Indien: Tausende Moscheen im Visier der Hindunationalisten

Radikale Hindus zerstören mit Eisenstangen die Wände der Babri-Moschee in Ayodhya
6. Dezember 1992: Radikale Hindus zerstören mit Eisenstangen die Wände der Babri-Moschee in Ayodhya. (Foto: Getty Images/AFP/D. E. Curran).

Neu Delhi. Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Hindus und Muslimen wegen des Abrisses einer Koranschule im Bundesstaat Uttarakhand kamen in diesem Monat fünf Menschen ums Leben. Ebenfalls im Februar wurde in der Hauptstadt Neu Delhi eine jahrhundertealte Moschee dem Erdboden gleichgemacht.

Im Januar lieferte eine Studie der "Archäologischen Gesellschaft Indiens" (ASI) dem eskalierenden Konflikt zwischen Hindus und Muslimen zusätzlichen Zündstoff. An der Stelle der Gyanvapi-Moschee aus dem 17. Jahrhundert in Varanasi, so die ASI, habe ein "großer Hindu-Tempel" zu Ehren des Gottes Vishnu existiert. Der aber sei von den islamischen Mogul-Kaisern für den Bau der Moschee demoliert worden.

Die Veröffentlichung des ASI-Berichts erfolgte nur wenige Tage, nachdem der hindunationalistische Premierminister Narendra Modi in Ayodhya mit Pomp und Pathos einen neuen Tempel für den Gott Ram eingeweiht hatt. Dort stand die Babri Moschee aus dem 16. Jahrhundert, die 1992 von einem hinduistischen Mob zerstört worden war. Bei anschließenden Unruhen kamen mindestens 2.000 Menschen, überwiegend Muslime, ums Leben.

Es vergeht inzwischen kaum ein Tag ohne Medienberichte über den Abriss islamischer Stätten in Bundesstaaten, die von der hindunationalistischen "Indischen Volkspartei" (BJP) regiert werden. Extremistische Hindugruppen haben laut Medienberichten mehr 3.000 Moscheen im Visier, die entweder abgerissen oder in Hindutempel umgewandelt werden sollen.

Diese "Cancel Culture" mit der Abrissbirne wie auch die Einweihung des Ram-Tempels in Ayodhja sind eine offene Kampfansage von Premierminister Modi von und seiner BJP als politischem Arm der Hindutva-Bewegung an die Muslime. Der Hindutva-Ideologie geht es um "Hindus first", um die Auslöschung der Geschichte der islamischen Mogul-Kaiser (1526-1858). Die, so das Narrativ, hätten Hindus verfolgt, ausgebeutet und versklavt.

Ziel der Hindutva-Bewegung ist die (Wieder-)Erschaffung einer einzigen Hindu-Nation auf Grundlage eines primär politisch-kulturell verstandenen autoritären Hinduismus. Für den 1973 gestorbenen Hindutva-Vordenker Madhav Sadashivrao Golwalkar war Hitlers Rassenpolitik ein Vorbild für eine völkisch-religiösen Politik der Hindutva.

Die Hindunationalisten, so Syed Ali Nadeem Rezavi von der "Aligarh Muslim Universität" in Uttar Pradesh, bauten allerdings "ein falsches Narrativ über die Opferrolle der Hindus durch die ehemaligen muslimischen Herrscher in Indien" auf. Die "ausbeuterische" Herrschaft der Mogul-Kaiser sei nur durch die Kollaboration der Rajputen (hinduistische Fürsten) möglich gewesen, sagt Rezavi der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) und fügt hinzu: "Die Mogulen und Rajputen waren so eng miteinander verbunden, dass es schwer ist, einem die Schuld zu geben und den anderen wegzulassen."

Diese Zusammenarbeit sei "zwangsläufig" mit Religionsfreiheit einhergegangen. "Die Mogulkaiser hatten hinduistische Frauen, die nie konvertierten und die Freiheit hatten, weiterhin ihre Gottheiten zu verehren ", weiß der Historiker. Hätten die Mogulen Hindus verfolgt und zum Übertritt zum Islam gezwungen, wären die Muslime im ehemaligen Kernland des Mogulreichs - wie Uttar Pradesh - nicht in der Minderheit.

"Wenn sich historische Fakten als Stolperstein für diese falsche Erzählung erweisen, wird auch aktiv der Versuch unternommen, die Geschichte zu negieren und durch Mythen zu ersetzen", klagt Rezavi und fügt hinzu: "Das spiegelt die einseitige rachsüchtige Gesellschaftspolitik (der BJP) wider, und das umso mehr, weil sie ihren halbverhungerten, arbeitslosen und ungebildeten potentiellen Wählern keine anderen 'Erfolge' vorzuweisen haben. Es überrascht nicht, dass sich diese Politik für Modi und seine Partei auszahlt." Modi strebt bei der Parlamentswahl im Frühjahr eine dritte Amtszeit an. Laut Umfragen kann er mit einem triumphalen Wahlsieg rechnen.

Die Mogul-Kaiser sind seit 1858 Geschichte, aber die Erzählungen über Muslime, die den Hinduismus auslöschen wollen, werden von den Hindunationalisten am Leben gehalten. Fakten sind im Indien von Modi und der BJP jedoch nicht gefragt, wenn es zum Machterhalt um die hinduistischen Wähler geht.

In der Ankündigung des Vortrags des Indologen Felix Otter über "Hindu-Nationalismus als Problem der Forschung" hieß es Ende Januar auf der Webseite der Uni Marburg: "Ausgehend von der historischen Betrachtung wird der Hindu-Nationalismus im doppelten Sinn als Problem der Forschung erörtert: Zum einen als erklärungsbedürftiges religiöses, kulturelles und politisches Phänomen; zum anderen aber auch als ein praktisches Problem für indienbezogene Forschung, indem der Hindu-Nationalismus im Zuge der fortschreitenden Politisierung von Religion, Kultur und Geschichte selbst als wissenschaftspolitischer Akteur auftritt und zu seiner Ideologie im Widerspruch stehende Meinungen nicht nur mit akademischen Mitteln zu bekämpfen trachtet."

Mitte Februar verließ die französische Journalistin Vanessa Dougnac nach 23 Jahren Indien, nachdem die Behörden ihr wegen "böswilliger und kritischer" Berichterstattung die Ausweisung angedroht hatten. Historikerin Audrey Truschke der Rutgers University in den USA erhielt laut dem britischen "Guardian" wegen ihrer Arbeit über die Moguln Morddrohungen. Auch Rezavi wird bedroht und verfolgt. Aber er ist einer der wenigen Historiker Indiens, der noch den Mut hat, den Hindunationalisten öffentlich zu widersprechen. (KNA)