Neue Welle von Rohingya-Bootsflüchtlingen nach Indonesien

Flüchtende Rohingya bei der Ankunft in Indonesien, Provinz Aceh
Flüchtende Rohingya bei der Ankunft in Indonesien, Provinz Aceh (Foto: Chaideer Mahyuddin/AFP)

Seit ihrer gewaltsamen Vertreibung durch das Militär von Myanmar im Sommer 2017 leben 750.000 muslimische Rohingya unter schwierigsten Bedingungen in Lagern in Bangladesch. Derzeit fliehen wieder viele von ihnen mit Booten aus den Lagern in Richtung Indonesien. Auf der verzweifelten Suche nach einem besseren Leben.

Bangkok/Jakarta. Kälte, Regen und Schnee treiben viele Deutsche im Winter an die sonnigen Gestade von Südostasien. Dort ist der regenreiche Monsun der trockenen Jahreszeit mit viel Sonne, warmen Temperaturen sowie einer üppig grünenden und blühenden tropischen Natur gewichen. Was die meisten Urlauber an den Stränden von Krabi und Phuket an der Andamanensee nicht ahnen: Weit draußen auf dem Meer spielen sich menschliche Dramen von ungeheurem Ausmaß ab.

Zu Hunderten fliehen derzeit Rohingya aus den Flüchtlingslagern in Cox's Bazar in Bangladesch mit kaum seetüchtigen Booten über die Bucht von Bengalen und die Andamanensee Richtung Aceh in Indonesien. Zuletzt erreichte nach Angaben der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR Anfang Dezember ein Flüchtlingsboot mit 150 Rohingya an Bord die Küste der indonesische Provinz an der äußersten Nordwestspitze der Insel Sumatra. Jene Region übrigens, die vom Tsunami Ende Dezember 2004 am schlimmsten betroffen war.

Gleichzeitig trieben laut UNHCR zwei weitere Boote mit insgesamt 400 Männern, Frauen und Kindern an Bord mit Maschinenschaden weit draußen auf der Andamanensee. Seit November dieses Jahres haben mehr als 400 Bootsflüchtlinge Aceh erreicht. Dort sind die muslimischen Rohingya aber nicht willkommen, obwohl Aceh die islamischste Provinz des mehrheitlich islamischen Indonesien ist. Berichten zu Folge haben Acehnesen in einigen Fällen Flüchtlingsboote zunächst am Anlegen gehindert und aufs Meer zurückgeschickt.

Auch in den vergangenen Jahren gab es mehrere Wellen von Rohingya-Flüchtlingen, die auf teils seeuntüchtigen Booten Elend und Verfolgung zu entkommen versuchten. Hunderte sind ertrunken. 2022 überlebten laut UNHCR 348 Rohingya die Flucht übers Meer nicht. In diesem Jahr seien bis Anfang Dezember schon mindestens 225 ertrunken.

In diesem Jahr verzeichnen UNHCR und Menschenrechtler einige Veränderungen. Hatten im vergangenen Jahr nur 22 Prozent der Flüchtlingsboote Indonesien angesteuert, sind es in diesem Jahr 60 Prozent. Indonesien (276 Millionen Einwohner) ist in Südostasien das einzige Land, das die Flüchtlinge noch aufnimmt. Das ebenfalls mehrheitlich islamische Malaysia (34 Millionen) schottet sich zunehmend gegen die Rohingya ab, obwohl oder vielleicht auch weil schon über 100.000 im Land sind, die bereits vor vielen Jahren vor ihrer Verfolgung in der Provinz Rakhine aus Myanmar geflohen waren.

Thailand ging in den vergangenen Jahren zur Abschreckung noch rigider gegen geflohene Rohingya vor. Wer es an Land schaffte, kam ins Gefängnis. 2015 schleppte die thailändische Marine gar Boote voller Flüchtlinge aufs offene Meer zurück und überließ sie ihrem ungewissen Schicksal.

Sowohl Thailand als auch Malaysia sorgten 2015 für Schlagzeilen, als im Grenzgebiet der beiden Länder im Dschungel viele Gräber gefunden wurden. Bei den verscharrten Toten handelte es sich um Migranten - darunter Rohingya - die von Menschenhändlern als Geiseln gehalten wurden, um von den Familien Lösegeld zu erpressen. Beteiligt an dem unmenschlichen Geschäft waren 60 thailändische Polizisten und Militärs, darunter ein General, die 2017 in einem aufsehenerregenden Prozess zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

Eine andere Veränderung, die vor allem Menschenrechtler erschreckt, ist die demografische Zusammensetzung der Flüchtlinge. Waren in der Vergangenheit junge Männer stark vertreten, sind in diesem Jahr ganze Familien auf der Flucht. 2022 waren nach UN-Angaben nur ein Fünftel der Flüchtlinge Kinder. In diesem Jahr sind ein Drittel der Bootsflüchtlinge Kinder; zusammen mit Frauen stellen sie gar zwei Drittel der Bootsflüchtlinge.

Die Gründe für die Flucht aus den Lagern in Cox's Bazar sind vielfältig, können aber mit dem Wort "Verzweiflung" zusammengefasst werden. Wegen Finanzierungsengpässen senkte die Welternährungsorganisation in diesem Jahr bereits zweimal den Wert der Lebensmittelgutscheine pro Person und Monat. Im Mai dieses Jahres richtete Taifun Mocha - obwohl er die Küste von Cox's Bazar nicht mit voller Wucht getroffen hatte - in den Flüchtlingslagern erhebliche Zerstörungen an Unterkünften und Infrastruktur an. Seit März 2021 zerstörten mehrere Großbrände Zehntausende Behausungen.

Bangladesch schränkt nach Angaben der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zunehmend den Zugang der Rohingya zu Bildung, Lebensunterhalt und Bewegungsfreiheit ein. Zudem nimmt laut HRW in den Lagern die Gewalt durch bewaffnete Gruppen und kriminelle Banden zu, während die Behörden von Bangladesch tatenlos zuschauen. Eine Rückkehr der Rohingya in ihre Heimat ist angesichts des eskalierenden Bürgerkriegs zwischen dem bewaffneten Widerstand und der Junta-Armee in Myanmar in noch weitere Ferne gerückt.

Diese Gemengelage von schwierigsten Lebensbedingungen und Hoffnungslosigkeit wird laut UN immer mehr Rohingya ihr Heil durch die Zahlung hoher Summen an Schleuser die gefährliche Bootsreise in Richtung Indonesien suchen lassen. Anders als im Mittelmeer sind im Golf von Bengalen und in der Andamanensee aber keine privat organisierten Rettungsschiffe im Einsatz. Ende November bat UNHCR-Chef Filippo Grandi daher die südostasiatischen Staaten eindringlich, "zusammenzuarbeiten, um Leben auf See zu retten".

In Indonesien ist das Schicksal der Rohingya ungewiss. Das größte muslimische Land der Welt ist kein Unterzeichnerstaat der UN-Flüchtlingskonvention. Es leistet über die UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration humanitäre Hilfe, aber Flüchtlinge gelten als rechtlose Transitreisende. (KNA)