Die Barbaren von Batak

Ein Forschungsprojekt der FU Berlin zur Geschichte antiislamischer Stereotype in Bulgarien sorgt für heftige Proteste bulgarischer Nationalisten. Im Mittelpunkt des Streits steht ein Gemälde aus dem späten 19. Jahrhundert. Von Sonja Zekri

Ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin zur Geschichte und Gegenwart antiislamischer Stereotype in Bulgarien sorgt für heftige Proteste bulgarischer Nationalisten. Im Mittelpunkt des Streits steht ein patriotisches Gemälde aus dem späten 19. Jahrhundert. Von Sonja Zekri

Gemälde von Antoni Piotrowski
Das Gemälde des polnischen Malers Antoni Piotrowski beruht auf einem historischen Ereignis - dem Mord muslimischer Bulgaren an ihren christlichen Nachbarn in Batak

​​Immer mittwochs um sechs Uhr abends wird es wieder so weit sein, dann wird man sich fragen, ob ein Land, das Kopfgelder auf Wissenschaftler aussetzt, nicht näher am Mittelalter ist als an der Europäischen Union.

Jeden Mittwoch und jeden Donnerstag nämlich ruft der bulgarische Sender Skat TV seine Zuschauer auf, ein Foto und die Adresse der Kunsthistorikerin Marina Baleva einzusenden - für eine Belohnung von 2500 Lewa, also 1250 Euro.

Skat TV gehört der rechtsradikalen Partei Ataka, die im Internet das Video einer Wahlveranstaltung zeigt, die man als Steigerung - oder Ergänzung - dieses Aufrufs begreifen muss: Baleva, heißt es da, gehöre "auf's Schafott", ihr Kollege Ulf Brunnbauer, der "deutsche Jude", "auf den Pfahl".

Vom Lokalkonflikt zum Schicksalskampf

Das geht seit Monaten so, und wenn Martina Baleva erzählt, wie es dazu kam, kommt sie ins Stocken: "Ich kann es bis heute nicht begreifen. Es ist doch alles ein Missverständnis." Ein bewusst herbeigeführtes Missverständnis, wie es scheint.

Martina Baleva und Ulf Brunnbauer, Wissenschaftler am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, haben im Frühjahr eine Ausstellung und eine Tagung über ein Bild des polnischen Malers Antoni Piotrowski aus dem Jahr 1892 geplant: "Das Massaker von Batak".

Das Gemälde beruht auf einem historischen Ereignis - dem Mord muslimischer Bulgaren an ihren christlichen Nachbarn in der Stadt Batak im Jahr 1876 -, doch Piotrowski inszenierte diese Tat im Sinne des erwachenden bulgarischen Nationalbewusstseins: Aus dem Lokalkonflikt wurde der Schicksalskampf des bulgarischen Volkes gegen die osmanische Tyrannei.

Männer mit Turbanen blicken gleichgültig auf die weiß leuchtenden Leiber geschändeter Frauen - im Kontext der Zeit eine eindeutige Bildsprache.

Zuvor hatte Piotrowski in Batak fotografische Studien für sein Gemälde angefertigt, auch dies Jahre nach dem Verbrechen und unter dem Einfluss eines ganzen Genres anti-osmanischer Literatur und Gemälde. Spätere Postkarten aus der Kirche von Batak zeigten Schädelberge und Knochenarrangements, nachträgliche Inszenierungen im Dienste der Nation.

Eine Welle der Empörung

Was ist Ereignis, was Mythos? Warum wurde ausgerechnet Batak zum Wallfahrtsort? Darüber hatten Baleva und Brunnbauer diskutieren wollen, doch dazu kam es nicht.

Im Mai, vor der Ausstellung in Bulgarien, schlug eine Welle des Hasses über den beiden zusammen. Staatspräsident Georgi Parvanov nannte das Projekt eine "schlimme Provokation", weil es das Massaker leugne - ein Vorwurf wie ein Brandsatz.

"Wir haben niemals die Existenz des Massakers infrage gestellt, aber natürlich hätten wir die nationalistische Deutung des Ereignisses diskutiert", sagt Brunnbauer. Doch an solchen Nuancen war niemand interessiert:

"Es war Europa-Wahlkampf, die sozialistische Partei versuchte, den Rechten Stimmen abzujagen. Nationalistische Historiker argumentierten, Europa habe von Bulgarien bereits viel gefordert, nun wolle es auch noch seine Geschichte."

Der Direktor des Nationalmuseums, Boschidar Dimitrow, habe sich sogar zu der Theorie verstiegen, die Ausstellung sei von der Türkei bezahlt, um die osmanische Periode in einem besseren Licht erscheinen zu lassen und den Beitritt der Türkei vorzubereiten.

Ein Lehrstück im politischen Missbrauch der Historie

Brunnbauer bekam in seinem Institut vorübergehend Polizeischutz, seine Kollegin traf es noch schlimmer. Im Haus ihrer Eltern in Bulgarien sprühten Fanatiker Graffiti mit Mordaufrufen an die Wand - Stockwerk für Stockwerk. Und es gab die Mittwochabende auf Skat TV.

Inzwischen ist es ruhiger geworden. Die Boulevardpresse lasse das Thema inzwischen ruhen, es gebe Beiträge in seriösen Zeitungen und vor allem im Internet, die den Konflikt ernsthaft diskutieren, sagt Baleva.

Hunderte bulgarische Wissenschaftler haben eine Solidaritätserklärung unterzeichnet. Im Viertel der Eltern Balevas hängen zwar noch Schmäh-Plakate, aber Nachbarn haben die Hetz-Graffiti entfernt.

Bald jedoch könnte der Hass neu aufflackern. Gerade ist der Katalog zu der nie gezeigten Ausstellung in Bulgarien erschienen. "Wenn es wieder losgeht, müssen hoffentlich nicht wieder meine Eltern geradestehen", sagt Baleva.

Dennoch ist sie entschlossen, dem Ärger etwas Gutes abzugewinnen: "Acht Millionen Bulgaren wissen heute, dass es zwei verschiedene Begriffe von Mythos gibt: als Märchen und als Konstruktion historischer Wirklichkeit."

Und selbst wenn nicht alle acht Millionen in die Feinheiten postmoderner Geschichtstheorie einsteigen, die breite Öffentlichkeit hat ein Lehrstück erlebt im politischen Missbrauch der Historie, und allein dafür, so Baleva, "bin ich meinen Häschern und Diffamierern dankbar".

Sonja Zekri

© Süddeutsche Zeitung 2007

Qantara.de

Muslime in Bulgarien
Neue Freiheiten und neue Konflikte
In Bulgarien leben rund eine Million Muslime. Mit der politischen Wende von 1989 bekamen sie, wie alle religiösen Gruppen, mehr Freiheiten. Doch das Zusammenleben mit Nichtmuslimen ist nicht frei von politischen und sozialen Spannungen. Von Mirko Schwanitz