Augenfällige Präsenz von Deutschtürken

Das alteingesessene Filmfestival in Antalya präsentierte sich dieses Jahr mit einem neuen, zukunftsträchtigen Konzept und positionierte sich da, wo das Land hingehört – zwischen Ost und West. Amin Farzanefar hat sich dort umgesehen.

Logo des Antalya-Filmfestivals
Logo des Antalya-Filmfestivals mit dem Symbol der "Goldenen Orange"

​​Auf dem Plakat des Eurasia-Wettbewerbs sah man zwei junge Männer, die auf dem schmalen Band eines Zelluloidstreifens, der sich quer durch den Himmel spannte, aufeinander zu balancieren.

Film als zartes Band der Begegnung, als Medium des interkulturellen Dialogs: Das diesjährige Filmfestival in Antalya bemühte sich, beiden Seiten dieser Begegnung – dem finanziellen und dem kulturellen Aspekt - gerecht zu werden.

So gab es dieses Jahr erstmals einen Filmmarkt, der die Filmschaffenden zu Joint Ventures und Koproduktionen anhalten sollte; und zum zweiten Mal gab es den Eurasia-Wettbewerb, auf dem das Beste aus zwei Kontinenten zu sehen war: Filme aus Iran, China, Japan, aus Frankreich, Finnland und vor allem aus dem Balkan und Osteuropa.

Ausschnitt des Plakats des Eurasien-Festivals
Ausschnitt des Plakats des Eurasien-Festivals

​​Der EU-Beitrittskandidat spielte seine viel beschworene Brückenlage selbstbewusst aus und inszenierte den internationalen Auftritt mit Glamour. Im 43. Jahr umgab man sich mit Stars: Faye Dunaway, Helen Mirren, Taylor Hackford, Norman Jewison.

Zusätzlich sorgten hochkarätige Workshops, aufwändige Pressekonferenzen, teure Gala-Veranstaltungen und viele Partys dafür, dass die Terrorangst verblasste und die mit Edelhotels gesäumte Küstenpromenade im traumhaften Glanz eines Klein-Cannes schimmerte.

Neue Gastarbeiter

In den einzelnen Film-Sektionen gab es einen Bollywood-Schwerpunkt sowie eine Rückschau auf zehn aktuelle deutsche Filme - von "Requiem" über "Schläfer" bis "Der freie Wille".

Detlev Bucks im gewaltbereiten Migrantenmilieu spielender Film "Knallhart" befremdete mit seinem Türkenbild das einheimische Publikum etwas, ansonsten war eine neue Präsenz von Deutschtürken in allen kreativen Bereichen augenfällig.

Regisseur Fatih Akin mit Hauptdarstellerin Sibel Kekilli; Foto: AP
Regisseur des Films "Gegen die Wand", Fatih Akin, mit Hauptdarstellerin Sibel Kekilli

​​Möglicherweise hat der europäische Filmpreis für Fathi Akins Film "Gegen die Wand" tatsächlich neue Türen geöffnet.

Die deutsche Filmbranche, trotz aller Diskussionen immer noch fixiert auf eindimensionale Rollenklischees für "Ausländer", muss jedenfalls aufpassen: Schnell könnten ihr in einer rückläufigen Arbeitsmigration, verstärkt durch die boomende türkischen Medienindustrie, interessante Talente an den Bosporus entschwinden.

Die Mitwirkenden von Fatih Akins Berlinale-Gewinnern standen jedenfalls exemplarisch für eine neue Grenzüberschreitung im europäischen Filmschaffen:

Birol Ünel spielte in Tony Gatlifs neuestem Balkan-Roadmovie "Transsylvania" erneut einen psychischen und sozialen Grenzgänger, und Sibel Kekilli - von der türkischen Regenbogenpresse unlängst noch mit Schmutz beworfen - wurde nun in "Eve Gönüs" ("Zurück nach Hause") - einer rein türkischen Produktion - als beste Nebendarstellerin gefeiert.

Wunderknabe Akin selber hat in der Türkei gerade das – deutsche – Drama "Soul Kitchen" abgedreht und war zeitgleich in Antalya als Koproduzent eines türkischen Werks ("Takva")vertreten.

Was macht der türkische Film?

Antalya verleiht alljährlich den wichtigsten türkischen Filmpreis, die "Goldene Orange", deren Gewinner regelmäßig in deutschen Kinos zu sehen sind. Dieses Jahr schöpfte der nationale Wettbewerb aus einer Jahresproduktion von 26 Filmen.

Aufgrund der katastrophalen staatlichen Filmförderung verteilt sich dieses spärliche Schaffen nach wie vor auf zwei Lager:

zum einen auf ein subventionsunabhängiges Independent-Kino, aus dem auch die beiden Hauptpreisträger hervorgingen: Zeki Demirkubuz' "Kader" (Schicksale) erhielt die Goldene Orange für den besten Film und Nuri Bilge Ceylans "Iklimler" (Klimas) für die beste Regie.

Ceylans pessimistisches Beziehungsporträt ist atemberaubend fotografiert, erinnert aber eher an die großen Meister Bergmann, Tarkovski oder Antonioni als an die aktuelle türkische Gegenwart – mit dieser Zeitlosigkeit war geradezu ein europäischer Maßstab erreicht ...

Zum anderen entsteht – finanziert durch eine Mafia aus Fernsehmachern und Sponsoren aus der Industrie - ein filmischer Mainstream, der mit seiner Themenwahl momentan recht dicht am Puls der Zeit liegt.

Aufarbeitung der Geschichte

Insbesondere zwei Filme brachen mit früheren Tabus und stießen beim Publikum auf große Zustimmung:

"Eve Dönüs" mit Sibel Kekilli arbeitet das düstere Kapitel des Militärputsches von 1980 auf. Die Geschichte eines einfachen Arbeiters, der dem Generalverdacht nicht mehr entrinnen kann, wechselt zwischen unerträglichen Folter- und Verhörszenen und mit von bösem Galgenhumor durchzogenen Sequenzen.

"Takva" von Özer Kızıltan behandelt ein aktuelleres Tabu, nämlich die realistische Darstellung eines islamischen Frömmlers – von dessen Lebens- und Gefühlswelt sich das moderne Istanbuler Bürgertum mit einem fast schon religiösen Eifer abwendet. "Takva" porträtiert ein unscheinbares Mitglied eines mächtigen Ordens, das zum Buchhalter ernannt wird und plötzlich in einen Gewissenskonflikt zwischen Geld und Glauben gerät

Deutlich ließ sich am diesjährigen Filmfestival in Antalya ablesen, inwieweit die Debatte über den EU-Beitritt der Türkei zu Fortschritten bei der Geschichtsaufarbeitung und der Meinungsfreiheit in den Künsten geführt hat.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2006

Qantara.de

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Zweigeteilt wie das Land
Noch in den siebziger Jahren stellten die türkischen Yesilcam-Studios 300 Filme pro Jahr her – mittlerweile hat sich deren Produktion bei jährlich 12 bis 20 Filmen eingependelt. Die Krise der türkischen Filmproduktion indes hat mehrere Gründe. Von Amin Farzanefar

Interview
Deutscher Blick? Türkiyem Film?
Nach der Berlinale ist das türkisch-deutsche Liebesdrama "Gegen die Wand" auch der große Sieger beim Deutschen Filmpreis 2004. Amin Farzanefar hat den Erfolgsregisseur Fatih Akin über die Resonanz des Films und die Perspektiven des türkischen Kinos befragt.

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Türkische Filmproduktionen in deutschen Kinos befinden sich auf dem Vormarsch. Verschiedenste Themen, vor allem für die Zielgruppe der so genannten Deutschtürken interessant, werden hier behandelt. Amin Farzanefar hat sich umgesehen.

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Website des Antalya-Filmfestivals (engl.)