Widerstand der eingesessenen Muslime gegen Neo-Salafisten

Bosniens Muslime kämpfen um ihren guten Ruf. Die Präsenz von islamistischen Gruppierungen hat Befürchtungen vor einer Unterwanderung der Gläubigen geweckt. Gleichzeitig bemüht sich der Staat um die Ausweisung eingebürgerter ehemaliger Glaubenskrieger. Von Martin Woker

Mostar Moschee in Bosnien; Foto: DW
Die Islamischen Gemeinschaft Bosniens kämpft gegen den Einfluss der Mujahedin und ausländischer Prediger, um eine Spaltung der in Bosnien lebenden Muslime zu verhindern.

​​Aiman Awad bittet in seine gute Stube. Ein Sofa, zwei Fauteuils, ein paar aufeinandergestapelte Schlafmatten, eine Reprografie der Kaaba in Mekka an der Wand und im Fernseher die Nachrichten des Senders al-Jazira. In einer Ecke stapeln sich gepackte Koffer, wofür sich der Hausherr entschuldigt. Er könne sein Leben nicht länger planen, denn jederzeit drohe ihm und seiner Familie die Ausweisung. Das stimmt zwar nicht ganz – dramatisch ist aber Aiman Awads Lage ohne Zweifel.

So wie die Dinge stehen, muss der syrisch-bosnische Doppelbürger wegen Entzugs der Staatsbürgerschaft mit einer baldigen Landesverweisung aus Bosnien rechnen. Seine bosnische Gattin und die gemeinsamen vier Kinder dürften bleiben. Ihnen kann der Vorwurf nicht gemacht werden, dessentwegen der Vater womöglich seine neue Heimat verlassen muss: betrügerisches Erschleichen der bosnischen Staatsbürgerschaft.

Eine religiöse Verpflichtung zur Hilfe

Dabei hatte alles so gut begonnen. Am 20. Januar 1995 hatte der damals 30-jährige Awad in der bosnischen Stadt Zenica geheiratet. Es herrschte noch Krieg. Zwei Monate später wurde ihm die bosnische Staatsbürgerschaft verliehen, nachdem er sämtliche dafür notwendigen Dokumente eingereicht hatte. Dieser bürokratische Prozess sei vollumfänglich nach damals geltendem Recht abgewickelt worden. Er habe den Pass keinesfalls wegen seiner Verdienste während des Kriegs erworben, sagt Awad und reagiert damit auf die Vorbehalte, welche gegenüber ihm als einem ehemaligen ausländischen Kämpfer arabischer Abstammung (Mujahed) bestehen.

Beim Ausbruch des Krieges in Bosnien im Jahre 1992 verspürte Awad eine, wie er sagt, religiöse Verpflichtung, seinen Glaubensbrüdern zu helfen. Er lebte damals in Kroatien, wo er Medizin studierte. Erst kümmerte er sich als freiwilliger Helfer um bosnische Flüchtlinge, nachher diente er in der damals eilends gegründeten sogenannten Mujahedin-Einheit als Übersetzer. Er war nie an der Front im Einsatz, trug aber eine Uniform.

Im ersten Kriegsjahr kämpften laut seinen Angaben rund 60 Freiwillige in den Reihen dieser Sondereinheit, die dem Stabschef der bosnischen Armee, Rasim Delic, unterstand. Dieser muss sich derzeit vor dem Haager Uno-Kriegsverbrechertribunal verantworten.

Während des Kriegs erreichte die offiziell als Einheit Nr. 5689 bezeichnete Formation eine maximale Stärke von 1800 Kämpfern, etwa ein Drittel waren ausländische Freiwillige. Manche von ihnen hatten zuvor in Afghanistan gegen die sowjetische Armee gekämpft. Wie viele ausländische Mujahedin im Laufe des Kriegs in Bosnien im Einsatz waren, ist unklar. Die Angaben variieren zwischen 600 bis gegen 6000.

In europäischer Tradition

Im Friedensabkommen von Dayton vom Herbst 1995 wurde ein Abzug aller ausländischen Kämpfer innert 30 Tagen festgelegt. Rund 90 Prozent aller Mujahedin hätten innert dieser Frist das Land verlassen, behauptet Awad. Etwa 80 Kämpfer seien im Land geblieben, heute seien es noch rund zwei Dutzend, alle mit bosnischer Staatsbürgerschaft.

Der ehemalige Mujahed kennt ihre Zahl darum so genau, weil er als Präsident der Vereinigung Ansaria deren Interessen vertritt. Laut andern Angaben soll nach Kriegsende mehreren hundert ehemaligen Mujahedin die bosnische Staatsbürgerschaft verliehen worden sein. Einige Quellen sprechen gar von rund 1000 ausländischen Mujahedin, welche im Land geblieben seien. Kenner halten solche Angaben für stark übertrieben.

Die in Bosnien verbreitete und immer deutlicher artikulierte Kritik gegenüber den ehemaligen Mujahedin hat gute Gründe und dreht sich letztlich um die Frage, wer unter den Muslimen die wirklich Rechtgläubigen sind. Awad und Konsorten machen sowohl im Auftreten als auch in der Lebensart deutlich, dass sie – und nur sie – sich gottgefällig zu verhalten wissen. In Bosnien werden sie pauschal Vehabi genannt, abgeleitet von Wahhabiten.

Im letzten Herbst entspann sich eine rege öffentliche Diskussion, nachdem einer der ehemaligen Mujahedin, ein als Abu Hamza auftretender syrisch-bosnischer Doppelbürger, in einer Fernsehdiskussion den von den Bosnjaken (bosnischen Muslimen) praktizierten Glauben als kommunistischen Islam bezeichnet hatte.

Die Reaktion der Islamischen Gemeinschaft Bosniens war scharf. Im November sprach sich der Rijaset in einer Resolution gegen jegliche Spaltungsversuche der in Bosnien lebenden Muslime aus. Wer den im Lande praktizierten Islam nicht verstehen wolle, habe hier nichts verloren, beschied der Reis-ul-Ulema den Gläubigen.

Solch markige Worte vermögen den gesellschaftlichen Einfluss der Neo-Salafisten allerdings nicht zu verbergen. Dieser äussert sich etwa im Befolgen vermeintlich islamischer Kleiderregeln. Die Männer sind bärtig und tragen nur bis zu den Knöcheln reichende Hosen. Die Frauen verhüllen Kopfhaar und Körperformen.

Abgesehen von diesen demonstrativen Zeichen der Frömmigkeit lässt sich aber unter den Bosnjaken eine generelle Zunahme der Gläubigkeit feststellen. Sie äussert sich etwa darin, dass heute die Fastengebote des Ramadan von viel mehr Leuten eingehalten werden als noch vor zwanzig Jahren.

Nedzad Grabus, Islamwissenschafter aus Sarajevo und Mufti von Slowenien, spricht von einer Reislamisierung. Er sieht diesen Prozess als eine in postkommunistischen Gesellschaften übliche Entwicklung, wie sie auch bei den Katholiken und Orthodoxen zu beobachten sei.

Bei der Charakterisierung des in Bosnien praktizierten Islams verzichtet er auf das Klischee, wonach die Bosnjaken ein Gläschen Sliwowitz nicht verschmähten. Stattdessen verweist er auf die wenig bekannte Tatsache, dass die Hälfte aller volljährigen Einwohnerinnen Sarajevos über Wohneigentum verfüge. Eine zivilrechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist in Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung unüblich. Bosnien bildet diesbezüglich eine Ausnahme.

Eine sehr diskrete Kommission

Bosniens radikale Islamisten seien zwar oft sehr laut, doch viel Einfluss hätten sie nicht, lautet die Einschätzung von Grabus. Unter dem Einfluss der Mujahedin sei unmittelbar nach Kriegsende eine gewisse Arabisierung festzustellen gewesen. Die Islamische Gemeinschaft reagierte umgehend. Um in Bosnien das Amt eines Imams auszuüben, ist heute ein doppelter Schulabschluss nötig. Die Bestätigung einer islamischen Fakultät allein genügt nicht; erforderlich ist auch das Abschlusszeugnis einer bosnischen Medresse (religiöse Mittelschule).

Auf diese Weise soll der Einfluss ausländischer Prediger kontrolliert werden. Diese Regelung markiert ein gewachsenes Selbstbewusstsein der bosnjakischen Gläubigen, die sich ihre Lebensformen nicht von Glaubensbrüdern aus dem Nahen Osten vermiesen lassen wollen. «Wir sind normale Europäer und folgen europäischen Werten. Dafür müssen wir kämpfen», sagt Grabus, wohl wissend, dass viele Araber den in Bosnien praktizierten Islam verachten.

Die Folgen bosnjakischer Abgrenzung gegenüber geistigem Kulturimport aus dem Nahen und Mittlern Osten sind evident. So beklagte sich unlängst der ägyptische Botschafter in Sarajevo öffentlich über das geringe Interesse des bosnischen Staats an der arabischen Welt.

Offensichtlich ist auch, wie wenig sich die breite Bevölkerung um das Schicksal von Abu Hamza, Aiman Awad und Konsorten schert. Der Anwalt Kadrija Kolic betreut zehn ehemalige Mujahedin, denen die bosnische Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Das Desinteresse der Öffentlichkeit an diesen Fällen sei eklatant, stellt der Anwalt fest. Er übt harte Kritik an jener Regierungskommission, welche sämtliche zwischen April 1992 und Januar 2006 vergebenen Staatsbürgerschaften überprüft.

Die durch Parlamentsbeschluss im letzten Frühling gegründet Kommission besteht aus sechs bosnischen Mitgliedern (je zwei Bosnjaken, Serben und Kroaten) sowie drei internationalen Vertretern (Spanien, Bulgarien, USA). Diverse unabhängige Quellen bezeichnen die Kommission als ein Produkt amerikanischen Drucks im Zuge der weltweiten Terrorbekämpfung.

Der Vorsitzende der Kommission wie auch deren Mitglieder sind für Fragen von Seiten der Medien nicht zugänglich. Entsprechend karg sind die Informationen über die geleistete Arbeit. Bisher bekannt wurde lediglich, dass von rund 1500 überprüften Personen in knapp 500 Fällen auf Aberkennung der Staatsbürgerschaft entschieden wurde.

Wie viele dieser Personen sich derzeit im Land aufhalten, weiss niemand. Eine Möglichkeit des Rekurses gegen den Beschluss besteht nicht. Wohl aber kann eine Klage gegen das Administrativverfahren eingereicht werden. Bis anhin wurde in keinem Falle von aberkannter Staatsbürgerschaft eine Ausweisung vollzogen. Ihm gegenüber hätten bereits mehrere Richter im persönlichen Gespräch ihr Missfallen über die Vorgehensweise der Kommission ausgedrückt, erzählt Kolic. Wohl darum sei bis jetzt noch keine Ausweisung erfolgt, das Vorgehen widerspreche eindeutig rechtsstaatlichen Prinzipien.

Ein schlechtes Gewissen

Das mag stimmen, lässt sich aber angesichts der gelinde gesagt intransparenten Arbeitsweise der Kommission kaum belegen. Ein anderer Grund für das Missfallen der Richter liegt in einem breiten Unbehagen gegenüber diesem Thema.

Trotz dem gelegentlich provokativ wirkenden Auftreten empfinden viele Bosnjaken den ehemaligen Mujahedin gegenüber auch eine gewisse Dankbarkeit. Schliesslich waren es jene fremden Glaubenskrieger, die in den Anfangstagen des Kriegs den von aller Welt im Stich gelassenen bosnischen Muslimen zu Hilfe eilten.

Die paar wenigen, die heute noch im Lande weilen, nun einfach wie räudige Hunde zu verjagen – das geht auch manchen eingefleischten säkularen Bosnjaken entschieden zu weit. Sie aber meiden das Thema. Sie möchten nicht daran erinnert werden, wie willfährig ihr Staat auf äusseren Druck hin zu reagieren bereit ist. Ein Ausdruck verletzter Nationalehre?

Aiman Awad allerdings beruft sich auf ganz andere Werte, die universell geltenden Menschenrechte nämlich. Diese würden im Falle seiner Ausweisung krass verletzt, sagt er. Von seiner Familie in Damaskus habe er bereits erfahren, dass sich der Geheimdienst für ihn interessiere. Er würde in Syrien für Jahre im Gefängnis verschwinden, behauptet er. Allein schon darum, weil er für eine fremde Macht Militärdienst geleistet habe.

Und ausserdem verlöre er alles, was ihm teuer und lieb sei – sein Haus, seine Familie, seine ganze Existenz. Die Verzweiflung des ehemaligen Mujahedin ist nachvollziehbar. Sich in seiner Notlage ausgerechnet auf die von radikalen Islamisten als westliches Machwerk verteufelten Menschenrechte zu berufen, muss für ihn doppelt hart sein.

Martin Woker

© Neue Zürcher Zeitung

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