Die neben dem Wind segeln

Ein kleiner ambitionierter Schweizer Verlag publiziert seit 20 Jahren arabische Autoren in deutscher Sprache. Stefan Weidner stellt den Verlag vor.

Logo Lenos-Verlag

​​Glaubt man den Auguren des Literaturbetriebs, läge ein Verlag wie dieser in den letzten Zügen; und ein Programm wie dieses gäbe es ohnehin nicht, denn es spricht allen wirtschaftlichen Erwägungen Hohn: Schwerpunkt zeitgenössische arabische Literatur! Trotzdem ist Lenos kein sich in Nischen festkrallender Kleinverlag. Dafür ist er zu ambitioniert, sind die Bücher zu sorgfältig gemacht und vor allem: Dafür existiert der Verlag mit seinen 31 Jahren schon zu lange. Nicht dem Zeitgeist widerstehen wollen, sondern behutsam an seinen Rändern entlangsegeln, könnte man das Konzept von Heidi Sommerer und Tom Forrer, den Verlagsleitern fast von Anbeginn, beschreiben. Linksorientierte Sachbücher und Schweizer Belletristik (Annemarie Schwarzenbach, Guido Bachmann, Blaise Cendrars) prägten zunächst das Programm des Verlags, der "Leros" heißen sollte, wie die Gefangeneninsel während der griechischen Militärdiktatur. Ein Druckfehler - und zu wenig Geld, um eine ganze Auflage deswegen einstampfen zu lassen - machte daraus den Lenos-Verlag, was, wie Heidi Sommerer heute urteilt, viel vernünftiger klingt.

Die Hinwendung zur arabischen Literatur nahm ihren Anfang 1983, durch die Begegnung mit dem Orientalisten Hartmut Fähndrich. Zwar ging es nach ersten Erfolgen mit dem Palästinenser Ghassan Kanafani erst einmal zäh voran. Doch dann kam 1988 der Nobelpreis für Machfus, der die arabische Literatur überraschend ins Schlaglicht rückte; gleichzeitig boomte die Frauenliteratur. Zwei Libanesinnen zählen seither zu den Bestsellern von Lenos: Emily Nasrallah und Hanan al-Scheich. Während Nasrallah eingängig, jedoch eher konventionell erzählt, erweist sich Hanan al-Scheich als eine der avanciertesten arabischen Schriftstellerinnen. Sahras Geschichte, das Buch, mit dem die 1945 geborene Libanesin 1980 auf einen Schlag berühmt wurde, entführt uns nach Beirut, in den Bürgerkrieg. Die psychisch labile Sahra leidet unter ihrem tyrannischen Vater, wird vom Freund ihres Bruders missbraucht, mit Elektroschocks therapiert und findet schließlich ausgerechnet bei einem Heckenschützen die ersehnte Geborgenheit - bis sie schwanger wird. Hanan al-Scheich ist eine Virtuosin der Erzählperspektiven und des weiblichen Blicks, dabei jene westlichen Vorurteile hinwegfegend, die über arabische Frauen oftmals bestehen.

Trotz solcher Qualitäten wird die arabische Literatur, wie Hartmut Fähndrich findet, immer noch gern herablassend behandelt. Außer Vorurteilen spielen dabei vor allem die Poetiken der meisten arabischen Romane, die sich oft konträr zu den deutschen Lesegewohnheiten verhalten. Ohne die Bereitschaft, sich auf diese ganz anderen Lese-Erfahrungen einzulassen, dürfte man oft selbst an den besten Werken scheitern. Was man verpassen würde, dafür ist der libysche Romancier Ibrahim al-Koni ein Paradebeispiel. Der 1948 geborene Autor wuchs in der libyschen Sahara unter den Tuaregnomaden auf und erzählt von Gewalt, Zerstörung und Sexualität in einer im Untergang begriffen Welt. Immer wieder bricht auf die ein oder andere Weise das Unheil über die rigide, der Wüste trotzende Stammesgesellschaft herein und zerstört den empfindlichen Kreislauf des Zusammenlebens von Mensch und Natur - sei es durch Naturkatastrophen und das Eindringen von Fremden, wie in "Blutender Stein" (Lenos 1995), sei es durch die Vermessenheit eines Einzelgängers, wie in Nachtkraut, Ibrahim al-Konis im letzten Jahr auf Deutsch erschienenem Roman.

Im Kugelhagel Kaffee kochen

Keine überlieferte moralische Grenze, kein "Gesetz der Ahnen" wird hier mehr als gültig erachtet, exzessiv werden Brutalität und Sexualität, stimuliert durch das geheimnisvolle, aphrodisische Nachtkraut, ausgelebt und beschrieben. Mit seinem dichten, sehr emphatischen Stil und einer oft pathetischen Symbolik überschreitet al-Koni nicht selten die Grenze dessen, was hierzulande literarisch zum guten Ton zählt. Gerade dieser nomadisierende, sich um keine Grenzen vermeintlich guten Geschmacks scherende Stil aber, lässt man sich darauf ein, macht die literarische Größe des Nomaden al-Koni aus. Sein soeben erschienenes 800-seitiges Opus magnum - der als das "Epos der Tuareg" geltende Großroman "Die Magier" - ist ein erzählerischer Fluss ohne Ufer und zugleich ein in alter Tradition stehendes, orientalisches Weisheitsbuch - eine Suche nach dem rechten Leben. Unter den extremen Bedingungen der Sahara lauten die Lebensfragen: Sesshaftigkeit oder Nomadentum? Händler oder Hirte, Geist oder Geld, Streben nach Glück im Diesseits oder im Jenseits? Die Magier zu lesen kommt einem spirituellen Erlebnis gleich, das so nur die orientalischen Literaturen zu verschaffen wissen.

Ein anderer großer Name in der von Fähndrich herausgegebenen Reihe ist der 1929 geborene Sudanese al-Tajjib Salih. Nach dem Erfolg mit dem Roman Die Zeit der Nordwanderung von 1998 (wohl der am wärmsten zu empfehlende Titel aus Lenos' arabischem Programm) wurden im letzten Jahr Salihs Erzählungen nachgelegt. Wie bereits im Roman thematisiert der Dichter auch hier die Konfrontation von Ost und West, von Tradition und Moderne, indem er subtile und brutale Darstellungsweisen kunstvoll verschränkt.

Die Unübersichtlichkeit des arabischen Buchmarkts, wo es weder ein Verzeichnis lieferbarer Bücher noch eine zuverlässige Literaturkritik gibt, macht die Suche nach arabischer Literatur zu einem aufreibenden, rechercheintensiven Geschäft. Wegweisend wirkt daher der Zusammenschluss mehrerer europäischer Verlage und Übersetzer, die regelmäßig zum Erfahrungsausstausch zusammenkommen. Frucht dieser Kooperation ist die (für den deutschsprachigen Raum bei Lenos verlegte) Reihe Zeugnisse des Mittelmeers, die sich zum Ziel gesetzt hat, autobiografisch-dokumentarische Werke aus der arabischen Welt parallel in möglichst vielen der sieben beteiligten Sprachen zu veröffentlichen.

Literarische Kleinode findet man dort in den Autobiografien des christlichen Palästinensers Dschabra Ibrahim Dschabra und der Irakerin Alia Mamduh; diese schildert das Erwachsenwerden in der Altstadt von Bagdad, jener erzählt über eine Kindheit im Bethlehem der 20er Jahre. Solche Bücher, ebenso wie die von al-Tajjib Salih, hätten das Zeug, die arabische Literatur aus ihrem Schattendasein zu holen, würden sie nur genügend wahrgenommen. Gewiss gibt es in der arabischen Reihe auch behäbige Titel, die ein gewisses Spezialinteresse erfordern, etwa der im letzten Herbst erschienene Roman aus dem Nachkriegslibanon von Hassan Dawud, Der Gesang des Pinguins.

Wer sich hier überfordert fühlt, greife zu der aufwühlenden Mischung aus Erzählung, Essay und Autobiografie unter dem Titel Ein Gedächtnis für das Vergessen. Darin zeichnet der selbst in Israel anerkannte palästinensische Dichter Mahmud Darwisch die Tage der israelischen Belagerung im Jahr 1982 aus der Sicht der Palästinenser nach. In einer der berühmtesten Passagen der modernen arabischen Literatur beschreibt Darwisch über Dutzende Seiten hinweg, wie er versucht, inmitten des Granathagels einen Kaffee in der aufwändigen Art der Araber zu kochen. Eine schöne Metapher für die Arbeit von Lenos: Gegen jede (vermeintliche) Vernunft, unter Einsatz der (verlegerischen) Existenz die wunderbarsten arabischen Köstlichkeiten zu kredenzen. Nur wie viel Zucker der Kaffee haben soll, das muss jeder für sich entscheiden.

Stefan Weidner

Quelle: DIE ZEIT, 5. Juli 2001; © Stefan Weidner

Lenos Verlag
Spalentorweg 12
CH-4051 Basel

Tel: 0041 (0) 61 261 34 14
Fax: 0041 (0) 61 261 35 18

E-Mail: lenos@lenos.ch