Teheran zeigt den Menschenrechten die rote Karte

Die Mitgliedschaft des als Hardliner bekannten Teheraner Staatsanwalts Saeed Mortazavi in der iranischen Delegation beim UN-Menschenrechtsrat ist ein internationaler Skandal, so die iranische Publizistin Nasrin Alavi.

Die Mitgliedschaft des als Hardliner bekannten Teheraner Staatsanwalts Saeed Mortazavi in der iranischen Beobachterdelegation beim neuen UN-Menschenrechtsrat ist ein internationaler Skandal, schreibt die iranische Publizistin Nasrin Alavi.

Fahnen vor dem neuen UN-Menschenrechtsrat in Genf; Foto: AP
Düstere Schatten über der Eröffnungssitzung des neuen UN-Gremiums: Menschenrechts-Organisationen kritisieren die Teilnahme Mortasavis

​​Am Montag, den 19. Juni 2006, fand in Genf die Eröffnungssitzung des neuen Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen statt. Die Gründung dieses Rates, der die in die Kritik geratene UN-Menschenrechtskommission ablöst, sollte ein einmaliger historischer Augenblick werden und eine neue gemeinschaftliche Initiative der beteiligten Staaten im Interesse der Menschenrechte weltweit einleiten.

Dann aber lag ein düsterer Schatten über dem Geschehen: Der Eröffnungssitzung des neuen Gremiums wohnten zwei Repräsentanten aus dem Iran bei, deren Ruf in Sachen Menschenrechte, selbst gemessen an den Standards ihres eigenen Landes, berüchtigt ist: Justizminister Jamal Karimirad und Generalstaatsanwalt Saeed Mortazavi.

Der "Schlächter der Presse"

Mortazavi saß als Richter der berüchtigten 1410. Kammer vor und ist wegen seiner brutalen Maßnahmen gegen Journalisten und Andersdenkende als "Schlächter der Presse" bekannt. Nicht nur geht die Zerschlagung von mehr als 100 öffentlichen Medien auf sein Konto, in den letzten Jahren hat er auch zahlreiche Schriftsteller, politische Aktivisten, Anwälte und Blogger schikaniert und hinter Gitter gebracht.

Die iranische Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi wirft Mortazavi sogar vor, er sei im Jahr 2003 bei der Folterung und Ermordung der kanadischen Photojournalistin Zahra Kazemi zugegen gewesen.

Mortazavis Erscheinen bei den Vereinten Nationen hat mit Recht zu einem Aufschrei verschiedener Menschenrechtsgruppen geführt. Abgeschreckt hat ihn das mitnichten. Sein erstes offizielles Treffen in Genf hat er auch bereits hinter sich: mit Patrick Chinamasa, dem berüchtigten Justizminister Zimbabwes.

Den Journalisten einer iranischen Nachrichtenagentur erzählte er in Genf als erstes, das neue Gremium der Vereinten Nationen müsse sich dringend mit den Menschenrechtsverletzungen befassen, die den USA in Bagram, Guantánamo und Abu Ghraib vorgeworfen werden. Die "friedliche Nutzung der Kernenergie", so fügte er hinzu, sei ein Grundrecht aller Nationen.

Mortazavi hat bei den Vereinten Nationen zudem seine Besorgnis über "Islamophobie" und die "Instrumentalisierung der Menschenrechte durch den Westen" zum Ausdruck gebracht. Die "heilige Idee" der Menschenrechte sollte mit mehr Rücksicht auf islamische Sensibilitäten reagieren, argumentierte er.

Doch eben dieses Regime, das sich auf islamische Traditionen beruft, zuckt nicht mit der Wimper, wenn es selbst mit Dissidenten zu tun bekommt. Schon heute sitzen viele prominente Mitglieder der schiitischen Shi’a-Gruppierungen im Gefängnis, darunter Mohsen Kadivar, Abdollah Nouri und Mojtaba Lotfi.

Absolutismus des Turbans

Einzigartig in der islamischen Geschichte Irans ist es auch, dass ein Großayatollah unter Hausarrest gestellt wird, wie mit Großayatollah Montazeri geschehen, der 2004 sagte, das iranische Volk habe nicht an einer Revolution teilgenommen, damit "der Absolutismus der Krone durch einen Absolutismus des Turbans ersetzt" würde.

Saeed Mortazavis autoritäre Methoden wurzeln nicht so sehr in irgendeiner bestimmten Kultur oder Religion, sondern in jener Verachtung für die Menschenrechte, die kulturell so verschiedene Staaten wie Zimbabwe und Iran gemeinsam haben.

Mortazavi machte es möglich, dass der Iran als das "größte Journalistengefängnis des Nahen Ostens" bezeichnet wurde.

Diese zweifelhafte Ehre lässt allerdings umgekehrt darauf schließen, dass sehr viele Iraner für ihre Rechte einzustehen bereit sind und in der Debatte über eine demokratische Zukunft ihres Landes weiter ihre Stimme erheben werden.

Einer davon ist der ehemalige Journalist Massoud Behnood, der das Land inzwischen verlassen hat, nachdem Mortazavi seine Inhaftierung veranlasst hatte. Er schreibt im Internet, dass die Entsendung Mortazavis in den Menschenrechtsrat wohl vor allem Teherans derzeitiges Selbstbewusstsein demonstrieren soll.

Widerstand der früheren Revolutionsanhänger

Es hat zwei Jahrzehnte lang gedauert, aber sogar Großayatollahs und andere "Schlachtrosse der Revolution" haben sich inzwischen gegen das System gekehrt, zu dessen Sieg sie einst beitrugen.

Akbar Ganji etwa wurde von Saeed Mortazavi 16 Jahre lang in Haft gehalten, nachdem Ganji die Mafia-Strukturen jenes Netzwerks aufgezeigt hatte, dessen sich die Mächtigen zur Ermordung von Schriftstellern und Intellektuellen bedienen.

Dennoch fordert er das Regime weiterhin heraus und lässt sich trotz der anhaltenden Einschüchterungsversuche nicht von der Verteidigung der Menschenrechte im Iran abbringen.

Iranische Schriftsteller, politische Aktivisten und Journalisten wie Ganji stehen in vorderster Front auf dem Schlachtfeld, auf dem über die Zukunft Irans entschieden wird.

Sie haben weder um Schützenhilfe in ihrem Kampf um Demokratie gebeten, noch um finanzielle Unterstützung für eine Revolution. Sie sind fest entschlossen, mit friedlichen Mitteln den Wandel ihrer Gesellschaft voranzubringen, von innen heraus.

Das Mindeste, was die Vereinten Nationen tun können – in ihrem eigenen Interesse, wenn schon nicht im Interesse des iranischen Volks – ist, dass sie einen berüchtigten Gegner der Menschenrechte und der Freiheit wie Saeed Mortazavi aus ihren Reihen verbannen.

Nasrin Alavi

© OpenDemocracy 2006

Übersetzung aus dem Englischen: Ilja Braun

Qantara.de

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