Guter Taliban, böser Taliban

Vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge stellt sich die Frage, wie ernst es die Armee eigentlich mit dem Bruch mit den Taliban meint, die zum großen Teil von Militär und Geheimdiensten lange für den Kampf in Afghanistan hochgepäppelt wurden. Thomas Bärthlein kommentiert.

Pakistanischer Polizist vor einem Checkpoint in Islamabad; Foto: AP
Nach dem Taliban-Überfall auf das Hauptquartier der pakistanischen Streitkräfte in Rawalpindi und dem Selbstmordattentat im Bezirk Shangla in der Nähe des Swat-Tals wurden die Sicherheitsmaßnahmen drastisch erhöht.

​​In den vergangenen acht Tagen haben die pakistanischen Taliban und mit ihnen verbündete Terror-Gruppen mit einer Serie schwerer Anschläge demonstriert, dass weiter mit ihnen zu rechnen ist.

Die Militanten haben zurückgeschlagen nach der Frühjahrs-Offensive der Armee in Swat und der Tötung von Taliban-Chef Baitullah Mehsud durch einen US-Drohnen-Angriff. Und sie haben im Vorfeld der erwarteten Bodenoffensive gegen die Taliban-Hochburg Südwaziristan klare Zeichen gesetzt.

Das "Rückgrat" der Taliban ist keineswegs gebrochen, wie es der Innenminister erst kürzlich herausposaunt hatte.

Mit Sicherheit wird die Armee jetzt reagieren und erst recht in Südwaziristan einmarschieren. Wie nahe die Bedrohung für die stolzen Streitkräfte gekommen ist, hat besonders das Geiseldrama in ihrem Hauptquartier unterstrichen.

Diese Demütigung wird Konsequenzen haben. Die neue Entschlossenheit der Armee im Kampf gegen die Taliban ist prinzipiell zu begrüßen. Dennoch gibt es genug Gründe, die weitere Entwicklung in Pakistan mit großer Sorge zu verfolgen.

Planlose Geheimdienste?

Zunächst sind da die gewachsenen Sicherheitsrisiken, die durch die jüngsten Anschläge offenkundig geworden sind. Die sonst so selbstsicheren Geheimdienste haben offensichtlich keinen Schimmer, was die Militanten an Anschlägen planen.

Der Terror ist von den Stammesgebieten und der Grenzregion zu Afghanistan endgültig in den Großstädten und in der größten Provinz, dem Punjab angekommen. Militäroffensiven können zwar Rückzugsgebiete der Extremisten besetzen, aber sie werden die Terroristen erstmal nur in den Untergrund drängen und ihnen im Zweifel sogar neue Rekruten bescheren.

Militäroffensive der pakistanischen Armee im Swat-Tal; Foto: AP
Die Armee geht in Südwaziristan schon seit Monaten gegen die Taliban vor. Nach Angaben des Militärs hat sie dort 28.000 Soldaten zusammengezogen, denen geschätzte 10.000 Taliban-Kämpfer gegenüber stehen.

​​ Dann bestehen nach wie vor Fragezeichen, wie ernst es die Armee meint mit dem Bruch mit den Extremisten – die zum großen Teil ja von Militär und Geheimdiensten jahrelang für den Kampf in Afghanistan und gegen Indien hochgepäppelt wurden.

Nach wie vor betrachten die Sicherheitskräfte etwa die afghanischen Taliban-Führer, die um Quetta residieren, zumindest nicht als Bedrohung und unternehmen nichts gegen sie.

Und auch in den Stammesgebieten versuchen sie, verschiedene Extremisten gegeneinander auszuspielen nach dem Motto: Wer auf unserer Seite steht, ist ein "guter" Taliban, wer gegen uns kämpft, ist ein "böser". Auf diese Weise wird das Problem aber bestenfalls vertagt.

Schließlich gibt es nur wenige Anzeichen, dass die schwachen zivilen Strukturen in Pakistan stärker würden. Über Jahrzehnte sind sie im Schatten der allmächtigen Armee verkümmert.

Das rächt sich ganz konkret, wenn die Armee jetzt beispielsweise das Swat-Tal spektakulär von den Militanten befreit, die zivile Administration aber beim Wiederaufbau überfordert ist. Das Vertrauen der Bevölkerung gewinnt man so nicht.

Widerstand gegen US-Hilfe

Anhänger der Jamat-i Islami in Peschwar; Foto: AP
Wachsender Widerstand gegen die Militäroffensive im Swat-Tal: Anhänger der Jamat-i Islami halten wärhrend einer Demonstration in Peschawar Plakate mit der Aufschrift "Stoppt das Blutbad an unschuldigen Menschen".

​​ Noch bedenklicher wird die Sonderstellung der Armee bei der gegenwärtigen Agitation in Pakistan gegen das "Kerry-Lugar-Gesetz" deutlich, mit dem die USA Milliarden in den zivilen Aufbau im Lande pumpen wollen.

Das Gesetz knüpft die Hilfe an klare Bedingungen: Kampf gegen militante Extremisten und gegen nukleare Proliferation - und Schluss mit der Einmischung der Streitkräfte in die Politik. Die Armeeführung hat sich ungewöhnlich klar gegen das Gesetz ausgesprochen und es geschafft, weiten Teilen der Öffentlichkeit einzureden, dass diese Form der US-Hilfe die pakistanische Souveränität gefährde.

Seit langem hat sich Pakistan daran gewöhnt, ausländische Kräfte für seine Probleme verantwortlich zu machen. Dabei sind es, bei allen Fehlern des Auslands, Pakistans Generäle und Geheimdienste gewesen, die sich dafür entschieden, die Taliban stark zu machen oder wenigstens gewähren zu lassen.

Solange sich diese Erkenntnis nicht durchsetzt und Pakistan nicht konsequent die Lektionen daraus zieht, besteht wenig Grund, optimistisch für die Zukunft des Landes und der Region zu sein.

Thomas Bärthlein

© Deutsche Welle 2009

Thomas Bärthlein ist stellvertretender Leiter der Südasien-Redaktion der Deutschen Welle.

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