Kunst kennt keine Grenzen

Unter dem Titel "Entfernte Nähe - Neue Positionen iranischer Künstler" werden im Haus der Kulturen der Welt in Berlin derzeit die Werke iranischer Künstler vorgestellt. Fahime Farsaie hat sich die Ausstellung angesehen.

​​Ihr Foto ist das erste Bild im Ausstellungsraum, das man wahrnimmt. Treu der Technik Andy Warhols in den 60er Jahren (etwa Blaue Liz als Kleopatra) ist ihr dunkel gefärbtes Porträt zahlreich vervielfältigt. Ihr Hals ist mit einem bräunlich getönten Nummernschild - Khorasan-96699 - bedeckt.

Gesellschaftliche Widersprüche in der Kunst

Der Bildtitel besteht nur aus einem Wort und hat sicherlich für die iranischen Feministinnen einen abwertenden Touch: Faheshe. Ins Deutsche wurde der Titel mit dem neutralen Ausdruck Prostituierte übersetzt. Das Nummerschild markiert sowohl ihren "Beruf" als auch ihr Schicksal: Es ist das Kennzeichen des Motorrads, mit dem ihr letzter Freier sie an einen abgelegenen Ort gefahren, vergewaltigt und ermordet hat.

Sie war nicht das erste und auch nicht das letzte Opfer des Serienmörders Said Hanaii, der in der heiligen Stadt Mashhad wie ein Held gefeiert wurde, als die Polizei ihn 2001 erwischt hatte. Bis dato hatte er sechzehn Prostituierte erwürgt. Er habe seine gesegnete Stadt, in der das Mausoleum des 8. Imams der Schiiten steht, von den "dreckigen Weibern" säubern wollen, sagte Said Hanaii zu seiner Verteidigung aus. Er wurde nach einem langen Prozess hingerichtet, nachdem das Gericht herausfand, dass er auch Sex mit seinen Opfern hatte.

Der 41-jährige in Teheran lebende Künstler Khosrow Hassan Zadeh verbindet in seinem Werk Faheshe ein geschichtsträchtiges Ereignis mit den Widersprüchen einer Gesellschaft, in der Moral die dunkle Farbe des Todes annimmt. Die Abwesenheit des Täters ersetzt Hassan Zadeh durch einen unverwechselbaren Gegenstand (das Kennzeichen), der die Identität des Unheilstifters verrät. So stellt er Mensch und Utensil gegenüber und manifestiert dadurch seinen humanistischen Blick.

Der Schlüssel zum Paradies

​​Ein Beispiel der Verknüpfung von künstlerischer und gesellschaftspolitischer Aussage findet man in der monumentalen Konstellation Schlüssel - Klid - des 47-jährigen Künstlers Shahram Entekhabi. Der Schlüssel bezieht sich auf die Zeit während des Iran-Irak-Krieges, in der man den Jugendlichen kleine Plastikschlüssel mit auf den Weg gab, mit denen sie nach ihrem Märtyrertod das Tor zum Paradies aufschließen sollten.

Das grelle Licht, die fröhlichen Farben der islamischen Flagge Irans und das übertriebene Ausmaß dieser Konstellation zeigen die gewaltige Verführungsmacht ihrer Botschaft.

Die Absurditäten des Lebens

​​ Die 30-jährige in Teheran lebende Fotografin Shadi Ghadirian greift hingegen in ihrem Werk "Domestic Life" ironisch das traditionelle Rollenverständnis auf, indem sie einige in bunte Tschadors gehüllte Frauen fotografiert, die ihre Gesichter mit Töpfen, Teekannen und Bügeleisen verstecken.

Humorvoll geht auch die in Paris lebende 38-jährige Künstlerin Ghazel mit der Absurdität des gewöhnlichen Lebens in ihren Kunstfilmen mit dem einfachen Titel "Me" um.

Nicht sie selbst, sondern die Welt der Teppiche und Gärten ist der Stoff der in Berlin lebenden 42-jährigen Installationskünstlerin Farkhondeh Shahroudi. Mit den handgewebten Teppichen bedeckt sie die Betonsäulen am Eingang des Veranstaltungsorts.

Weit gefasstes Verständnis iranischer Kunst

So bunt die handgewebten Blüten, Knospen oder Haine auf den Teppichen sind, so vielfältig sind auch Stil und die Ausdrucksformen der dargestellten iranischen Künstler, unter denen auch Werke weltberühmter Kunstschaffender wie Shirin Neshat, Abbas Kiarostami, Marjane Satrapi, Parasto Frouhar und Kaveh Golestan zu sehen sind.

Ein roter Faden zieht sich aber durch die meisten Arbeiten: Sie beschäftigen sich vor allem thematisch mit den sozialen, kulturellen und religiösen Codes der iranischen Gesellschaft.

Mit der für Deutschland einmaligen Zusammenstellung aktueller Werke iranischer Künstler, auch aus der Diaspora, zeigt die iranisch-libanesische Kuratorin Rose Issa ihr sehr weit gefasstes Verständnis von iranischer Kunst. Es unterstreicht besonders, dass in der Zeit der globalisierten Kulturen eigentlich keine Abgrenzung möglich ist.

Fahimeh Farsaie

© Qantara.de 2004

Entfernte Nähe – Neue Positionen iranischer Künstler im Haus der Kulturen der Welt- Berlin: Ausstellung, Filme, Konzerte, Theater, Literatur, Konferenzen 20.03.-09.05.2004

Das Programm im Haus der Kulturen der Welt