man sie zu moralischen Individuen erziehen möchte".

Tolerant, weil schwach

Muslimische Männer im Gebet; Foto: dpa
Macht des Glaubens: "Keine gesellschaftliche Stimme kann darauf pochen, dass ihre Gefühle im Meinungsstreit nicht verletzt werden dürfen", so Robert Misik.

​​Dass die Kirche sich gegenwärtig als karitative Institution inszeniert, die sich mildtätig für Außenseiter und Underdogs engagiert, sei nur deswegen möglich, weil ihre gesellschaftliche Macht gebrochen ist, argumentiert Misik; die These belegt er mit einem Zitat des Religionsphilosophen Kurt Flasch:

"Als es [das Christentum] machtlos war, plädierte es für Glaubensfreiheit. Wo es Staatsreligion war, reagierte es fundamentalistisch roh gegen Häretikergruppen." Die Kirche habe die Toleranz also erst entdeckt, als ihr Machtmonopol endgültig gebrochen war.

Im Koran macht Misik eine ähnliche Entdeckung: Die gemäßigten, moderaten Suren stammen allesamt aus einer Zeit, in der Mohammed noch keine Möglichkeit für eine gewaltsame Verbreitung seines Glaubens hatte. Die späteren hingegen, die auf dem Höhepunkt der politischen Macht des Propheten entstanden, seien von einem kriegerischen Geist durchdrungen. Mit aufschlussreichen Beobachtungen wie diesen zeigt Misik, wie sehr das vermeintlich Göttliche an das allzu Menschliche gekettet ist.

Die Religion als Aufputschmittel, nicht als Opium

​​ In seiner klugen, kurzweiligen und stilistisch raffiniert komponierten Monografie widerspricht Misik Karl Marx' Diktum von der Religion als "Opium der Völker".

Die Religion sei vielmehr ein "Aufputschmittel", bestens dafür geeignet, die Religionen gegeneinander aufzuhetzen – so wie beispielsweise beim Karikaturenstreit von 2006.

Die Sonderbehandlung, die religiöse Gruppen immer wieder für ihre Überzeugungen einfordern, und die Behauptung, dass jede Art von Kritik automatisch eine Respektlosigkeit sei, lehnt Misik ab.

"Keine andere gesellschaftliche Stimme kann darauf pochen, dass ihre Gefühle im Meinungsstreit nicht verletzt werden dürfen. Denn hat man schon jemals von politischen Akteuren gehört, die beklagten, die Argumentation ihrer Gegner würde ihre 'gewerkschaftlichen Gefühle' verletzen oder ihre 'liberalistische Grundhaltung' nicht respektieren."

Kritik von außen und von innen

Für Misik besteht aber ein entscheidender Unterschied unter anderem darin, ob Kritik von außen oder von innen kommt. "Der Spott wurde ja von der Aufklärung in die Religionskritik eingeführt", erklärt er im Gespräch am Rande einer Konferenz in Köln.

"Und in der Regel war es ja so, dass die mächtige klerikale Autorität in Europa von liberalen Kritikern verspottet worden ist, die aus dieser christlich geprägten Kultur kamen. Die Ohnmächtigen haben die Mächtigen verspottet. Es handelt sich hierbei also um einen klassisch emanzipatorischen Akt, und in diesem Sinne gilt: Satire darf alles."

Wenn aber eine gut integrierte Mehrheit die Religion und Kultur einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe verspottet, sehen die Dinge anders aus. "Wenn die Nazis die Juden verspottet haben, wäre ja auch niemand auf die Idee gekommen, dass es sich dabei um aufklärerische Religionskritik handele."

Wider einen neuen 'Kulturalismus'

​​ Misik geht es aber nicht nur darum, im Sinne säkularer Ideale die Trennung von Staat und Kirche zu bekräftigen. "Seit dem 11. September hat sich die Religion in sämtliche Diskurse eingeschlichen", beklagt er. Die Folge sei eine "rhetorische Verschärfung".

"Früher hat man die globalen Konflikte mit Begriffen wie Kolonialismus, Imperialismus, Nationalismus und so weiter beschrieben. Heute wird alles auf die Religion zurückgeführt." Dieser neue 'Kulturalismus' sei im Grunde der Rassismus von gestern.

"Ein Ausländerkind, das im Park zu laut Fußball spielt, ist neuerdings nicht mehr der Türkenbub, sondern der Moslem, der 'nicht zu uns passt'", erklärt Misik. "Dabei liegen den globalen Konflikten immer noch politische Ursachen zu Grunde." Sein Plädoyer, die Religion aus der Politik zu halten, ist auch in diesem Sinne zu verstehen.

Die Widersprüche der Kulturchauvinisten

In seinem neuen Buch, Politik der Paranoia, in dem er gegen "die neuen Konservativen", Islamophobiker und Kulturchauvinisten zu Feld zieht, zeigt er die Widersprüche der neuen Kulturkämpfer auf:

"Man feiert die 'Renaissance der Religionen' und hofft in deren Zuge darauf, Europa, der 'säkulare Kontinent', könne seine 'christliche Identität' wieder schätzen lernen – in Abgrenzung zu den bösen Moslems. Der leiseste Versuch, zu ergründen, warum in manchen Weltgegenden die US-Armee nicht als bewaffneter Arm von Amnesty International angesehen wird, gilt den neuen Konservativen schon als verdammenswertes 'Appeasement'."

Das ist das eigentlich Dilemma, dass die freie, demokratische Gesellschaft die eigenen Werte wie einen Schlagstock hochhält und ihre Ideale dabei verrät.

Am Schluss von Politik der Paranoia steht die Überzeugung: "Man überzeugt niemanden von der moralischen Überlegenheit der eigenen Werte, wenn man ihn fortwährend diskriminiert."

Lewis Gropp

© Qantara.de 2009

Robert Misik (geb. 1966) ist Autor von "Genial dagegen – Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore" (Aufbau Verlag, 2005). Im vergangenen Jahr publizierte der Wiener Überreuter Verlag sein Buch "Gott behüte! Warum wir die Religion aus der Politik raushalten müssen". Soeben ist sein neuester Band "Politik der Paranoia: Gegen die neuen Konservativen" erschienen (Aufbau Verlag, 2009). Er schreibt regelmäßig für die taz, für die in Österreich erscheinenden Magazine profil und Falter sowie für Qantara.de.

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