In Bethlehem kein Hoffnungsschimmer in Sicht

Trotz des Abzugs der israelischen Armee aus Bethlehem, stellt sich dort vor Weihnachten keine Freude ein: Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 60 Prozent, Armut und Fehlernährung bei Kindern nehmen zu. Aus Bethlehem informiert Bettina Marx.

Trotz des Abzugs der israelischen Armee aus Bethlehem, stellt sich in der palästinensischen Stadt vor Weihnachten keine Freude ein: Die Arbeitslosigkeit liegt bei nahezu 60 Prozent, Armut und Fehlernährung bei Kindern nehmen zu. Aus Bethlehem informiert Bettina Marx.

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Kaum Absatz: Weihnachtskarten in Bethlehem

​​Dr. Hiyam Marzouka ist Ärztin im Caritas-Babyhospital von Bethlehem. Gerne erinnert sie sich an früher, als Weihnachten in der Geburtsstadt Jesu noch etwas Besonderes war. Als noch Touristen kamen, um die Stelle zu besichtigen, an der die Krippe stand und um an der feierlichen Mitternachtsmette in der Geburtskirche teilzunehmen: "Weihnachten habe ich noch in Erinnerung als Kind. Da waren so viel Touristen, wir waren alle auf den Straßen, es gab Musik. Aber in den letzten Jahren war davon nichts zu spüren", beklagt sich die Ärztin.

Im letzten Jahr war es besonders schlimm, häufig herrschte in der Stadt Ausgangssperre. "Sie müssen sich vorstellen, Sie sperren mich das ganze Jahr ein, mein Haus wird bombardiert und dann soll ich mich freuen über Weihnachten?", so Marzouka, "da hat wirklich die Stadt Bethlehem demonstriert, weil das nicht fair war. Da schikaniert man die Leute das ganze Jahr und dann wollen sie, dass wir Weihnachten ganz normal feiern!"

Weihnachten findet nicht statt

Deshalb beschloss die Stadt im letzten Jahr, Weihnachten nicht zu feiern. Man verzichtete auf die sonst üblichen Dekorationen, die Feierlichkeiten wurden auf ein Minimum reduziert und auch die Touristen ließen sich nicht blicken. In diesem Jahr jedoch wollen die christlichen Einwohner Bethlehems, die längst nur noch eine Minderheit in der Stadt bilden, ihr höchstes Fest wieder möglichst feierlich begehen.

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Gedrückte Stimmung zur Adventszeit: Gebetskirche in Bethlehem

​​Doch diese Entschlossenheit, sich nicht entmutigen zu lassen, kann nicht über die bittere Realität hinwegtäuschen. Bethlehem im Advent 2003 - das ist eine traurige Geschichte. Die Lage ist in diesem Jahr noch schlimmer als im letzten, berichtet die Sozialarbeiterin Lina Rahil: "Die Situation wird schlimmer. Vor drei Jahren standen wir einer schrecklichen Situation gegenüber aber jetzt ist es noch viel schlimmer. Aber vielleicht ist es leider so, dass wir uns an die Einsperrung gewöhnen, dass wir Bethlehem nicht verlassen können – nicht mal um das nächste Dorf zu besuchen. Es ist, als wenn wir in einem Käfig sitzen."

Mangelernährung als Folge der Blockadepolitik

Lina Rahil hat gerade ihr drittes Kind geboren, einen kleinen hübschen Jungen. Bis zum Tag der Geburt hat sie gearbeitet, als Sozialarbeiterin im Caritas-Babyhospital. Sie betreut vor allem die Menschen, die in der Gegend von Hebron wohnen. Unter ihnen gibt es besonders viele arme Familien, berichtet sie. Oft haben sie nicht genug Geld, um ihre Kinder angemessen zu ernähren, so Rahil:"Wir haben viele Familien aus der Gegend von Hebron und aus der Gegend von Bethlehem, die ihre Kinder ins Caritas-Baby-Krankenhaus bringen. Es sind darunter viele Kinder, die unter Mangelernährung leiden. Die meisten Familienväter sind Arbeiter und sie bekommen nicht genug Geld, um die täglichen Ausgaben zu bestreiten."

Viele Kinder leiden an Fehlernährung, das heißt, dass sie nicht richtig wachsen, erklärt Rahil: "Sie nehmen nicht zu und entwickeln alle möglichen Probleme. Und wenn es soweit ist, dann verschrieben die Ärzte Spezialmilch, die sehr schwer zu bekommen und die sehr teuer ist. Eine kleine Dose dieser Milch, die für einige Tage reicht, kostet 125 Shekel und das ist einfach zu viel. Und darum kommen viele solche Familien zu den Wohltätigkeitsorganisationen und bitten um Hilfe", berichtet die Sozialarbeiterin.

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Palästinenser und Mönch in der Gebetskirche in Bethlehem

​​Nach einem Bericht der UNO hat die Blockadepolitik Israels zu gravierenden Engpässen bei der Versorgung der palästinensischen Bevölkerung geführt. Jedes elfte Kind leide wegen Mangelernährung bereits unter irreparablen Hirnschädigungen, so der UNO-Bericht. Auch die Familie Sanssour leidet in diesen Adventstagen unter der immer drückender werdenden Armut. Youssef und seine Frau Samira haben zwei Kinder. Viktor ist dreieinhalb Jahre und Georges drei Monate. Die 21-jährige Samira hätte gerne noch mehr Kinder. Aber wegen der dramatischen Lage kann sich das Ehepaar keinen weiteren Zuwachs leisten. Youssef sagt, dass er keine Kinder mehr haben will, da er sich das zur Zeit nicht leisten könne.

Das Ehepaar wohnt mit ihren beiden Kindern und Youssefs Mutter in einem winzigen Häuschen, das aus zwei kleinen Zimmern und einer Küche besteht. Es gehört der lutheranischen Gemeinde von Bethlehem. Anstelle der Mietzahlungen beaufsichtigen und pflegen sie den Friedhof der Kirchengemeinde. Doch das allein reicht zum Leben nicht aus, meint Youssef: "Früher hatte das Rote Kreuz ein Programm, das aber vor kurzem gestoppt wurde. Dadurch konnten wir leben. Jetzt ist es sehr schwierig. Ich bin zur Zeit arbeitslos und habe kaum die Möglichkeit, den Strom und das Wasser usw. zu bezahlen und Nahrungsmittel zu kaufen."

Bethlehems Niedergang mit Beginn der 2. Intifada

Früher, vor der Intifada, konnte Youssef jeden Tag Arbeit finden. In den wenigen glücklichen Jahren nach dem Friedensschluss von Oslo erlebte Bethlehem einen nie gekannten Aufschwung. Bis zum Milleniumsjahreswechsel boomte die Bauindustrie. Hotels und Restaurants wurden gebaut, die Geschäfte und Andenkenläden verdienten an den ausländischen Touristen und den israelischen Besuchern, die in die Stadt kamen. Doch seit Ausbruch der Intifada hat sich die Lage stetig verschlechtert. Die wochenlange Belagerung der Geburtskirche durch israelische Truppen im letzten Jahr führte zum totalen Zusammenbruch des Tourismus.

Youssef und Samira bringt Weihnachten auch in diesem Jahr keine Hoffnung. Den Weihnachtsabend will Youssef mit Gebeten verbringen. Feiern wird er nicht. "Wenn man diesen Tag richtig feiern will, dann braucht man dazu das nötige und das haben wir nicht." Und dann fügt er gedrückt hinzu: "Wenn es geht, will ich wenigstens den Kindern neue Kleider kaufen."

Bettina Marx, © DEUTSCHE WELLE / DW-WORLD.DE 2003