Die Quadratur des Kreises

Bisher sind es nach US-Darstellung - wenn überhaupt - Vorgespräche. Eine allgemeine Unterhaltung darüber, wie eine Annäherung Israels und Saudi-Arabiens aussehen könnte, läuft aber. Der Weg zur Lösung des Nahost-Puzzles wäre lang und voller politischer Fallstricke. Von Johannes Sadek, Sara Lemel und Magdalena Tröndle, dpa

Die Rede ist von nicht weniger als dem heiligen Gral der US-Politik im Nahen Osten, vom großen Umbruch im arabisch-israelischen Konflikt: Saudi-Arabien, Wiege des Islams und wichtige Schutzmacht der Palästinenser, spricht mit den USA laut Medienberichten über eine Annäherung mit Israel. Was lange undenkbar

schien, ist plötzlich konkretes Thema unter Beratern im Weißen Haus.

Es ist ein komplexes diplomatisches Puzzle, an das Vertreter der

US-Regierung sich nach Informationen von «Wall Street Journal» (WSJ)

und «New York Times» (NYT) gesetzt haben. Der Weg zur Lösung wäre

lang und voller Hürden, viele Folgen noch gar nicht absehbar. Am Ende

könnte laut WSJ in rund einem Jahr aber eine Einigung stehen, die

strategische Interessen Saudi-Arabiens, Israels und der USA bedient -

und die vor allem gegen den Iran und China gerichtet wäre.

Es gebe noch «kein Verhandlungspaket» und «keinen vereinbarten

Rahmen» mit Blick auf eine mögliche Normalisierung, sagte John Kirby,

Sprecher des nationalen Sicherheitsrats der USA, am Mittwoch. Sollte

wohl heißen: Es laufen, wenn überhaupt, lediglich Vorgespräche.

Ranghohe US-Vertreter hätten bei Besuchen in Riad aber ausgelotet,

«was im Rahmen des Möglichen» sei.

Saudi-Arabien: Neue strategische Interessen

Das Prestige des Königreichs in der arabischen und muslimischen Welt

beruht auf seiner Rolle als Hüter der beiden heiligsten Stätten des

Islams, Mekka und Medina. Die drittheiligste ist der Tempelberg

(Al-Haram al-Scharif) in Jerusalem. Der Kampf für dessen Status und

eine gerechte Lösung der Palästinenserfrage ist eigentlich zentraler

Teil im Selbstverständnis Saudi-Arabiens als eine beherrschende Kraft

in der arabisch-muslimischen Welt. Saudi-Arabien hatte Israel schon

2002 den Frieden angeboten, unter anderem mit der Forderung, dass

Israel sich aus allen 1967 besetzten Gebieten zurückzieht.

Aber dieser Konflikt rückt in den Hintergrund. Mohammed bin Salman,

faktischer Herrscher Saudi-Arabiens, zeigt heute deutlich weniger

Interesse am Status der Palästinenser als sein Vater, der inzwischen

recht greise König Salman (87). Für den Kronprinzen seien sie

«lästiges Hindernis für sein Verhältnis zu Israel», das er «so rasch

wie möglich beseitigen» wolle, schrieb Experte Guido Steinberg von

der Stiftung Wissenschaft und Politik vor einigen Jahren.

Eine viel größere Trophäe wären für den Prinzen Sicherheitsgarantien

der USA, die jetzt im Gespräch sein sollen, vergleichbar mit Zusagen

an die Nato-Partner oder an Südkorea 1953. Zudem, so die Berichte,

könnte Riad für eine Anerkennung Israels Zugang zu fortgeschrittenen

US-Waffensystemen erhalten sowie Unterstützung beim Aufbau eines

zivilen Atomprogramms. Die alten ideologischen Linien Riads scheinen

neuen strategischen Interessen zu weichen.

So könnte Saudi-Arabien den Iran und dessen Verbündete in Syrien und

im Libanon im Ernstfall mit einem neuen Partner Israel bekämpfen,

dessen Luftwaffe zu den besten der Welt zählt. Trotz der im März

angekündigten Normalisierung der Beziehungen mit Teheran betrachtet

Riad - ähnlich wie Israel - den Einfluss des Irans weiter als Gefahr.

Israel: Außenpolitische Hoffnung, innenpolitische Krise

Für Israel und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wäre die

Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien vor allem ein großer

außenpolitischer Erfolg. Seit seiner Rückkehr ins Amt im Dezember

hatte er sie als eines seiner Hauptziele beschrieben. Ein Abkommen

würde «den Lauf der Geschichte» ändern, erklärte der 73-Jährige.

Etwa 30 von weltweit knapp 200 Staaten haben keine diplomatischen

Beziehungen zu Israel, die meisten davon sind mehrheitlich

muslimisch. Nicht alle würden dem Schritt folgen, etwa Algerien,

Pakistan oder der Irak, in dem Kontakt mit Israel inzwischen unter

Strafe steht. Eine teilweise Entspannung im Verhältnis Israels mit

der muslimischen Welt wäre trotzdem denkbar.

Eine Einigung könnte Netanjahu womöglich auch dabei helfen, von der

schweren internen Krise in Israel abzulenken, die seine Regierung mit

ihrer umstrittenen Justizreform ausgelöst hat. Weil er derzeit die am

weitesten rechts stehende Regierung in der Geschichte seines Landes

anführt, ist aber völlig unklar, wie mögliche Zugeständnisse an die

Palästinenser aussehen und ob Netanjahu diese innerhalb seiner

rechts-religiösen Regierung wirklich durchsetzen könnte.

Darüber hinaus pochen Israels Sicherheitsvertreter nach Berichten

darauf, dass der «Qualitätsvorsprung» der israelischen Armee auch im

Rahmen eines US-Sicherheitspakts mit Saudi-Arabien garantiert bleiben

müsse. Der Aufbau eines dortigen zivilen Atomprogramms berge zudem

«eine echte Gefahr», schreiben Analysten des Instituts für Nationale

Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv. «Denn andere Länder im Nahen

Osten könnten ähnliche Forderungen stellen und dies würde das Risiko

der Verbreitung von Atomwaffen in der Region erhöhen.»

USA: Saudi-Arabien als Schauplatz für den Wettkampf mit China

Die USA bemühen sich um eine bessere Positionierung in der Region,

deren Ölgeschäfte und Seewege eine entscheidende Rolle spielen für

die Weltwirtschaft. Denn China, der größte Abnehmer saudischer

Ölexporte, drängt ebenfalls nach Saudi-Arabien und half dem Land laut

US-Berichten schon bei Schritten zum Aufbau eines zivilen

Atomprogramms. Der Besuch dort von US-Präsident Joe Biden vergangenen

Sommer lief nüchterner ab als der warme Empfang für Chinas Staatschef

Xi Jinping wenige Monate später.

Der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi, für den US-Geheimdienste

den Kronprinzen verantwortlich machen, belastete die Beziehungen mit

den USA schwer. Auch über die Drosselung der Ölförderung, die die von

Saudi-Arabien angeführten Opec-Länder bestimmt haben, zeigte sich

Washington verärgert. Aber das Königreich ist Schlüssel beim Versuch,

China aus der Region zurückzudrängen und ein Ende des Kriegs im Jemen

herbeizuführen. Für die Palästinenser wollen die USA von Riad ein

«beispielloses Paket» an Finanzhilfen, berichtet die NYT - für den

schwerreichen Golfstaat wäre das durchaus denkbar.

Biden scheint an einem Friedensdeal viel gelegen. Er könnte das Camp

David-Abkommen über einen ägyptisch-israelischen Frieden von 1979

noch übertreffen. Die Regierung von Bidens Vorgänger Donald Trump

hatte 2020 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Israels mit den

Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Bahrain vermittelt, Marokko und

der Sudan folgten. Im anlaufenden US-Wahlkampf gegen Trump könnte

Biden den Deal als eigenen großen Wurf im Nahen Osten präsentieren.

Auch in Washington ist der Weg dorthin steinig. Bidens Verhältnis zu

Netanjahu ist angeschlagen, eine Einladung in die USA ließ monatelang

auf sich warten. Dazu kommt der US-Senat, in dem harte Kritiker Riads

sitzen, der Sicherheitsgarantien zustimmen müsste.

 

Besorgte Blicke nach Teheran

 

Selbst wenn das Puzzle sich lösen lässt: Die Umwälzung zum großen

Frieden wäre es für den krisengeplagten Nahen Osten nicht, schreiben

die Experten Steven Simon und Aaron David Miller. Denn das

Kräfteverhältnis würde sich insgesamt nicht wesentlich ändern: Im

Fokus stünden eigene Interessen, die auch die Emirate, Bahrain,

Marokko und den Sudan bei ihrer Annäherung an Israel leiteten.

Die Blicke würden sich vor allem auf den Iran richten. Israel gilt

seit der Islamischen Revolution von 1979 als Irans Erzfeind, und auch

Netanjahu sieht im Iran den «wichtigsten Feind». Saudi-Arabien stünde

mit Beziehungen zu beiden Seiten in der Mitte - und hätte sich einmal

mehr als ernstzunehmender internationaler Akteur positioniert. (dpa)