Halbherzig am Hindukusch

Zwar stellt die Bundeswehr künftig die Schnelle Eingreiftruppe im Norden Afghanistans. Doch die Nato-Staaten dringen darauf, dass deutsche Soldaten auch im unruhigeren Süden des Landes zum Einsatz kommen. Ein notwendiger Schritt, meint Peter Münch in seinem Kommentar.

Zwar stellt die Bundeswehr künftig die Schnelle Eingreiftruppe im Norden Afghanistans. Doch die Nato-Staaten dringen darauf, dass deutsche Soldaten auch im unruhigeren Süden des Landes zum Einsatz kommen. Ein zwingend notwendiger Schritt, meint Peter Münch in seinem Kommentar.

Ein Bundeswehrsoldat der Internationalen Schutztruppe ISAF in Kabul, Foto: dpa
Ja zur Friedenssicherung - nein zu Kampfeinsätzen? Welche Aufgaben kommen in Zukunft auf die Bundeswehr in Afghanistan zu?

​​Es ist ein weiter Weg vom Bonner Petersberg zum Hindukusch. So lang und steil und mühselig, dass manch einem die Luft ausgehen kann, und die Versuchung groß ist, Ballast abzuwerfen oder einfach umzukehren.

Damals bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg, Ende 2001 nach dem ersten Einsatz im Krieg gegen den Terror, war ja auch ein sehr gewichtiges Paket geschnürt worden: Frieden, Wiederaufbau und Demokratie sollten nach Afghanistan gebracht werden.

Weniger als erwartet ist davon bislang angekommen, vieles ist auf der Strecke geblieben – an Hoffnung, an Überzeugung und an gemeinsamem Willen. Von Wollen jedenfalls kann kaum noch die Rede sein, wenn es um Afghanistan geht. Besonders deutlich wird das in Deutschland, wo nur noch gefragt wird: Sollen wir? Müssen wir? Und – wenn gar nichts mehr hilft – können wir das überhaupt?

Ritualisiert werden diese Fragen immer dann gestellt, wenn es um die alljährliche Mandatsverlängerung des Bundeswehr-Einsatzes geht. Das Parlament hat bislang stets mit großer Mehrheit für eine Verlängerung gestimmt, doch in jedem Jahr ist die Kluft zwischen dem Votum der Volksvertreter und den Zweifeln im Volk größer geworden.

Nein zu sagen ist leicht

Die Fragen also lassen sich nicht einfach abschütteln durch ein großkoalitionär ermauscheltes "Weiter-so-Mandat". Vielmehr gerät die Regierung genau damit in eine Falle, wenn es plötzlich nicht mehr ums bloße "Weiter so" geht, sondern um etwas Neues – zum Beispiel um die Entsendung von Kampftruppen in den Norden Afghanistans. Die Nato-Partner dringen nun vehement darauf – aber sollen, müssen, können wir das?

Wer diese Fragen mit Nein beantwortet, der hat es leicht, ein paar griffige Argumente zu finden. Da lässt sich Vietnam beschwören, ein Einsatz auf unbekanntem Terrain, man weiß ja, wohin das führt.

Bundeskanzlerin Merkel mit Schutzweste im ISAF-Hauptquartier in Kabul; Foto: dpa
Erst vor kurzem lehnte Kanzlerin Merkel erneut die NATO-Forderungen nach deutschen Kampfverbänden in Südafghanistan ab.

​​Die Bundeswehr, so folgt daraus, dürfe sich in Afghanistan, in dieser lehmbraunen Hölle, nicht in einen Krieg verstricken, wo sie doch eigentlich nur ein bisschen Frieden sichern wollte. Und ein Rückzugsreflex lässt sich relativ leicht stimulieren, wenn man zum Beispiel darauf hinweist, dass Deutschland nicht am Hindukusch, sondern in der Münchner U-Bahn verteidigt werden müsse.

Nicht jede Afghanistan-Absage ist so geschickt formuliert und so schlicht konstruiert. Doch in der Tat ist das Argumentieren für den Afghanistan-Einsatz weit komplizierter als gegen ihn – so kompliziert, dass sich die Bundesregierung fahrlässigerweise darauf viel zu wenig eingelassen hat.

Klare Ziele definieren

Sie drückt sich vor Klarheit, wenn es darum geht, sich der deutschen und der internationalen Interessen in Afghanistan zu vergewissern, die Ziele zu definieren – und vor allem auch die Mittel zu benennen, die sie zum Erreichen dieser Ziele bräuchte und einsetzen will.

Die deutsche Haltung, mit der Aufbauarbeit im Norden einen ausreichenden Beitrag zur Befriedung und Stabilisierung des Landes zu leisten, wird dabei schnell als Überlebenslüge entlarvt.

Die Ziele der internationalen Gemeinschaft sind heute noch dieselben wie 2001, als sie unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September formuliert wurden: Erstens darf dem islamistischen Terror keine regionale Operations- und Rückzugsbasis überlassen werden, und zweitens sind Demokratie und Wiederaufbau die besten Bollwerke gegen den Fundamentalismus.

Afghanistan ist noch nicht verloren

Trotz aller Widrigkeiten lohnt es sich auch heute noch, für diese Ziele zu kämpfen. Und trotz aller Rückschläge ist auch Afghanistan gewiss noch nicht verloren. Wer jedoch den Taliban und der al-Qaida dort das Feld überlässt, wird sie damit zu Anschlägen weltweit ermuntern. Es ist und bleibt also im Interesse des Westens, Soldaten nach Afghanistan zu schicken.

Britische Offensive gegen die Taliban in Südafghanistan, Foto: AP
Da sich die Taliban nicht so leicht geschlagen geben, soll auch Deutschland die Risiken des Anti-Terror-Kampfes mittragen, meint Peter Münch.

​​Anfangs hatte die Weltgemeinschaft geglaubt, die Mittel dafür eher klein halten zu können. Die Sicherheitstruppe ISAF zählte zu Beginn gerade einmal 5000 Soldaten, und die Deutschen, die sich auf dem Petersberg als Paten des Friedensprozesses inszeniert hatten, waren stolz darauf, mehr als die Hälfte dieser Truppe zu stellen.

Als die Taliban sich aber nicht so leicht geschlagen gaben wie erhofft, musste die ISAF aufrüsten. Heute ist sie auf mehr als 40000 Soldaten angewachsen, fast alle Partner haben enorm aufgestockt – aber die Deutschen nicht. Amerikaner, Briten, Kanadier oder Holländer müssen im gefährlichen Süden und Osten kämpfen – aber die Deutschen nicht.

Rückbesinnung auf Petersberg

Gewiss, sie tun im Norden Gutes und reden darüber. Aber solidarisch ist es keinesfalls, dass sich die Bundeswehr mit ihren gut 3000 Mann in einem vergleichsweise sicheren Gebiet festgesetzt hat. Und klug ist es auch nicht, weil die Deutschen vielleicht für sich alleine Aufbauarbeit leisten können, aber verlieren würden diesen Krieg dann doch alle zusammen.

An einer Entsendung von Kampftruppen in den Norden führt also kein Weg vorbei – und mittelfristig dürfte sich die Bundesregierung auch einem Einsatz im Süden nicht mehr verweigern, wenn es ihr ernst ist mit den 2001 formulierten Zielen für den Afghanistan-Einsatz.

Damals auf dem Petersberg hat Deutschland demonstriert, dass es am Hindukusch Verantwortung übernehmen will. Auf die vielen bangen Fragen nach dem Sollen, Müssen und Können gab es damals noch mutige Antworten.

Peter Münch

© Süddeutsche Zeitung 2008

Qantara.de

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