Klage wegen Völkermords: Israel vor Internationalem Gerichtshof

Professor Malcolm Shaw to represent Israel in the Hague
Professor Malcolm Shaw wird Israel in Den Haag vertreten. Israel hat die Vorwürfe Südafrikas zurückgewiesen. (Foto: Thilo Schmuelgen/REUTERS)

Den Haag  - Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag befasst sich seit Donnerstag mit dem "Völkermord"-Vorwurf gegen Israel wegen des israelischen Militäreinsatzes im palästinensischen Gazastreifen. Südafrika hatte das Gericht angerufen: "Kein bewaffneter Angriff auf ein Staatsterritorium, egal wie schwerwiegend er ist, (...) kann eine Verletzung der (UN-Völkermord-)Konvention rechtfertigen", sagte Südafrikas Justizminister Ronald Lamola nun vor dem IGH mit Blick auch auf den Großangriff der islamistischen Hamas am 7. Oktober auf Israel.


Bis Freitag äußern sich Vertreter beider Länder bei der IGH-Anhörung. Südafrika fordert von dem Gericht eine Anordnung, dass Israel seinen Militäreinsatz im Gazastreifen sofort einstellt. Da es sich um ein Eilverfahren handelt, könnte der IGH innerhalb weniger Wochen dazu entscheiden. Bis zu einer vollständigen Klärung des Falls können jedoch Jahre vergehen.


Südafrika wirft Israel vor, seine Verpflichtungen aus der UN-Völkermordkonvention zu brechen, die 1948 als Folge des Holocausts unterzeichnet wurde. Als Mitunterzeichner kann Südafrika Israel vor das UN-Gericht bringen, das über Streitigkeiten zwischen Staaten entscheidet.


In der 84-seitigen Klageschrift erkennt Südafrika die besondere Verantwortung an, Israel der Verletzung der Völkermordkonvention zu beschuldigen. Pretoria verurteilt zudem den Großangriff der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas vom 7. Oktober auf Israel "unmissverständlich". Mit seinem Vorgehen im Gazastreifen verfolge Israel jedoch "das Ziel, Palästinenser im Gazastreifen als Teil der größeren nationalen, rassischen und ethnischen Gruppe der Palästinenser zu vernichten", argumentiert Südafrika nach Angaben des IGH.


Israel hat die Vorwürfe zurückgewiesen und von "Verleumdung" gesprochen. "Es gibt nichts Grässlicheres und Absurderes als diese Behauptung", reagierte Israels Präsident Isaac Herzog. "Wir werden vor dem Internationalen Gerichtshof stehen und stolz unseren Fall der Selbstverteidigung (...) gemäß dem humanitären Völkerrecht präsentieren." Die israelische Armee tue "unter äußerst komplizierten Umständen vor Ort alles, um sicherzustellen, dass es keine unvorhergesehenen Folgen oder zivile Opfer gibt".


Auch Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte erst am Mittwochabend in einer im Fernsehen übertragenen Rede, sein Land kämpfe "gegen Hamas-Terroristen, nicht gegen die palästinensische Bevölkerung, und wir tun dies in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht". Israel habe "nicht die Absicht, den Gazastreifen dauerhaft zu besetzen oder seine Zivilbevölkerung zu vertreiben".


Südafrika hat das Gericht aufgefordert, mehrere sogenannte vorläufige Maßnahmen zu erlassen. Israel solle seine Militäroffensive im Gazastreifen sofort einstellen, Zwangsumsiedlungen stoppen, humanitären Zugang ermöglichen und Beweise sichern. Der IGH kann alle von Südafrika geforderten Maßnahmen anordnen - aber es auch ablehnen, etwas anzuordnen. Auch andere Anordnungen wären möglich. Und der IGH könnte zu dem Ergebnis kommen, dass er nicht zuständig ist.


Nachdem das Gericht entschieden hat, ob es Maßnahmen anordnet oder nicht, wird es den umfassenderen Fall prüfen: Den Vorwurf Südafrikas, Israel verstoße gegen die UN-Völkermordkonvention.


Zum jetzigen Zeitpunkt werde das Gericht nicht feststellen, ob es im Gazastreifen einen Völkermord gibt, sagte die Völkerrechtsexpertin Cecily Rose von der Universität Leiden. Der IGH werde lediglich entscheiden, ob die Gefahr eines "irreparablen Schadens" für die Rechte der Palästinenser besteht.


Die Urteile des IGH sind endgültig und bindend. Allerdings stehen dem Gericht keine Instrumente zur Verfügung, um eine Einhaltung seiner Urteile durchzusetzen. Im März 2022 hatte der IGH in einem Eilantrag einen sofortigen Stopp aller russischen Militäreinsätze in der Ukraine angeordnet. Russland ignorierte die Anordnung jedoch.


Am 7. Oktober waren hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Nach israelischen Angaben wurden etwa 1140 Menschen getötet und rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.


Israel erklärte der Hamas daraufhin den Krieg und greift den Gazastreifen seither massiv an. Nach nicht unabhängig überprüfbaren Hamas-Angaben wurden in dem Palästinensergebiet bisher mehr als 23.300 Menschen getötet. (AFP)