Ursula Nienhaus, 21. April 2005

zu: Instrumentalisierter Symbolcharakter, von Sabine Schiffer

Ich stimme in der Bewertung der Stereotypisierung und Symbolüberfrachtung weitgehend zu. Auch bin ich aber der Meinung, dass Frauen fast überall auf der Welt noch derzeit gute Gründe haben, ALLE religiösen Symbole sog. "patriarchalischer" Religionen für sich abzulehnen, auf jeden Fall aber Kopftücher und andere Verschleierungen.

Jedoch geht es NICHT ausschließlich um Religion dabei. Denn solange Männer oder sich als Männer verstehende Menschen nicht freiwillig ihre Haare oder weitere Teile ihres Körpers bedecken, um nicht sexuell verführerisch zu wirken und aufreizend oder so gesehen zu werden, bleibt auch das Kopftuch eine Markierung "weiblicher" Andersartigkeit und Unterdrückung, besser: der Unterdrückung von Frauen, ihrer Sexualität, auch wenn sie selber es auch welchen Gründen auch immer nicht so sehen wollen, ein Symbol ungleicher Maßstäbe eben. Darauf massiv zu bestehen, heißt nicht, "Freiheit und Emanzipation mit Kleidungsfreiheit" gleichzusetzen.

Als ich in der katholischen Klosterschule Schülerin wurde, war es Pflicht, Blusen oder Kleider mit Ärmel zu tragen und im Sport Pumphosen, aus ganz ähnlichen Gründen im Übrigen: Nacktheit bestimmter Körperteile galt als sexuell problematisch für Mädchen. Und natürlich haben wir es doch mehr oder weniger freiwillig oder sogar stolz getan - bis zur späteren Rebellion; denn wir grenzten uns auch gerne ab, von anderen Mädchen - vor allem denen aus den Großstädten, den Orten des verruchten Lebens.

Daher und aus vielen anderen Gründen bin ich allerdings der Meinung, dass das sog. christliche Abendland und heute vor allem in dem unglaublichen Trubel um den reaktionären deutschen Papst viel Grund hat, sich mit eigenen Haltungen, Stereotypen usw. selbstkritisch zu beschäftigen und zu fragen, warum sogar die Bildzeitung vor noch zehn Jahren mit dem unsäglichen Titel "Wir sind Papst" kaum einen Hund hinterm Ofen hervorgelockt hätte, was sich also warum seitdem verändert hat.

Aber das kann nicht heißen, "das Kopftuch" oder andere merkwürdige Symbole nun unkritisch oder womöglich stillschweigend hinzunehmen und sich über eine wachsende Zahl selbstbewusster Kopftuchträgerinnen zu freuen; oder das Thema ungleiche Maßstäbe im Hinblick auf Sexualität aus allen religiösen Vorschriftsbezügen zu lösen, mit denen sie ja aber doch zusammenhängen: im Christentum wie im Islam, wie auch sonst wo immer.

Es geht auch bei alledem NICHT um religiöse Toleranz als einen obersten Wert; es geht um gleiche Menschenrechte für alle Menschen: das ist eine wesentlich andere Orientierung. Wenn einige Menschen sich verschleiern müssen oder meinen, das tun zu sollen, andere aber nicht, um "Geschlecht" zu markieren, so ist große Skepsis angebracht, zumindest das. "Der" Feminismus ist schließlich zum Glück auch erheblich vielfältiger, als dass dadurch "Berufstätigkeit als Emanzipationsindikator" akzeptiert würde. Und er hat immerhin zu gender-Debatten geführt.

Es ist wichtig, Unterschiede anzunehmen und bereichernd; richtig! Aber alles über den gleichen groben Kamm "Schönheit der Vielfalt" zu scheren, ist zu bequem und der Sache gar nicht dienlich. Symbole und Kleidungsstücke am Körper sprechen - nicht immer eindeutig; aber sie sprechen. Und da kommt es schon darauf an, genau hinzuhören, was damit gesagt wird.

Viele Argumente in Ihrem Artikel, Frau Schiffer, sind etwas simpel für die komplexe Situation: zu kurz gedacht.

Ursula Nienhaus, Berlin und Historikerin, Universität Hannover